Christoph Eschenbach über Holsteiner Katenschinken und texanisches Barbecue… Teil III

Interview: kb im Gespräch mit Christoph Eschenbach, Teil III  klassik-begeistert.de, 20. Juni 2025

Christoph Eschenbach © Marco Borggreve 

Zum Abschluss unseres Gesprächs gab es ein gehöriges Missverständnis. Was wir indes sofort aufklären konnten. Außerdem ging es um einen alten Schaub Lorenz Plattenspieler, Bruckner-Pairing, eine Happy-Sinfonie, Krisen, große Flächen, Hollywood. Und noch mal um Musikvermittlung, weil dieses Thema so wichtig ist für unsere Gesellschaft.

 Jörn Schmidt im Gespräch mit Christoph Eschenbach, Teil III 

klassik-begeistert:  Ihre Mozart-Interpretationen arbeiten Lebensfreude und Humor ganz und gar unwiderstehlich heraus. Ist Gustav Mahler in diesem Sinne ein Komponist der Ängste?

Christoph Eschenbach: Die Angst ist bei Mahler tief verwurzelt. Privat, aber auch als Jahrhundertangst vor dem 1. Weltkrieg. Ganz deutlich zu hören in seiner 6. Sinfonie. Diese historische Angst nimmt bei jedem Menschen eine andre Richtung. Auch Alban Berg hat diese Angst ganz elementar vertont, in den 3 Orchesterstücken op. 6.

klassik-begeistert:  Bei allem Weltruhm, Mahlers Leben hatte so einige Krisen. Wie wir alle. Aber was lehren einem  Tiefpunkte für das weitere Leben, gerade dem künstlerischen Nachwuchs?

Christoph Eschenbach: Ich verweise hier gerne auf Beethoven. Bedenken Sie, der Mann war fast vollends taub. Er hat sehr darunter gelitten. Und was hat er gemacht? Er schreibt eine Happy-Sinfonie. Die Sinfonie Nr. 8, überquellend vor Lebensfreude. Aber auch Mahlers Werk ist nicht nur Angst. Hören Sie bitte den 3. Satz von Mahler 5.

klassik-begeistert:  Das bedeutet für meine nächste Krise?

Christoph Eschenbach: Schaffen Sie sich eine Gegenaussage, ein Antidot. Oder hören Sie ganz einfach Musik!

klassik-begeistert:  Das SHMF 2025 eröffnen Sie und Ihr NDR Elbphilharmonie Orchester am 6. Juli  mit Bruckner 7…

Christoph Eschenbach: Wir machen übrigens auch noch Bruckner 5. Mit dem Schleswig-Holstein Festival Orchestra, Mitte August in Dänemark und Hamburg. Die jungen Musiker lieben es, Bruckner zu spielen. Gerade auch die 5. Sinfonie mit der Doppelfuge am Beginn.

klassik-begeistert:  Aber wie nimmt man jungen Menschen, die nicht selber musizieren, die Schwellenangst. Was rufen Sie zum Beispiel einem 15-Jährigen zu, damit er sich eine Karte für Bruckner kauft? Statt ins Kino zu gehen. Womöglich noch vom Taschengeld…

Christoph Eschenbach: Macht etwas Außergewöhnliches, hört Bruckner live. Es könnte Euer Leben verändern!

Christoph Eschenbach © Marco Borggreve

klassik-begeistert:  Zurück zum SHMF Eröffnungskonzert. Vor der Pause gibt es Beethovens Klavierkonzert Nr. 3. Ich möchte das unter dem Aspekt Bruckner-Pairing beleuchten. Mozart passt bestens zu Bruckner, finde ich. In seinem letzten Konzert am Pult der Berliner Philharmoniker hat  Bernard Haitink Bruckner 7  mit Mozarts Klavierkonzert B-Dur KV 595 kombiniert. Das hat wunderbar funktioniert. Warum fiel Ihre Wahl auf Beethoven?

Christoph Eschenbach: Alles was gut ist, passt zu Bruckner! Konkret zum Klavierkonzert Nr. 3 kann man ergänzen: Beethoven wechselt im langsamen Satz von c-Moll nach E-Dur, der Tonart von Bruckner 7. Das schafft eine Verbindung.

klassik-begeistert:  Es gibt Mahler-Dirigenten und es gibt Bruckner-Dirigenten. Sie dirigieren beide Österreicher mit der gleichen Begeisterung. Woher, meinen Sie, rührt diese Spezialisierung mancher Kollegen?

Christoph Eschenbach: Ich würde das nicht Spezialisierung nennen. Das ist eher eine Frage, wie man zu einem Komponisten und seinen Themen kommt. Wenn  man so will, bin ich vom Klavier zu Bruckner gekommen. Über die Impromptus von Schubert, die wie Bruckners Sinfonien für große musikalische Flächen stehen. Die von uns Dirigenten auszudeuten sind…

klassik-begeistert:  Diese Flächigkeit, ist das nicht gleichzeitig eine Gemeinsamkeit?

