Foto: Arcadi Volodos © Marco Borggreve
Wiener Konzerthaus, Großer Saal, 30. Oktober 2018
Arcadi Volodos, Klavier
von Jürgen Pathy
„Be prepared for big sound“! Unter diesem verheißungsvollen Motto erstrahlt der Prachtbau des Wiener Konzerthauses am Dienstagabend, denn kein Geringerer als der Tastengott höchstpersönlich, der Ausnahmepianist Arcadi Volodos, beehrt die Musikhauptstadt Wien. Im Gepäck des Virtuosen tummeln sich drei bekannte Gesichter der Romantik: Sergei Rachmaninoff, Alexander Skrjabin und der morbide Franz Schubert – doch die Auswahl der Stücke ist ungewöhnlich.
Arcadi Volodos spielt, wonach er Lust hat, der Russe mit Wohnsitz in Spanien schert sich nicht um Konventionen – Volodos hievt regelmäßig verstaubte Frühwerke des österreichischen Komponisten Franz Schubert aus der Versenkung. An diesem Abend erweckt er die erste Klaviersonate des erst achtzehnjährigen Schubert zu frischem Leben – einen fröhlichen Schubert, der noch voller Optimismus durch die engen Wiener Gassen hüpft. Doch die Welt wird schnell düster: Morbider, melancholischer färbt sie sich bei den „Sechs Moments musicaux“, bei denen der gute Schubert bereits zwischen Himmel und Abgrund wandelt – die einzige Konstante: der bezaubernde Klang des Klaviers, die Virtuosität des Arcadi Volodos.
Und Virtuosität bedeutet bei Volodos mehr als eine rein-technisch einwandfreie Fingerübung. Ein begnadeter Virtuose wie er, spielt mit der größtmöglichen Simplizität. Volodos holt selbst aus schlichten, poetischen Stücken verschiedene Klangabstufungen heraus, behandelt das Pedal sorgsam und lässt Obertöne singen. Virtuosität ist bei Volodos etwas Subtiles, Verschlossenes, das der Zuhörer nicht unbedingt sieht – doch es gibt sie, die seltenen Momente des Glücks!
Momente in denen das Publikum den Interpreten und den Flügel völlig vergisst, einzelne Noten in den Hintergrund rücken und sich ein magisches Tor zu einer anderen Welt und Zeit offenbart. Es sind die unendlichen Weiten der russischen Steppe, die Nostalgie des Sergej Rachmaninoff, die sich beim Prelude in h-Moll tief in der Seele verankern. Gefolgt von der schizophrenen Welt des Alexander Skrjabin, dessen Musik die monumentalen Säulen des großen Saals zu bedrohlichen Fratzen verwandelt, zu einem Flammeninferno, das zu Beginn des Ersten Weltkriegs die Apokalypse prophezeit.
„Seien Sie auf mächtigen Sound vorbereitet“! Diese nachhaltigen Worte hatte einst kein Geringerer verkündet als der große Pianist Vladimir Horowitz, bevor er die „Vers la flamme“ des Alexander Skrjabin zum Lodern brachte. Und in diesem Sinne ist das bunte Publikum des Wiener Konzerthauses auch bereit gewesen: Von Markus Hinterhäuser, dem Intendanten der Salzburger Festspiele, bis hin zu den Asthmatikern, alle wurden sie von diesen dämonischen Visionen gefesselt – der Tastengott Arcadi Volodos hat sie letztendlich alle zum Schweigen gebracht, hat sie alle in seinen Bann gezogen!
Jürgen Pathy (klassikpunk.de), 31. Oktober 2018, für
klassik-begeistert.at und klassik-begeistert.de
Franz Schubert
Sonate E-Dur D 157 (1815)
Sechs Moments musicaux D 780 (1823-1828)
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Sergej Rachmaninoff
Prélude cis-moll op. 3/2 (Morceaux de fantaisie) (1892)
Prélude Ges-Dur op. 23/10 (1903)
Prélude h-moll op. 32/10 (1910)
Zdes‘ khorosho. Romanze. op. 21/7 (Bearbeitung für Klavier solo: Arcadi Volodos) (1902)
Serenade b-moll op. 3/5 (Morceaux de fantaisie) (1892/1940)
Etude c-moll op. posth. 33/3 (Etudes-tableaux) (1911)
Alexander Skrjabin
Mazurka e-moll op. 25/3 (1898-1899)
Caresse dansée op. 57/2 (Zwei Stücke) (1908)
Enigme op. 52/2 (Drei Stücke) (1907)
Flammes sombres op. 73/2 (Deux danses) (1914)
Poème op. 71/2 (1914)
Vers la flamme. Poème op. 72 (1914)
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Zugabe:
Franz Schubert
Menuett cis-moll D 600 (1814 ?)
Federico Mompou
Jeunes filles au jardin (Scènes d’enfants »Kinderszenen« Nr. 5)
Johann Sebastian Bach
Siciliana (Concerto d-moll BWV 596) (1708-1717)
Alexander Skrjabin
Prélude op. 37/2 (1903)