Ein Mahler-Ereignis: Diese Zweite aus Zürich wird lange nachhallen

Tonhalle-Orchester, Zürich, Paavo Järvi, Gustav Mahler, Sinfonie Nr. 2 „Auferstehung“  Köln, Philharmonie, 1. Dezember 2025

TOZ Rabaukenhai (c) Reinhard a Deutsch

Paavo Järvi dirigiert in Köln eine fulminante und tief bewegende Auferstehungssinfonie.

Kölner Philharmonie, 1. Dezember 2025

Gustav Mahler (1860-1911) – Sinfonie Nr. 2 c-Moll „Auferstehung“

Tonhalle-Orchester Zürich
Zürcher Sing-Akademie (Einstudierung: Florian Helgath)
Mari Eriksmoen, Sopran
Anna Lucia Richter, Mezzosopran
Paavo Järvi, Dirigent

von Brian Cooper

Irgendwie ist die Stimmung vor dem Konzert eine besondere. Die Philharmonie ist fast ausverkauft, man denkt an die großen Abende der MusikTriennale zurück, die allerersten Konzerte hier von Simon Rattle, an das Chicago Symphony, das New York Philharmonic. Ein Hauch von Glanz – nicht Glow – liegt über der Philharmonie.

Dabei spielt doch „nur“ das Tonhalle-Orchester Zürich, das ich zum ersten Mal live höre. Es hat 2011 einen beeindruckenden Mahler-Zyklus unter seinem damaligen Chef David Zinman komplettiert und auf SACDs verewigt. Nun schickt sich Paavo Järvi an, Dasselbe zu tun, die ersten Besprechungen sind hymnisch.

Spätestens seit seiner eindrucksvollen Dritten, die er am 18. Juni 2016 in der Philharmonie de Paris dirigierte, habe ich auch den Mahler-Dirigenten Paavo Järvi auf dem Schirm. Es war weiland sein Abschiedskonzert als Chefdirigent des Orchestre de Paris, und das Publikum war beeindruckt bis begeistert. Noch heute denke ich gern daran zurück.

Mahlers Zweite, die Auferstehungssinfonie, ist, was Länge und Dimensionen betrifft, ähnlich imposant wie die Dritte. Die Schwierigkeit bei solch großdimensionierten und klanggewaltigen Kathedralen ist, ähnlich wie bei Bruckner, die Gesamtarchitektur nie außer Acht zu lassen. Und Paavo Järvi beherrscht diese Kunst ganz vorzüglich.

Paavo Jarvi (c) Kaupo Kikkas

Dabei setzt er durchaus auf Feinheiten, wenngleich ohne micromanagement. Im Gegenteil: Er ist ein Mann, ein Meister, der klaren Zeichengebung, investiert beispielsweise viel in die Streichergruppen und bekommt viel zurück: Details, die man sonst vielleicht nicht vernähme.

„Unangefochten an der Spitze meiner persönlichen Auferstehungssinfonien für die Ewigkeit sind zwei Amsterdamer Aufführungen mit Mariss Jansons und dem Concertgebouworkest im Dezember 2009. Genau deswegen geht man doch so oft ins Livekonzert: um alle paar Jahre mal dieses Gefühl von Rührung, Ergriffenheit, Überwältigung zu erleben, das, wenn das Konzert sensationell ist, geradezu körperlich wird.“ Das schrieb ich in einem Bericht aus Dortmund über die Rotterdamer.

Die Zürcher erwiesen sich an diesem Abend unter Paavo Järvi ebenfalls als europäisches Spitzenorchester, dessen Darbietung der Auferstehungssinfonie lange in Erinnerung bleiben und nachhallen wird. Sie spielen an einem Abend wie diesem mindestens in derselben Liga wie die Orchester aus Paris und Oslo.

