Gregory Kunde ©Chris Gloag
Als Autor sollte man den Zeitgeist kritisch begleiten. Unabhängig von den eigenen Überzeugungen. Friedrich August von Hayek ist so ein Thema. Der hat momentan nicht gerade Konjunktur. Aber in einer Kolumne für klassik-begeistert? Nun, heute gab´s eine prima und musikalisch vollauf überzeugende Steilvorlage.
Giacomo Puccini / La Fanciulla del West
Philharmonisches Staatsorchester Hamburg
Chor der Hamburgischen Staatsoper
Antonino Fogliani / Dirigent
Hamburgische Staatsoper, 21. März 2025
von Jörn Schmidt
Friedrich August von Hayek (1899–1992) gilt als einer der prägenden Ökonomen des 20. Jahrhunderts und intellektueller Gegenspieler von John Maynard Keynes (1883-1946). 1974 erhielt Hayek den Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften. Für seine Arbeiten zur wechselseitigen Abhängigkeit von wirtschaftlichen, sozialen und institutionellen Verhältnissen.
Zu Hayeks Ansichten zählt, dass zu viele Regeln schaden. Seine Herleitung ist so simpel wie einleuchtend. Wenn der Staat Regeln schafft, möchte er damit oftmals einen als ungerecht empfundenen Sachverhalt regeln.
Sie kennen solche Sachverhalte, wo Sie spontan nach dem Gesetzgeber rufen. Das ist edel, und wenn der Gesetzgeber eingreift, ist das in der Regel gut gemeint. Aber, so Hayek, das ist nicht immer gut gemacht.
Denn so manche Regel schafft eine Vielzahl neuer Probleme. Was dann erneut den Gesetzgeber auf den Plan ruft. Das geht dann so weiter, meint Hayek. Und irgendwann hat man eben zu viele Regeln, was für Wirtschaft und Gesellschaft lähmend sein kann.
Daher heißt eines der Hauptwerke Hayeks auch Der Weg zur Knechtschaft. Mir scheint, dass Familientherapeuten sich diesen Ansatz zu eigen gemacht haben. Der dänische Therapeut Jesper Juul hat sich mal zitieren lassen:
„Wenn man zu viele Regeln aufstellt, werden Kinder entweder unterwürfig oder kriminell.“ Apropos, im Berufsleben sind Regeln auch ein zweischneidiges Schwert. Andreas Schmidt, der Herausgeber von klassik-begeistert, macht mir beinahe keine Vorgaben. Anderenfalls würde es Auf den Punkt nicht geben. Und das wäre doch schade.
Aber eine Welt mit zu wenig Regeln, das möchte man auch nicht. Wie das aussieht, habe ich mir heute Abend an der Staatsoper Hamburg angesehen. Da braucht es nicht viel, und plötzlich ist Lynchjustiz salonfähig.
Im Rahmen der Italienischen Opernwochen wurde an der Staatsoper Hamburg endlich mal wieder Giacomo Puccinis La Fanciulla del West gegeben. Manche halten das Werk für Puccinis beste Partitur, andere wiederum belächeln das Werk als Western-Oper.
Wie auch immer, die Oper spielt im Sinne der Dogmatik Hayeks in einer sehr archaischen, sogenannten spontanen Ordnung. Auch kosmos genannt. Konkret in einer Goldgräbergesellschaft, in der jeder seine Ziele mit eigenen Mitteln verfolgt.
Das Gegenteil ist taxis, eine Organisation mit konkreten Regeln, die in Form von Geboten formuliert sind. Bei Puccini ordnen an Stelle des Staates drei Personen die Gesellschaft. (1) Minnie, die Bardame, gesungen von der Neapolitanerin Anna Pirozzi (Sopran). (2) Außerdem Jack Rance, wenn man so will der Dorfpolizist. Claudio Sgura leiht ihm seinen Bariton. Auch er Italiener. Und dann ist da noch der Tenor Gregory Kunde, von mir zuletzt in Hamburg gesehen als Peter Grimes. Ein über alle Zweifel erhabener Künstler. Zudem designierter Patron und Mentor des Internationalen Opernstudios der Staatsoper Hamburg. Welch ein Glück für Hamburg. (3) Heute gab Kunde als Dick Johnson den Bad Guy.
Klar, dass diese eine künstlerisch überaus glückliche Konstellation war. Zumal Antonino Fogliani am Pult stand, der bereits maßgeblich am Erfolg der Premier von Maria Stuarda beteiligt war. Seine Tempi waren dieses Mal weniger breit, das Dynamik-Spektrum dagegen erneut groß.
Übrigens, wie jeder gute Poker-Spieler hatte Fogliani ein Ass im Ärmel – einen verlängerten Arm im Orchester, der die vertrackte Rhythmik der Partitur dänisch entspannt in den Graben trug: Solo-Pauker Jesper Tjærby Korneliusen.
Den Sängern blieb Raum zum schmachten und leiden. Kundes Tenor ist immer noch lebendig, wach und reaktionsschnell und seine Klangfarbe sensationell. Außerdem klug haushaltend. Schauspielerisch liegen ihm schwierige Charaktere ohnehin. In diesem Falle der liebenswerte Bösewicht.
Das passt gut zum Rollenverständnis Sguras. Der Sheriff nimmt er als Bad Cop. Setzt auf Wut und Wucht, gerade in den höheren Lagen. Andere Emotionen würde sein Bariton ohne Weiteres hergeben, aber aufrechte Liebe kennt der Ordnungshüter nicht.
Pirozzis Sopran war üppig. Wie ein vollmundiger Rotwein, der viel Sonne gesehen hat. Dabei mit samtigem Glanz gleich schmelzendem Karamell. Das braucht es aber auch, wenn man es mit Jack und Dick und all den Goldgräbern aufnehmen möchte.
Der Goldgräber-Gesellschaftsentwurf fuhr dagegen voll gegen die Wand. Von wegen Western-Oper. Puccini hat die seinerzeitigen wirtschaftlichen, sozialen und institutionellen Verhältnisse grandios vertont. Im Stile eines Nobelpreisträgers.
Jörn Schmidt, 22. März 2025, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
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