Krzysztof Urbański © Christian Kaufmann 2025
Aram Chatschaturjan (1903–1978) Konzert für Violine und Orchester d-Moll
Antonín Dvořák (1841–1904) Symphonie Nr. 9 e-Moll op. 95 «Aus der Neuen Welt»
Berner Symphonieorchester
Krzysztof Urbański, Dirigent
Nemanja Radulović, Violine
Casino Bern, 5. Juni 2025
von Julian Führer
Der sowjetische Komponist Aram Chatschaturjan war eine Zeitlang durchaus populär, auch in der westlichen Welt – speziell sein „Säbeltanz“ aus dem Ballett Gayaneh ist immer wieder auch in Filmen verwendet worden, am bekanntesten vielleicht in Billy Wilders One, Two, Three.
Anderes wie das Ballett Spartakus und erst recht der Zeit geschuldete Gelegenheitsstücke wie eine Ode auf Lenin und die Ouvertüre zum Parteitag der KPdSU von 1959 sind weitgehend vergessen. Umso verdienstvoller ist es, diesen Komponisten wieder einmal zu präsentieren. Chatschaturjan ist im Vergleich zu anderen Komponisten dieser Generation leichter zu hören und zu erfassen, und man sollte wohl wirklich wieder öfter spielen.
In Bern leitete Chefdirigent Krzysztof Urbański das 1940 von Chatschaturjan komponierte Violinkonzert mit Nemanja Radulović als Solist. Reizvoll ist der teilweise ausführliche Dialog mit Einzelinstrumenten wie zum Beispiel der Klarinette im ersten Satz; der zweite Satz beginnt mit dem Fagott, während die Streicher des Orchesters ein sehr leises Flimmern intonieren. Darüber legt sich dann das Soloinstrument, das Radulović mit einem sehr leichten Ton intonierte. In engem Kontakt mit Dirigent und Konzertmeister (immer wieder kleine Blicke und Augenzwinkern, die für gutes wechselseitiges Verständnis sprechen) ging er durch die drei Sätze. Teilweise recht frei im Umgang mit den Details der Partitur, was Dynamik und Phrasierung angeht, war der Solopart dennoch sehr überzeugend in der Umsetzung.

Insbesondere im dritten Satz, der den Ballettkomponisten in Chatschaturjan aufblitzen ließ, passte die Mischung von technischer Brillanz und süffisantem Witz bei den immer schneller werdenden Variationen des Kopfthemas. Der passagenweise fast pointillistische Ton der Violine hatte angesichts der raffinierten Instrumentierung keinerlei Schwierigkeiten, stets gegenüber dem Orchester transparent hörbar zu bleiben – eine bemerkenswert gelungene Abstimmung zwischen Solist und Dirigent. In der Zugabe zeigte Nemanja Radulović, dass er auf der Violine zu wahren Säbeltänzen in der Lage ist. Technisches Können, das Staunen macht und hoffen lässt, dass man diesen Künstler bald wieder in Bern wird erleben dürfen.
So wenig bekannt dieses Violinkonzert sein mag, so oft hört man Antonín Dvořáks Symphonie „Aus der Neuen Welt“. Im Programmheft legt Krzysztof Urbański dar, was sein Ziel bei der Interpretation war: die Symphonie hören, „wie Dvořák sie sich beim Komponieren vorgestellt haben muss“. Das Resultat war erstaunlich: Die sehr langsam gehaltene Introduktion melancholisch wie Pfitzners Vorspiel zu Palestrina, dann die Rhythmen scharf und das Hauptthema des ersten Satzes je nach Instrument und je nach Phase der motivischen Arbeit mal eher staccato, mal eher gebunden. Die Wiederholung der Exposition klang so schon völlig anders als beim ersten Durchgang. Das Seitenthema verblüffend schnell, die Kontrabässe immer wieder mächtig hineinfahrend, die harmonischen Wendungen erstaunlich, und alles klang tatsächlich, als würde man dieses Werk zum ersten Mal hören.
Der zweite Satz (Largo) ist ein Ruhepol, der mit einem Bläsersatz beginnt, der bei Krzysztof Urbański auf einmal so gesetzt, aber mächtig klang wie das Gralsmotiv in Wagners Parsifal. Das Englischhorn glänzt, die Streicher werden immer weniger, bis es nur noch zwei erste, zwei zweite Violinen und zwei Bratschen sind, dann verebbt die Musik – Dvořák hat tatsächlich zwei Generalpausen komponiert, die aber selten so zwingend herbeigeführt und ausgekostet wurden wie hier in Bern. Was für ein Kontrast dagegen das schnelle Scherzo mit der fast knallenden Pauke!
Der vierte Satz nimmt Motive der ersten Teile wieder auf. Manche Dirigenten betonen das Fanfarenhafte des Hauptmotivs; bei Krzysztof Urbański wurde hingegen deutlich, wieviel Moll eigentlich in diesem Satz steckt. Der Schlussakkord mag das illustrieren: musikalisch so vorbereitet, dass alle im Publikum wissen, was jetzt kommt (nämlich ein lauter, triumphaler Schluss mit viel Applaus im Anschluss), halten Holz und Hörner dann einen E-Dur-Akkord im dreifachen Pianissimo, und bei Urbański in Bern war die komponierte Fermate lang, sehr lang. Dieser Satz ist keine Raserei, bis zum Ende nicht, aber es braucht einen Dirigenten, der das aufzeigt.
Wann hat man Dvořáks bekannteste Symphonie je so frisch, so packend gehört, so zwingend überzeugend? Diese Umsetzung wurde verdient und groß gefeiert. Krzysztof Urbański bereitete der Englischhornistin Catherine Kämper einen verdienten Soloapplaus, indem er sie mit vom Podium abgehen und dann einzeln auftreten ließ. Als er das Orchester für den Applaus aufstehen lassen wollte, blieben die Musiker sitzen und spendeten ihrem Chefdirigenten trampelnden Applaus. Beide Abende waren bis auf die Stehplätze restlos ausverkauft. In Bern sind derzeit musikalische Sternstunden zu erleben.
Julian Führer, 7. Juni 2025, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Berner Symphonieorchester, Krzysztof Urbański Casino Bern, 25. April 2025
Nemanja Radulović, Russische Staatskapelle Moskau, Valery Polyansky, Kölner Philharmonie