Schon in den ersten Takten waren die Streicher höchst präsent, die Tremoli aggressiv angerissen, und Celli und Bässe spielten ihre fünftönigen Linien, als gäb’s kein Morgen. Auch die Bläser, allen voran die Hörner, waren durchweg fabelhaft. Der erste Satz überraschte bisweilen mit ungewohnten Tempi. Järvi setzt öfter in kompromissloser Radikalität auf plötzliche Pausen.

Und hier, wie auch zwischen den Sätzen, kam ein weiterer wichtiger Faktor hinzu, der im Live-Erlebnis von unschätzbarem Wert ist: Das Publikum verhielt sich außerordentlich diszipliniert und still. Wenig Huster und nur zwei vernehmbare Handys – eines freilich im magischen Einsatz des Chors – trübten den Abend kaum.

Der erste Satz gewann durch viele schöne Details großen Zauber. Man hatte sofort Bilder im Kopf: Nebel über einem See; weitere Momente, die mit „durch Nacht zum Licht“ treffend beschrieben wären (C-Dur!); sowie feinste Schönheiten, wie die chromatische Tonleiter abwärts am Satzende in den Harfen.

TOZ rabaukenhai (c) Reinhard A.Deutsch

Leider applaudierte das Publikum beim Auftritt der beiden Gesangssolistinnen, Mari Eriksmoen und Anna Lucia Richter, die rechts und links vom Dirigentenpodest Platz nahmen und das Geschehen hinter ihnen in der Partitur verfolgten.

Der zweite Satz begann aufreizend langsam, zögerlich geradezu, man wähnte sich in diesem Ländler plötzlich in einer Barke auf dem See von vorhin, die erfrischenderweise kein Ziel hat, und selbst die einzige langweilige Stelle, wo Mahler wiederholt auf einem Es verharrt, wurde von Järvi mit Leben gefüllt: eine Entdeckung der Langsamkeit.

Attacca ging es in die Fischpredigt, tänzelnd und federnd die Wellenbewegungen – auch hier entstand in meinem Kopf das Bild einer Barke auf einem See. Naturnah klang es durchweg, insbesondere in der tirilierenden, Vogelgesang evozierenden Flöte, und der Einsatz der Triangel sorgte gar für böhmische Stimmung.

Anna Lucia Richter hörte ich nach ihrem Fachwechsel vom Sopran zum Mezzo erstmals, und ihr warmes, dunkles Timbre klingt fabelhaft. Sie hat für meine Begriffe ein zugänglicheres Vibrato als ihre Sopran-Kollegin, das vollkommen natürlich klingt. Nicht nur die ersten Worte des Urlicht-Texts („O Röschen rot“) wurden mit größter Deutlichkeit artikuliert. Der gesamte Saal lauschte wie gebannt.

Tonhalle Orchester Zuerich fotografiert am 14.12.2023 in Zuerich. Photo Tonhalle-Orchester Zuerich / Gaetan Bally

Zu Beginn des Finalsatzes gibt’s gehörig was auf die Ohren. Es kracht, scheppert und dröhnt bisweilen gewaltig, etwa auch im großen Crescendo (grandios hier das Schlagwerk), und so soll es durchaus sein, aber Järvi nutzte auch die lyrischen Momente, um geradezu an die Himmelspforte anzuklopfen. Der Choral von Posaunen, Kontrafagott und Tuba erzeugte wohlige Schauer und kontrastierte mit den lauten Stellen. Herrliche stille Momente entstanden im Posaunensolo wie im Fernorchester.

Der erste Einsatz der erst 2011 gegründeten Zürcher Sing-Akademie (Einstudierung: Florian Helgath) war magisch, himmlisch, göttlich. Ein Handyklingeln brachte uns schnell in irdische Gefilde zurück. Schade!

Die Solistinnen leiteten mit „O glaube!“ die Apotheose ein, die mit voller Kapelle inklusive Orgel einen fantastischen Abend zu einem krönenden Abschluss brachte. Das „Wow!“ einer Einzelperson sprach für alle.

Ein Abend, der lange nachhallen wird.

Brian Cooper, 2. Dezember 2025, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

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