PREMIERE: Mozart erstrahlt in der Staatsoper Hamburg – "Welche Wonne, welche Lust!"

Die „Entführung“ von Mozart: Ein Comic-Strip, oh nein, wir greifen zu kurz, ein rechter Trickfilm – einem „jungen Publikum“ die Handlung mit Spaß und großer Kunstfertigkeit vermittelnd.

Staatsoper Hamburg, 17. Oktober 2021 (Premiere)
Wolfgang Amadeus Mozart, Die Entführung aus dem Serail

Fotos: Jörg Landsberg (c)

von Harald N. Stazol

Dass ein winziges Persönchen überragend sein kann, hat man schon gehört. Hörte man Naera Son als „Blonde“ an diesem Abend an der Staatsoper Hamburg – das Dirigat unter Ádám Fischer hatte einige Rasanz – nun, dann war die resolute kleine Punk-Lady in Doc-Martens-Stiefeln eine der Offenbarungen im äußerst sicherheits-spärlich besetzten Saale, die dieser „Entführung aus dem Serail“ etwas Einzigartiges geben: „Es ist ein Stück für junge Leute“ ist die erste Meinung, die man hört, die einer emeritierten Klassikjournalistin, da ist der Applaus schon vier – nein: fünfmal aufgebrandet, und zum ersten Mal sieht man diesen Zausel von jungem Regisseur, der soeben ein Wunder vollbracht hat, ach was: eigentlich zwei. Ganz vielleicht sogar drei.

Das Erste: Binnen nur zweier Wochen (!!!) eine gesamte Inszenierung aus dem Elbsand zu stampfen, nachdem man sich aus bislang unbekannten Gründen von Paul-Georg Dittrich verabschiedete, „Frisch zum Streite, frisch zum Kampf!“, oder „Nach intensiven Gesprächen und in gegenseitigem Respekt, blablabla, aufgrund künstlerischer Unvereinbarkeiten zu beenden.“ Unvereinbarkeiten. Das muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen. Bei der „Entführung aus dem Serail“? Das ließ denn doch dann aufhorchen. „Welchen Schmerz die Trennung macht“… „Wolfgang Amadeus Mozart, Die Entführung aus dem Serail
Staatsoper Hamburg, 17. Oktober 2021 (Premiere)“
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Hamburg Ballett: Emilie Mazon fesselt als Ophelia von Anbeginn an

Hamlet 21, Ballett von John Neumeier in der Hamburgischen Staatsoper Leidenschaftlicher: die alternative Besetzung, 15. Oktober 2021

Emilie Mazon fesselte als Ophelia von Anbeginn an, zunächst als verspielte, glückliche, sich der ersten Liebe zärtlich Hingebende, später als bipolar Gestörte mit tänzerischer Auslotung der Höhen und Tiefen einer gequälten Seele

Nach der Aufführung: Marc Jubete (Horvendel), Yaiza Coll (Geruth), Emilie Mazon (Ophelia), Matias Oberlin (Fenge), Lizhong Wang (Koller, Fortinbras), Louis Haslach (Polonius), Nicolas Gläsmann (Horatio) und Alexandr Trusch (Hamlet)

von Dr. Ralf Wegner (Text und Fotos)

Wie bei fast allen großen Neumeierballetten werden seine Choreographien bei jedem neuen Sehen tiefgründiger und fesselnder. Manches erscheint geradezu neu, wie bisher noch nicht gesehen. So erging es mir auch gestern. Am Ende des Stücks wird zwar wieder die Schulstube gezeigt und Shakespeare mit Der Rest ist Schweigen zitiert; zuvor traten aber alle Tänzerinnen und Tänzer sich begrüßend wie nach einem Theaterstück auf, also auch jene, die den Bühnentod erlitten hatten. Es war eben alles nur ein Spiel.

Und gespielt wurde hervorragend, vor allem von dem Protagonisten des Stücks, Alexandr Trusch. Physisch intensiv und darstellerisch umwerfend nahm er sich der Rolle des Hamlet an. Das war eine großartige Leistung, die am Ende auch entsprechend bejubelt wurde. Diesmal stimmte auch die Chemie zwischen den Paaren Alexandr Trusch und Emilie Mazon (Ophelia) sowie Matias Oberlin (Hamlets Onkel Fenge) und Yaiza Coll (Hamlets Mutter Geruth). Yaiza Colls Aura als Geruth war beeindruckend. Hin und hergerissen zwischen zwei Männern gab sie sich mehr und mehr der Liebe zu ihrem Sohn Hamlet hin, konnte sich aber auch nicht der erotischen Triebkraft Fenges, vorzüglich von Matias Oberlin getanzt, erwehren. „Hamburg Ballett, John Neumeier, Hamlet 21
Staatsoper Hamburg, 15.10.2021“
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"Tosca" fesselt mit Hui He und Andrzej Dobber in Hamburg – Cavaradossi hätte nicht singen dürfen

