„…ma l’amor mio non muor“ – Leidenschaft und Liebe regieren bis zum Ende in der Staatsoper Hamburg

Manon Lescaut – Oper von Giacomo Puccini, Sonya Yoncheva (Sopran)  Staatsoper Hamburg, 12. September 2021

Glücklich darf sein, wer das miterlebt hat. Für Sonya Yoncheva gibt es keine Chrysanthemen, sondern einen großen Strauß roter Rosen!

Staatsoper Hamburg, 12. September 2021
Manon Lescaut – Oper von Giacomo Puccini

Konzertante Vorstellung

Photo: Victor Santiago ©: Sonya Yoncheva

von Dr. Andreas Ströbl

In der Pflanzensymbolik gilt die Chrysantheme als Totenblume und steht für die Erinnerung an einen verstorbenen Menschen. Insbesondere symbolisiert sie die Liebe über den Tod hinaus. Sein Streichquartett „Crisantemi“ komponierte Puccini 1890 als Trauermusik für Herzog Amedeo von Savoyen. Drei Jahre später sollte er das melancholische Thema des Quartetts wieder aufnehmen und zwar in seiner Oper „Manon Lescaut“. Im Vorspiel zum dritten Akt und in der Sterbeszene der Manon im vierten Akt klingt die wehmütige „Crisantemi“-Musik an und könnte in der Blumensymbolik nicht programmatischer sein.

Der Weg zum tragischen Ende der Titelheldin ist lang, schmerzhaft und voller Leidenschaft. In einer konzertanten Vorstellung hat die Staatsoper Hamburg das „dramma lirico“ realisiert und die Enttäuschung darüber, dass der Abend ohne eine phantasievolle Inszenierung mit opulenter Ausstattung bestritten wurde, wog die solistische Starbesetzung und das großartige Orchester unter der Leitung von Francesco Ivan Ciampa auf. Dass die Solisten der großen Rollen vom Blatt sangen, mag dem Umstand geschuldet sein, dass die gespielte Handlung als Geländer fehlte.

Das Kunststück, eine Geschichte zu erzählen, ohne sie plastisch darstellen zu können, schaffen in dieser Produktion die Protagonisten in Mimik und Gestik, vor allem aber tut dies Puccinis Musik, die starke Gefühle in Klänge übersetzt. Man hat die „Manon“ schon kitschig und sentimental gehört, aber was Ciampa und das Philharmonische Staatsorchester ausbreiten, ist in Vollkommenheit mitreißend. Die Hamburger spielen die Ouvertüre, die in ihrer Leichtigkeit in so krassem Gegensatz zur tragischen Entwicklung steht, perlend-schwungvoll und luftig.

Dadurch, dass der Chor von den Rängen aus singt, entsteht eine besondere, umfassende Akustik und die – bei der konzertanten Aufführung naturgemäße – Plazierung der Sänger vor dem Orchester verschafft diesen eine hörbare Dominanz – wenngleich Ciampas Dirigat ohnehin sensibel genug ist, um den Klangkörper in der Lautstärke zu bremsen und so die Solisten nicht zu übertönen. Allerdings ist es schwer, zugleich nach vorne und nach hinten zu dirigieren und so geraten manche Einsätze der Herren im Chor minimal versetzt.

Brian Jagde als Des Grieux ist vom ersten Ton an ungemein präsent, dabei ausgesprochen sympathisch in seiner Aufrichtigkeit. Es kommt nicht nur der Rolle, sondern insgesamt seinem Gesang zugute, dass er sowohl über eine Tenor- als auch über eine Baritonausbildung verfügt. Er hätte sich bei den ersten Höhen in der Lautstärke etwas zurückhalten können – in der weiteren Entwicklung und der Darstellung seiner Verzweiflung war dies umso angemessener und gab Verletzung und Schmerz eine wahrhaftige Stimme.

Daniel Kluge bietet als verschmitzt-bubenhafter Edmondo dem Ernst von Des Grieux einen schönen Gegenpart.

