Philharmonie im Gasteig: Hymne an die Neue Musik

David Afkham, Gautier Capuçon, Münchner Philharmoniker,  Philharmonie im Gasteig, München

Foto:  © Gisela Schenker
Philharmonie im Gasteig, München, 
27. Oktober 2018
David Afkham, Dirigent
Gautier CapuçonVioloncello
Münchner Philharmoniker

Messiaen – Dutilleux – Brahms

von Anna-Maria Haberberger

„Les Offrandes oubliées“ von Olivier Messiaen erklingt als erstes Werk des Abends. Messiaen, den eine feste Verwurzelung zum christlichen Glauben – die sich in diesem Werk wiederfindet – charakterisierte, komponierte mit seinem ersten vollgültigen Orchesterwerk eine symphonische Meditation, so der Untertitel. Das Werk ist dreiteilig aufgebaut: „La Croix“ (Das Kreuz), „Le Péché“ (Die Sunde) und „L ́Eucharistie“ (Die Eucharistie).

So beginnt der erste Teil mit einer langen, innigen und zugleich leidenden Melodie in den Streichern, worüber Akkorde in typischer Messiaen‘ scher Kompositionsart liegen, die die zarte, meditative Artikulation der Streicher festigen. Interessant ist hier die vom gregorianischen Choral inspirierte Linie der Melodie, die – zeitlich behaftet – nicht mehr tonal gebunden ist und sich so den musikgeschichtlichen Verhältnissen einfügt.

Den wirkungsvollen Kontrast dazu bildet „Le Péché“: Ein äußerst unruhiger und explosiver Satz, der im Orchester immer mehr an Vitalität und Kraft gewinnt. Gefolgt von den hauchzarten Pianissimi des dritten Satzes, die das Orchester im Tutti bezaubernd sacht erklingen lässt: Diese leisen Töne wandeln nicht mehr auf dieser irdischen Welt, sie schweben in höheren Sphären – brillant und unheimlich nuancenreich wie der großartige Dirigent David Afkham das Orchester hier führt.

Messiaen erzeugt in diesem Werk eine religiöse Atmosphäre, in der sich Reinheit und Verklärung gar exemplarisch zeigen und durch klagend zarte Passagen die Spannung des Publikums bis zur letzten Sekunde anhält.

Im expressiven Konzert für Violoncello und Orchester „Tout un monde lointain…“ des Komponisten Henri Dutilleux brilliert der Solist Gautier Capucon. Der französische Komponist des 20. Jahrhunderts bediente sich in jedem der fünf Sätze jeweils einem kurzen Fragment verschiedener Gedichte Baudelaires – es war nicht das erste Mal, dass Dutilleux außermusikalische Vorlagen für eines seiner Werke verwendete. Dutilleux schuf mit diesen Sätzen ein individuelles Meisterwerk seines eigenen Stils: träumerische Klangwelten, die gleichzeitig aber bewusst changieren und an Debussy und Berlioz erinnern. Eine besondere Mischung aus Cluster-Akkorden, wie auch einem Beet an Klängen, die im selben Moment unheimlich feine und vielschichtige Paletten an Farben entfalten.

Das Orchester führt vom ersten Satz, dessen Titel „Énigme“ (Rätsel) zum Programm wird, durch zellenartige Melodien im Solo-Cello. Diese Melodien liegen von der ersten bis zur letzten Sekunde über einem Klangapparat der Schlagwerke und breiten sich im Verlauf durch alle Instrumente des Orchesters aus.

Im dritten Satz fängt nicht nur durch den an einen Schiffbruch erinnernden Umbruch die Musik an zu pulsieren, vielmehr lässt sie auch das Orchester und den Solisten Gautier Capuçon zwischen wogenartigen Gesten und aggressiven Durchbrüchen meisterhaft musizieren.

Das Solo-Cello brilliert gänzlich — wobei ihm vor allem die hohen, gar klirrenden Töne meisterhafte Virtuosität abverlangen. Die Musik wirkt wie eine Art Puzzle, das sich aber nicht leicht zusammenbauen lässt, sondern dessen Teile sich überlappen und im Gesamten zu einer anderen Welt führen, die ihre eigenen Regeln und Anforderungen kennt. Diese entfernte Welt, wie die Übersetzung des Werktitels heißt, erschafft Gautier Capuçon grandios. Orchester und Cello scheinen Eins zu werden, wobei sich gleichsam jedes einzelne Instrument von Raum und Zeit abhebt und direkt auf den Hörer einwirkt. Ein unheimlich tolles Klangerlebnis, das vom Dirigenten dynamisch bemerkenswert verwirklicht wird. Nach einer Stunde Neuer Musik lechzt das Publikum richtig nach der wohlverdienten Pause.

Brahms symphonisches Erstlingswerk folgt. Diese Symphonie in c-Moll galt zu damaliger Zeit als große Hürde für den Komponisten und seine Zeitgenossen, da sie dem direkten Vergleich der revolutionären Neunten des Ludwig van Beethoven ausgesetzt war. Die melodieführende Oboe zusammen mit symphonischem Tutti und zugleich kraftvoller Spannung überzeugen in vollen Zügen. Das Orchester musiziert den inständigen Willen Brahms, seine Symphonie auf Augenhöhe zu Beethovens Komposition zu bringen und bildet ein musikalisches Spektrum an spätromantischen Klängen. Dem Motto „ad aspera ad astra“ entsprechend, beendet das Orchester das Finale feierlich und glanzvoll in C-Dur und entlockt dem Publikum feierlichen Applaus.

Ein toller Abend ganz im Sinne des letztens Satzes des Cello-Konzerts des Komponisten Henri Dutilleux: Eine Hymne an die Neue Musik!

Anna-Maria Haberberger, 27. Oktober 2018, für
klassik-begeistert.de

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