Christoph Eschenbach © Marco Borggreve

Christoph Eschenbach: Richtig, auch Mahler braucht diese langen Strecken. Er schöpft indes aus einer anderen musikalischen Quelle. Wie umgekehrt das Deskriptive Mahlers bei Bruckner fehlt.

klassik-begeistert:  Zuweilen denke ich, US-amerikanischen Orchestern liegt Mahler mehr als Bruckner. Vielleicht aufgrund der Nähe zu Hollywood, weil sich Filmmusik bei Mahler bedient. Täuscht der Eindruck?

Christoph Eschenbach: Das kann man so stehen lassen. Womit ich aber keinesfalls sagen möchte, dass die Amerikaner keinen Bruckner können. Im Gegenteil, dem Chicago Symphony Orchestra gelingt Bruckner phänomenal. Wichtiger als die Provenienz ist vermutlich, wer gerade dirigiert.

klassik-begeistert:  In Ihrer unlängst verlegten Biographie Lebensatem Musik widmet sich ein Kapitel dem Wunder von Houston.  Wie bekommt man einen texanischen Cowboy weg von seinem Barbecue direkt in den Konzertsaal?

Christoph Eschenbach: Wunder meint hier nicht nur künstlerische Höchstleistungen, den Wandel des Houston Symphony Orchestra zum Spitzenorchester. Sondern dass wir es geschafft haben, das Publikum zurück in den Konzertsaal zu locken. [seufzt kaum vernehmbar] Und das hieß erst mal: Fundraising.

klassik-begeistert:  Klinken putzen, eine Ochsentour gar?

Christoph Eschenbach: Nun, ich habe anlässlich vieler gesellschaftlicher Anlässe, zu denen wir gezielt geladen hatten, erläutert, was mir Musik bedeutet. Und was mir das Houston Symphony Orchestra  bedeutet. In der Hoffnung, dass meine Botschaft verinnerlicht und in die Stadt getragen wird.

klassik-begeistert:  Warum war das so schwer?

Christoph Eschenbach: Weil es in Texas im Grunde keine vorgelagerte Musikvermittlung gab. Eine Musikalische Früherziehung wie in Deutschland, das kannte man dort nicht. Auch vor dem Hintergrund dieser Eindrücke setzte ich mich in meiner Heimat so sehr dafür ein, junge Menschen so früh wie möglich an die Musik heranzuführen [Anmerkung Jörn Schmidt: Lesen Sie zu diesem wichtigen Thema bitte auch Teil 2 meines Interviews mit Christoph Eschenbach].

klassik-begeistert:  Wie sah Musikvermittlung in Ihrer Kindheit aus?

Christoph Eschenbach: Wir haben ein halbes Jahr lang die Eroica verpasst bekommen. Abgespielt auf einem alten Schaub Lorenz Plattenspieler.

klassik-begeistert:  Würde das heute noch funktionieren?

Christoph Eschenbach: Im Prinzip ja. Es geht darum, Kinder dazu zu bringen, über die Musik zu sprechen. Und man muss das mit Angeboten flankieren, selber zu musizieren. Ich habe noch im Schulchor gesungen, der übrigens ein hohes Niveau hatte. Aber auch andere Künste können zur Musik führen. Ein Theaterstück zum Beispiel, einen jambischen Text mit verteilten Rollen lesen. Zeichenunterricht auch.

klassik-begeistert:  Sie lieben Barbecue. Was aber ist Ihr schleswig-holsteinische Lieblingsspeise?

Christoph Eschenbach: Wie kommen Sie darauf? Ich mag Barbecues nicht sonderlich…

BYF3878952 Portrait of Eschenbach Christoph, 2000 (photo); Private Collection; (add.info.: Eschenbach, Christoph – portrait – 28 October, 2000 in front of Ensol painting ‚ Entry of Christ into Brussels ‚ at Getty Centre Los Angeles. German pianist and conductor, b. 1940); Photo © Betty Freeman.

klassik-begeistert:  Nun, das steht in Ihrer wunderschönen Biographie. Ich habe sie digital zur Hand [etwas später]. Hier. Auf Seite 128  steht: Christoph Eschenbach liebte die texanischen Barbecues in Houston… Jetzt verstehe ich, wir Anwälte nennen das Empfängerhorizont… Ich hatte bei der Lektüre die Garmethode im Sinn.

Christoph Eschenbach: Richtig, gemeint sind Barbecues als gesellschaftliche  Anlässe. Wie sie in Texas typisch sind und angelegentlich derer wir viel für die Musik erreicht haben… Im Moment liebe ich Holsteiner Katenschinken, dazu Spargel aus Schleswig-Holstein.

klassik-begeistert: Herzlichen Dank für das Gespräch!

Jörn Schmidt, 20. Juni 2025, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

 

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