Staatsoper Hamburg, 8. Oktober 2021

Tosca
Musik von Giacomo Puccini
Libretto von Giuseppe Giacosa und Luigi Illica

Foto: Hui He, © Yunlong Jia

Auch in ihrer 101. Tosca-Vorstellung glänzt Hui He wie keine andere in dieser Rolle. Andrzej Dobber ist ein sehr guter Scarpia, und Chao Deng überzeugt erneut mit einem herausragenden Cesare Angelotti. Alles in einer zeitlosen, genialen Inszenierung von Robert Carsen. 

von Johannes Karl Fischer

Erst kürzlich – am 9. September – habe ich Tosca in Wien gesehen. Die uralte Margarethe Wallmann-Inszenierung, natürlich vom Stehplatz in der Galerie. Jetzt also Tosca in Hamburg, und was für eine Überraschung! Die Floria Tosca, der Scarpia und der Cesare Angelotti waren mindestens genauso gut in Wien. Einzig bei Pavel Černoch wäre ich gespannt gewesen, wie das Wiener Stehplatzpublikum auf seinen Cavaradossi reagiert hätte – wahrscheinlich mit Buh-Rufen. Oder vielleicht hätte man in Wien einen Einspringer gefunden? „Giacomo Puccini, Tosca, Hui He, Andrzej Dobber
Staatsoper Hamburg, 8. Oktober 2021“
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Diese großartige Sängerin ist Tosca 100!

Fotos: © Yunlong Jia

Die international gefeierte chinesische Sopranistin Hui He gastiert gerade an der Staatsoper Hamburg als Tosca in der gleichnamigen Oper von Giacomo Puccini. Sie gibt am Samstag, 2. Oktober, ihre 100. Vorstellung mit dieser Partie – noch gibt es ein paar Karten für diesen großartigen Abend im Haus an der Dammtorstraße (weitere Aufführungen: Freitag, 8. Oktober und Dienstag, 12. Oktober.) Ebenso empfehlenswert übrigens ist ein Besuch von Giuseppe Verdis phantastischer letzter Oper Falstaff mit ausnahmslos sehr guten Solisten (Sonntag, 3. Oktober und Samstag, 9. Oktober.) „Interview, Hui He, Tosca
Staatsoper Hamburg, 1. Oktober 2021“
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Good morning Hamburg: Cavaradossi Totalausfall, sonst wäre es eine gute Aufführung gewesen

Tosca (Puccini) in der Hamburgischen Staatsoper, 29. September 2021

Foto: Han Kim (Sciarrone), Chao Deng (Angelotti), Andrzej Dobber (Scarpia), Hui He (Tosca), Pavel Černoch (Caravadossi), Martin Summer (Sagrestano), Peter Galliard (Spoletta) RW ©.

Was ich bisher noch nie erlebt habe, nach der berühmten Arie E lucevan le stelle rührte sich keine Hand zum Beifall. Insoweit war Černoch als Caravadossi ein Totalausfall, schade; sonst hätte es insgesamt doch eine gute Aufführung werden können.

Nicht verschwiegen werden soll, dass das recht junge Publikum alle drei Protagonisten am Ende bejubelte. Eines bleibt aber festzuhalten, bei einer gelungenen Tosca-Aufführung emotionieren die gesanglichen Leistungen auch ein unerfahrenes Publikum so, dass der Jubel regelhaft das Ende der Arien und Duette begleitet.

von Dr. Ralf Wegner

Anders als in vorherigen Spielzeiten ist es der Operndirektion für die Saison 2021/22 durchaus gelungen, vermehrt namhafte Sängerinnen und Sänger für das Haus an der Dammtorstraße zu engagieren. Den Anfang machten Benjamin Bernheim und Olga Peretyatko in Hoffmanns Erzählungen. Jetzt folgte Tosca mit der weltweit in großen Sopranpartien eingesetzten Hui He.

