CD-Blu-ray-Besprechung:
Sergei Prokofiev
War and Peace
Olga Kulchynska Natascha
Andrei Zhilikhovsky Andrei
Arsen Soghomonyan Pierre
Dmitri Tcherniakov Regie und Bühnenbild
Vladimir Jurowski Dirigent
BSOREC 2006
von Peter Sommeregger
Als die Bayerische Staatsoper im Frühjahr 2023 die Oper „Krieg und Frieden“ von Sergei Prokofiev nach dem Roman Tolstois in einer Neuinszenierung zeigte, war das eine politische Gratwanderung. Ein Jahr zuvor hatte die russische Armee die Ukraine überfallen, Deutschland und seine Bevölkerung hatte sich eindeutig auf die Seite der Überfallenen gestellt.
Dass diese Aufführung auf große Zustimmung stieß, ist neben der Qualität des Werkes auf die subtil verfremdete, von Pathos befreite Inszenierung Dmitri Tcherniakovs zurückzuführen.
Als ungewöhnlichen, einzigen Schauplatz wählte er einen realistischen Nachbau der Säulenhalle im Haus der Gewerkschaften in Moskau. Die wechselhafte Geschichte dieses, ursprünglich 1775 als Teil eines Adelspalais entstandenen Saales, er diente lange Zeit als Konzertsaal, später als Lazarett, bis er schließlich nach der Oktoberrevolution für politische Zwecke genutzt wurde, nimmt der Regisseur als Symbol für die Verwerfungen der jüngeren Geschichte.
Eine größere Menge Menschen kampiert dort auf engem Raum, wie in einer Flüchtlingsunterkunft. Die Handlungsstränge der Romanhandlung Tolstois entwickeln sich symbolhaft inmitten der drangvollen Enge, sobald man sich an die Abstraktion gewöhnt hat, beginnt diese Präsentation Sinn zu machen.
Das Leitungsteam setzte auf eine weitgehend muttersprachliche Sängerbesetzung, was einen idiomatischen Klang ermöglichte, und zur Authentizität der Aufführung wesentlich beitrug.
Die charismatische Figur der Natascha fand in Olga Kulchynska eine perfekte Interpretin, die Naivität des Mädchens wie ihre Wandlung zu einer reifen jungen Frau wurden nachvollziehbar. Als Prinz Andrei Bolkonsky überzeugte Andrei Zhilikhovsky, dem es gelang, den gebrochenen Charakter glaubwürdig darzustellen. Starken Eindruck hinterließ vor allem Arsen Soghomonyan als philantropischer Pierre Bezhukov, dem die umfangreichste Rolle in der Oper zufällt.
Eine Vielzahl kleinerer Rollen war ebenfalls qualitativ hochwertig besetzt, auch der Chor der Bayerischen Staatsoper navigierte gekonnt durch die ungewohnte Sprache.
Prokofievs umfangreiche Partitur, deren komplette Uraufführung der Komponist nicht mehr erlebt hatte, überzeugte durch ihre Fülle an interessanten musikalischen Wendungen und spröder Schönheit, die Vladimir Jurowski am Pult überzeugend umsetzte. Die mit dreieinhalb Stunden nicht gerade kurze Oper wurde unüberhörbar vom Publikum mit Begeisterung aufgenommen, alle Beteiligten gebührend gefeiert.
Die Aufführung ist ein gutes Beispiel dafür, wie Kunst letzten Endes über Politik und Ideologie siegen kann.
Peter Sommeregger, 2. Juni 2025, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
CD-Besprechung: Gustav Mahler/Complete Symphonies klassik-begeistert.de, 31. Mai 2025
CD/Blu-ray-Besprechung: Jean-Baptiste Lully Atys klassik-begeistert.de, 29. Mai 2025