Der samtige Streicherklang des ersten Akts ist ein wundervoller Klangteppich, auf dem sich der satte, dabei glockenhelle Sopran von Sonya Yoncheva mit Hingabe räkeln darf. Sie ist eine unbedingt authentische und in der Folge der Geschichte vielschichtige und tief leidende Manon, was mit mehrfachem Szenenapplaus belohnt wurde. Der Bariton Kartal Karagedik als Lescaut musste sich bei den Tutti erst etwas gegen das Orchester behaupten, wurde aber im Laufe des Abends deutlich stärker.

Das Beziehungsgeflecht zwischen Manon und Des Grieux einerseits und Geronte andererseits machen die drei dadurch erlebbar, dass ihr Gesang jeweils ein klarer Spiegel ihrer psychischen Dispositionen ist. Über die tiefe Enttäuschung über den Betrug und die Tatsache, dass er als wütender Gegner nicht zu unterschätzen ist, lässt Tigran Martirossian als Geronte keinen Zweifel.

© Westermann, Staatsoper Hamburg

Ebenfalls zweifelsohne – das war abzusehen – ist der Star des Abends aber Sonya Yoncheva, die ohne Ansatz oder Anstrengung jeden Ton in den Saal wirft, sei es im lyrisch-schmeichelnden Gestus oder in der triumphierenden Hoffnung auf eine Zukunft in Glück und Liebe.

Im Vorspiel zum dritten Akt verdichtet sich gleichsam als emotionale Essenz alles, was diese Oper ausmacht. Die Violinen malen ein trauriges Bild von Einsamkeit und Verlorenheit, es ist ein schwermütiges Schmelzen, das sich zu leidenschaftlicher Klage aufwirft, um bald wieder von der Trauer über das zerronnene Glück eingeholt zu werden. Diese Musik nimmt das dramatische Ende vorweg und verbindet all die seelischen Höhen und Tiefen, die in die Resignation über ein verpfuschtes Leben münden, in dem dennoch festen Glauben, dass irgend etwas doch überlebt. Zwischenapplaus für ein brillantes Orchester.

Auch für den Chor gibt es Applaus, bevor der vierte Akt beginnt, der in seiner Umsetzung noch mehr hält als er verspricht. Erschütterung und Verzweiflung angesichts einer aussichtslosen Situation ohne Hoffnung auf einen guten Ausgang, schließlich Manons Ergebenheit in das unentrinnbare Schicksal und die Beschwörung der den Tod überdauernden Liebe erreichen im Schlussduett eine solche strahlende Wirkung, dass die konzertante Aufführung in diesen letzten Momenten tatsächlich vergessen ist.

Im brandenden Applaus verschafft sich eine begeisterte Zuhörerschaft Erleichterung von dem miterlebten tiefen Schmerz.

Damit könnte dieser Rückblick auf einen beglückenden Opernabend enden, aber eine kritische Anmerkung tut not. Es ist absolut nicht verständlich, dass die Applausordnung alle Rollen außer dem Geschwisterpaar Lescaut und Des Grieux sowie dem Dirigenten ausschloss. Die stehenden Ovationen hätten all die anderen mittelgroßen und kleinen Rollen mitwürdigen können. Daher an dieser Stelle ein lautes „Bravi!“ für alle, die großartige Leistungen ablieferten und zum Gelingen dieser wunderbaren Produktion beigetragen haben!

Zudem hätten die freundlichen Damen und Herren an den Saaltüren gerne noch das Abebben des Beifalls abwarten dürfen, denn das plötzliche Aufreißen der Zugänge verleitete einen Großteil des Publikums zu unhöflicher Hektik.

Glücklich darf sein, wer das miterlebt hat. Für Sonya Yoncheva gibt es keine Chrysanthemen, sondern einen großen Strauß roter Rosen!

Dr. Andreas Ströbl, 13. September 2021, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

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