Sie erfüllte die hoch gespannten Erwartungen. Ihre farbenreiche, große Stimme trug weit in den Raum hinein, mitunter mit etwas zu viel Vibrato. Ihre Arie Vissi d’arte überzeugte durch fließendes Gleichmaß. Mit einem großartigen Andrzej Dobber als Scarpia machte sie den zweiten Akt zum Höhepunkt des Abends. Dobbers Stimme ging zwar am Ende des ersten Aktes mit Va’, Tosca in den Orchesterwogen (Leitung Alexander Joel) unter, das erlebt man aber auch bei zahlreichen anderen herausragenden Sängern dieser Rolle. Dafür zeigte Dobber im zweiten Akt, was singen heißt: Reiches Farbenspektrum, perfektes Legato, Kraft und Stimmschönheit in der Höhe und auch die für die Rolle des Scarpia notwendige Dämonie. Zudem ist Dobber ein guter Darsteller, an dem sich Hui He steigern konnte. „Giacomo Puccini, Tosca
Staatsoper Hamburg, 29. September 2021“
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Als man sich noch Briefe schrieb; immer wieder sehenswert

Staatsoper Hamburg, 28. September 2021
Pjotr Tschaikowsky, Eugen Onegin

Tschaikowskys Oper „Eugen Onegin“ in der Hamburgischen Staatsoper, Wiederaufnahme 

Alexey Bogdanchikov als Onegin und Olesya Golvneva als Tatjana (7. Bild, Foto: RW)

von Dr. Ralf Wegner

Tschaikowskys auf einem Briefroman Alexander Puschkins beruhende Oper, die 1892 unter der Leitung von Gustav Mahler und im Beisein des Komponisten in Hamburg ihre deutsche Erstaufführung erlebte, ist inhaltlich tiefgründig und komplex.

Sie erschließt sich nicht unmittelbar wie Tosca oder La Bohème und findet deshalb oft auch nur einen begrenzten Zuhörerkreis, wie bei der heutigen Wiederaufnahme in der Hamburgischen Staatsoper. Ein kurzer Einblick in Puschkins Roman mit kursiv gesetzten Zitaten lässt den Inhalt der Oper besser verstehen: „Pjotr Tschaikowsky, Eugen Onegin
Staatsoper Hamburg, 28. September 2021“
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„…ma l’amor mio non muor“ – Leidenschaft und Liebe regieren bis zum Ende in der Staatsoper Hamburg

Glücklich darf sein, wer das miterlebt hat. Für Sonya Yoncheva gibt es keine Chrysanthemen, sondern einen großen Strauß roter Rosen!

Staatsoper Hamburg, 12. September 2021
Manon Lescaut – Oper von Giacomo Puccini

Konzertante Vorstellung

Photo: Victor Santiago ©: Sonya Yoncheva

von Dr. Andreas Ströbl

In der Pflanzensymbolik gilt die Chrysantheme als Totenblume und steht für die Erinnerung an einen verstorbenen Menschen. Insbesondere symbolisiert sie die Liebe über den Tod hinaus. Sein Streichquartett „Crisantemi“ komponierte Puccini 1890 als Trauermusik für Herzog Amedeo von Savoyen. Drei Jahre später sollte er das melancholische Thema des Quartetts wieder aufnehmen und zwar in seiner Oper „Manon Lescaut“. Im Vorspiel zum dritten Akt und in der Sterbeszene der Manon im vierten Akt klingt die wehmütige „Crisantemi“-Musik an und könnte in der Blumensymbolik nicht programmatischer sein.

Der Weg zum tragischen Ende der Titelheldin ist lang, schmerzhaft und voller Leidenschaft. In einer konzertanten Vorstellung hat die Staatsoper Hamburg das „dramma lirico“ realisiert und die Enttäuschung darüber, dass der Abend ohne eine phantasievolle Inszenierung mit opulenter Ausstattung bestritten wurde, wog die solistische Starbesetzung und das großartige Orchester unter der Leitung von Francesco Ivan Ciampa auf. Dass die Solisten der großen Rollen vom Blatt sangen, mag dem Umstand geschuldet sein, dass die gespielte Handlung als Geländer fehlte. „Manon Lescaut – Oper von Giacomo Puccini, Sonya Yoncheva (Sopran)
Staatsoper Hamburg, 12. September 2021“
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... wie die Titanic vom Eisberg

Hamburgische Staatsoper, 11. September 2021

Sylvia, Ballett von John Neumeier, die zweite Besetzung

Alessandro Frola (Endymion), Hélène Bouchet (Diana), Madoka Sugai (Sylvia), Markus Lehtinen (Musikalische Leitung), Atte Kilpinen (Aminta), Félix Paquet (Eros/Thyrsis/Orion) und das Ensemble (Foto: R. Wegner)

von Dr. Ralf Wegner

Kilpinen tanzte ausgezeichnet, mit eher überspannt hibbeligen Bewegungen; wie jemand, der von seinen  Gefühlen, nicht aber von der Liebe übermannt wird. Trusch’s Aminta wurde dagegen von der Liebe getroffen, wie die Titanic vom Eisberg.

