Ovationen für "Tristan und Isolde" in der Staatsoper Hannover

Richard Wagner, Tristan und Isolde,  Staatsoper Hannover

Foto: Thomas M. Jauk (c)
Staatsoper Hannover, 
16. September 2018
Richard Wagner: Tristan und Isolde

von Gerhard Hoffmann (onlinemerker.com)

Eine Schar Statisten geleiteten Isolde zu ihrem Stuhl, traten polternd ab – wow, welch genialer Einfall, es sollten derartige Geistesblitze zu Hauf folgen, sodann setzt das Vorspiel ein. Dereinst erschien ein Regisseur zur ersten Probe und stellte die Frage: „Tristan und Isolde“ – um was geht´s denn da? Diese hätte jetzt zur Neueinstudierung und zum Saisonstart am Staatstheater Hannover der Inszenator Stephen Langride ebenso stellen können. Den größten Liebes-Epos der Operngeschichte willkürlich zu diffamieren, das hat Richard Wagner mit seinem Aufruf Kinder schafft was Neues mit Sicherheit nicht gewollt. Während meiner bisher 54 Produktionen durfte ich veritabel geniale Schöpfungen erleben, aber die heutige Sichtweise erschien mir als Blasphemie pur. Pantomime-Einlagen des Butoh-Tanzpaares und sinnlose gar störende Statisterie sollten lediglich den Blick vom gähnend-langweiligen Geschehen, vom Unvermögen der Regie ablenken.

Als Seelenverwandte ließ Conor Murphy grüßen, steuerte die Interieurs der Bühnen- und personellen Dekorationen bei: eine variable Schiffsbrücke, Röhren, Lamellen, die minimale Aktionsfläche für Isolde mit Stuhl, später dem Bett, einem Whirlpool (dessen Benutzung blieb dem Liebespaar erspart), im dritten Aufzug noch mehr Stühle, Betten etc. einem Klinik-Fundus entliehen um das visuelle Chaos vollends zu komplettieren. Dazu uniforme und straßentaugliche Kostüme. Fazit: ein perfekt optischer Stuhlgang, vom Publikum viel zu wenig abgestraft.

Unter Eliminierung der störenden Optik hatten die musikalischen Komponente so einige erfreulichen Überraschungen bereit: Kelly God, seit 12 Jahren am Hause sang fast alle Partien des jungendlich-dramatischen Fachs und nun ihre erste Isolde. Der besondere Reiz der schön timbrierten Stimme liegt in der warmen Fülle ihres lyrisch gefärbten Soprans, welcher selbst während voluminösen, durchschlagskräftigen Momenten nicht an wunderbarem Focus einbüßte. Zur intensiven Darstellung, bestechenden Artikulation verlieh Kelly God ihrer in allen Lagen bestens gestützten Stimme, deren dramatisches glutvolles Potenzial sich von Akt zu Akt steigerte und sich im traumhaft-elegischen Liebestod vollendet gipfelte. Bravo – großartig, wieder eine neue interessante Isolden-Interpretin.

Ausgeglichen, sehr klangintensiv gestaltete Khatuna Mikaberidze die treu umsorgende Brangäne, beeindruckte mit glanzvoll-farbenreich intonierten Paletten ihres wohlklingenden Mezzosoprans und krönte ihre famose Interpretation mit einem weich fließenden Wachgesang.

Robert Künzli ließ sich entschuldigen und schöpfte abgesehen von kleinen Unebenheiten seines im einst lyrischen Fach beheimateten Tenors, aus dem Vollen. Vokale Harmonie, musikalische Homogenität, überraschende mezza-voce-Phrasen, strahlend saubere tenorale Höhenflüge kennzeichneten die Qualitäten, seines im dritten Aufzug noch immens steigernden Tristans.

Tobias Schabel schenkte König Marke die elegante schlanke Formation, ließ sein viril-markantes Basspotenzial balsamisch fluten, setzte unmissverständlich königliche Akzente zu schöntimbriertem Wohlklang und weicher Tongebung.

Raubeinig, weniger klangvoll kam das Vokalprofil des Baritons Stefan Adam (Kurwenal) daher. Schönstimmig verkündete der Hirt (Uwe Gottswinter) die traurige Weise. Rollendeckend ergänzten Gihoon Kim (Melot), Byung Kweon Jun (Steuermann), Simon Bode (Seemann) sowie die Herren des Staatsopern-Chors das Ensemble und formierten sich im merkwürdigen Geschehen.

Am Pult des ausgewogen und gut disponierten Niedersächsischen Staatsorchesters Hannover waltete Will Humburg. Ohne überzogene Emphase in moderaten Tempi, in zuweilen verstörenden Laut-Leise-Dimensionen bot der Dirigent einen recht blutleeren ersten Akt. Den suggestiven Details der musikalischen Droge des zweiten Aufzugs, der Liebesekstase schenkte Humburg mehr Transparenz die überwältigende Opium-Euphorie und steigerte sich zu Tristans fiebernden Erinnerungen zu mehr kontrastreichen orchestralen Ausformungen.

Lautstarke leistungsgerechte Begeisterung für alle – Ovationen besonders für God und Künzli.

Gerhard Hoffmann, 17. September 2018

 

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