Chinesisches Neujahrspektakel in Brüssel: Klassik verschmilzt mit fernöstlicher Klangkraft

Pang Kapang, Zhu Changyao, Kang Qiaoxuan, Suzhou Chinese Orchestra, Brüssel, 21. Januar 2019

Foto:  Quelle: https://www.bozar.be/
BOZAR, Brüssel, 21. Januar 2019
Pang Kapang, Dirigent
Zhu Changyao, Erhu
Kang Qiaoxuan, Violoncello
Suzhou Chinese Orchestra

von Daniel Janz

Wer in Erwartungen eines Sinfonieorchesters am Montag in Brüssel den Palast der Schönen Künste betrat, erlebte eine Überraschung. Mit 90 Musikerinnen und Musikern hat das junge Suzhou Chinese Orchester zwar vollwertige Orchestergröße. Violinen, Oboen oder Blechbläser sucht man hier allerdings vergebens. Was dieses Ensemble stattdessen einzigartig macht, ist der beinahe ausschließliche Einsatz von Instrumenten aus chinesischer Traditionalmusik bei gleichzeitiger Orientierung an mitteleuropäischer Musiktradition. Daraus entsteht ein einzigartiger, faszinierender Gesamtklang zwischen Jahrtausende alter ostasiatischer Musikgeschichte und Ausdruckskraft europäischer Romantik.

Das ganze ist ein Projekt, in dem reines Herzblut steckt. Fast alle Werke dieses Abends wurden extra für dieses Ensemble arrangiert oder sogar komponiert. Pang Kapang ist weltweit einer der wenigen Dirigenten, die sowohl die europäische Klassik als auch die chinesische Traditionalmusik gemeistert haben und nun miteinander verbinden. Die Gründung dieses Orchesters im Jahr 2017 geht auf ihn zurück.

Die Aufführung an diesem Abend offenbart ein hohes Maß an Virtuosität und musikalischem Feuer. Der ostasiatische Einfluss ist dabei unüberhörbar. Würde man es oberflächlich betrachten, ließen sich die Werke mit pentatonischer Harmonie, viel Fokus auf der Flöte und überbordendem Schlagwerk zusammenfassen.

Diese Sicht ist aber zu banal, wie die in China inzwischen populäre „Frühlingsfest Ouvertüre“ des 1919 in Hong Kong geborenen Komponisten Li Huanzhi demonstriert. Das Werk über seine Lebenserfahrungen in Yan’an verfügt über einen ungewöhnlich direkten Einstieg. Sofort wird klar, dass chinesische Tradition auch zu großer Symphonik fähig ist. Schillernde Figuren in Flöte und Sheng – eine früher diatonisch, heute chromatisch gestimmte Mundorgel, erhältlich in allen Registern – wiegen sich im Tanzrhythmus zum vollen Orchester und erzeugen echte Frühlingsgefühle. Klassisch im europäischen Sinne ist der Aufbau nach dem Schema A – B – A. Ein überzeugender Einstand.

Auch das Werk „Jasminblüte“ von Liu Wenjin (1937 – 2013) besticht durch musikalische Klangsprache. Der tiefe Einstieg im Kontrast zu hallenden Glockenschlägen schafft eine Atmosphäre sphärischer Ruhe. Die Dizi – das chinesische Pendant zur Flöte – stellt auch hier das Zentrum der Melodieführung dar und wird von der Liuqin – einer Art Laute, im Klang vergleichbar mit der Mandoline – untermalt. Schlagzeug und Glocken leiten einen fulminanten Höhepunkt ein, bevor das Orchester sanft ausklingt und ein zweiter, expressiver Part folgt.

Nicht nur dem Dirigat Kapangs ist es zu verdanken, dass sich dieses auf dem chinesischen Volkslied „Molihua“ basierende Werk trotz ähnlicher Klänge vom ersten absetzt. Auch die klare Kontrastierung und technische Perfektion der Musiker tragen zur Vollendung einer facettenreich aufgebauten Komposition bei. Wieder stehen Melodie und Formgebung im Vordergrund, die sich diesmal mit einem spätromantischen Rondo vergleichen lässt.

Das Werk „Schmetterlingstraum“ ist indes deutlich länger, als die beiden vorherigen. Der ebenfalls chinesische Komponist Zhao Ji-ping hat an dieser Komposition für Solocello und Orchester beinahe 10 Jahre verbracht, bevor es 2006 seine Uraufführung erlebte. Vertont werden in ihm die philosophischen Vorstellungen von Tschuang-tse aus dem 4. Jahrhundert vor Christi. Seele wird diesem Stück durch die bezaubernd auftretende Solistin Kang Qiaoxuan aus Taichung, Taiwan, verliehen.

Tatsächlich fasziniert diese Komposition nicht nur harmonisch. Auch die Rücknahme der Instrumentenklassen besticht. Während bei den vorherigen Stücken das Tutti dominierte, erhalten hier einzelne Stimmen Raum. Das erzeugt spannungsreiche Kontraste, an denen es in den ersten Werken mangelte. Es brillieren erneut die Dizi, ein flirrender Klangteppich wird durch die Erhu – das chinesische Pendant zur Bratsche – erzeugt. Gegen diese setzt sich der zarte Klang des Solocellos besonders gut ab; Kang Qiaoxuan füllt mit Hingabe und ihrem perfekten Ansatz den Raum und zeichnet musikalisch den sanften Flügelschlag eines Schmetterlings nach. Großartig!