Bei Neumeier sind die zweiten Besetzungen nicht besser oder schlechter, sie sind anders. Die ursprünglich für die Partie der Sylvia vorgesehene Emilie Mazon tanzte nicht wie zunächst angekündigt, zumindest nicht die Hauptpartie, sondern wie in der Voraufführung eine der Jägerinnen. Dafür wird man sie im Oktober in der Rolle der Ophelia sehen können. Bis auf Madoka Sugai, die abermals eine superbe Leistung zeigte, waren die anderen Rollen neu besetzt, so der gerade 21 Jahre alt gewordene Alessandro Frola mit der des Endymions, Félix Paquet übernahm die Partie des Eros, Hélène Bouchet war Diana und statt Alexandr Trusch wagte sich der erst vor kurzem zum Solisten beförderte Atte Kilpinen an die Rolle des  Aminta. „Sylvia, Ballett von John Neumeier, die zweite Besetzung
Hamburgische Staatsoper, 11. September 2021“
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Zwiespältig: Hoffmanns Erzählungen an der Staatsoper Hamburg

Staatsoper Hamburg, 6. September 2021
Jacques Offenbach, „Les Contes d’Hoffmann“ (B-Premiere)

Kristina Stanek (La Mère), Martin Summer (Maître Luther, Crespel), Angela Brower (La Muse, Nicklausse), Benjamin Bernheim (Hoffmann), Olga Peretyatko (Stella, Olympia, Antonia, Giulietta), Luca Pisaroni (Lindorf, Coppelius, Dr. Miracle, Dapertutto), Gideon Poppe (Andrès, Cochenille, Frantz, Pitichinaccio) (Foto: R. Wegner)

 von Dr. Ralf Wegner

Hauptgrund, diese Aufführung nicht zu verpassen, war der als Hoffmann besetzte, hochgelobte französische Tenor Benjamin Bernheim. Er fing recht unspektakulär mit leicht metallischer, aber uncharakteristischer Stimmfärbung an. Später, im Verlauf der Klein Zack-Arie, weitete sich die Stimme mehrfach in der Höhe sowie im Forte und ließ einem wunderbaren, rotbronzen schillernden Klang Raum. Diese, auch auf langem Atem gehaltenen Töne gingen unter die Haut und ließen auf mehr hoffen.

Womit soll man anfangen, an der Ignoranz, den Bassbariton die Spiegelarie nicht singen zu lassen, an dem ausufernden Bühnenbild oder an der Zusammenhangslosigkeit des Gebotenen? Meine Frau fragte mich zwischenzeitlich, um was geht es eigentlich in dem Stück? Von seiten der Inszenierung wurde es zumindest nicht klar. Auch entwickelt sich keine Chemie zwischen den Protagonisten. Der Zauber der hochromantisch-schaurigen Erzählungen des Dichters E.T.A. Hoffmann wurde von dem Inszenierungsteam um Daniele Finzi Pasca erkennbar nicht umgesetzt. Vor allem blieben Liebe und Leidenschaft, die zentralen Bestandteile der Hoffmannschen Dichtung und auch der Offenbachschen Komposition, weitgehend uninszeniert. Die Bühne war durchaus aufwendig gestaltet, jedes der vier Bilder für sich sehenswert, vor allem der Venedigakt (Bühnenbild Hugo Gargiulo). Die Bedeutung des daneben statffindenden, inszenatorisch gewollten Zirkusgewusels blieb unklar. „Jacques Offenbach, Les Contes d’Hoffmann (B-Premiere)
Staatsoper Hamburg, 6. September 2021“
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Die Spielzeit an der Staatsoper Hamburg beginnt fantastisch

Olga Peretyatko, Chor der Staatsoper Hamburg. Foto: Monika Rittershaus

„Wenn Daniele Finzi Pascas märchenhafte Bilder mit einem fantastischen Solistenensemble zusammentreffen und Offenbachs regenbogenfarbige Partitur in sattem Ton flammt, dann werden Hoffmanns Erzählungen lebendig, dann berühren und begeistern sie.“

Staatsoper Hamburg, 4. September 2021
Jacques Offenbach, „Les Contes d’Hoffmann“ (Premiere)

von Leon Battran

Es war mehr als ein Lebenszeichen, als am Samstag Jacques Offenbachs im besten Wortsinn fantastische Oper „Les Contes d’Hoffmann“ die Spielzeit an der Staatsoper Hamburg eröffnete. Diese zaubrige Musik, die einen nicht loslässt, die bildprächtige Inszenierung, das blendend aufgelegte Gesangsensemble – ein Volltreffer. Genau das brauchte es nach viel zu langer coronabedingter Opern-Abstinenz. Kurzum: Mit „Les Contes d’Hoffmann“ ist der Staatsoper Hamburg ein großer Wurf gelungen. Diese Inszenierung sollte man unbedingt gesehen haben. „Jacques Offenbach, „Les Contes d’Hoffmann“ (Premiere),
Staatsoper Hamburg, 4. September 2021“
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