Parallelen zur klassich-romantischen Musiktradition Mitteleuropas werden hier offensichtlich. Leise, düstere Passagen mit Trommel und Tamtam erinnern an Gustav Mahlers Lied von der Erde. Magische Momente spendet das Glockenspiel, während Cello und Solo-Erhu nach einem Orchesterorgelpunkt umeinander tänzeln. Anschließend stimmen weitere Soloinstrumente in dieses Spiel ein und bezaubern.

Diese Klangidylle kaschiert jedoch nicht, dass die Komposition auch Schwächen aufweist. Gegen das volle Orchester sowie das Spiel der Suona – ein Blasinstrument ähnlich der Oboe, klanglich aber eher als Mischung aus Klarinette und Trompete zu beschreiben – kann sich das filigrane Solocello trotz Qiaoxuans perfektem Spiel nur schwer durchsetzen. Auch die ständige Themenwiederholung ermüdet mit der Zeit. Glücklicherweise findet dieses Werke nach einer beeindruckenden Einzelpartie der Solistin zu einem Ende, bevor es langweilig wird.

In den lyrischen Variationen – besser bekannt unter dem Titel „Variations of Emotion“ – vom zeitgenössischen chinesischen Komponisten Liu Changyuan tritt dann zum ersten Mal ein Gewöhnungseffekt auf. Auch hier überwiegen Tutti, Dizi-Spiel und starke rhythmische Konnotierung. Für sich genommen ist auch dieses dreisätzige Werk äußerst spannend. Der Makel im Kontext des Programms besteht aber darin, dass man all dies zuvor schon in drei anderen Werken gehört hat. Abwechslung verschaffen hier lediglich lyrische Klänge von Harfe und Xylophon. Starre Trommelrhythmen erinnern stattdessen an Marschmusik.

Ähnlich ergeht es auch dem Werk „Mondschein über zweiter Quelle“ von Hua Yanjun. Der Solist Zhu Changyao, der heute die Hauptmelodie vertont, arrangierte es extra für dieses Ensemble. Auf seiner von ihm persönlich spezial angefertigten Erhu vertont er diese pentatonische Musik filigran, wie es wohl sonst kein Zweiter könnte. Dem harmonisch armen Stück verleiht er so eine Note ostasiatischer Sehnsucht.

Dabei bleibt es aber auch bei dieser eher schlichten die Komposition. Es ist schade, dass sie außer dem charmanten Auftreten Zhu Changyaos auf Weltklasseniveau keine weiteren neuen Eindrücke beitragen kann. Dem Solisten hätte man hier ein spannenderes Stück gewünscht. Dieser Mangel an Abwechslung im Programm ist aber sicher auch auf fehlendes Repertoire zurückzuführen und lässt sich in Zukunft durch weitere Kompositionen womöglich beheben.

Das es auch anders geht, offenbart das letzte Stück des Abends „Macau Capriccio“. Schon den ersten Tönen ist anzuhören, dass diese epische Suite völlig zurecht das Hauptwerk des Abends ist. Fünf Szenen des Alltagslebens aus Macau werden musikalisch von der Komponistin Wang Danhong so lebhaft nacherzählt, dass es wohl auch ein Richard Strauss nicht besser hätte machen können.

Allen Instrumenten kommen hier schillernde Soli zugute. Spannungsreiche Kontraste aus Einzelmelodien und vollem Klang untermalen jede einzelne Szene und verleihen jedem Motiv kraftvollen Nachdruck. Das ist Musik auf höchstem Niveau mit Ohrwurm-Charakter. Einer Komposition Tschaikowskis oder Brahms’ steht dieses Werk jedenfalls in nichts nach. Die gut 20 Minuten Aufführungsdauer vergehen dadurch wie im Flug.

Das bleibt auch nicht ohne Lohn. Nachdem die vorherigen Werke des Abends alle Applaus ernten konnten, hält es das Publikum nach diesem musikalischen Feuerwerk nicht mehr in den Sitzen. Stürmisch klatschen sie Stehende Ovationen, zahllose Bravorufe krönen eine durch und durch tadellose Leistung.

Angestachelt davon gibt das Orchester gleich mehrere Zugaben zum Besten, darunter Rossinis Galoppfanfare aus William Tell und den Donauwalzer von Johann Strauss. Mindestens so mitreißend wie die Originale erstrahlen diese Ouvertüren in einem völlig neuen Klanganstrich, den man so nie für möglich gehalten hätte. Das ist Kunst pur und verdient größte Anerkennung. Man möchte diesem Orchester jedenfalls zurufen: Kommen Sie gerne öfter nach Europa!

Zu vielen der in diesem Beitrag genannten Werke existieren Aufnahmen des Suzhou Chinese Orchesters unter der Leitung von Pang Kapang auf Youtube, z.B. das Werk Macau Capriccio unter: https://www.youtube.com/watch?v=Ek7tVi51VwE. Ferner wird ein Exklusivinterview mit ihm sowie dem Solisten Zhu Changyao auf diesem Blog folgen.

Daniel Janz, 23. Januar 2019, für
klassik-begeistert.de

Li Huanzhi– „Frühlingsfest Ouvertüre“ (1955) – arrangiert von Peng Xiuwen
Liu Wenjin– „Jasminblüte“ (1994) – Bearbeitung für Orchester
Zhao Ji-ping– „Der Schmetterlingstraum“ – Konzert für Violoncello und Orchester (2006)
Liu Changyuan– Lyrische Variationen (2003)
Hua Yanjun– „Der Mondschein über der zweiten Quelle“ (1949) – Konzert für Erhu und Orchester, arrangiert von Zhu Changyao
Wang Danhong – „Macau Capriccio“(2015)

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