Lieses Klassikwelt 45: Journalismus

von Kirsten Liese

Anfang Juli erschien ein Buch unter dem Titel „Wie ich meine Zeitung verlor“, geschrieben von dem preisgekrönten Reporter und Romancier Birk Meinhardt. Es gibt mir Anlass, über meinen Beruf nachzudenken, da ich mir ähnliche Fragen stelle wie der Autor: Was läuft falsch im Journalismus? Wie kann es sein, dass Medien, die doch beanspruchen, Mittler der Wirklichkeit zu sein, oftmals wesentliche Details ausblenden, verschweigen oder leugnen und damit „selber einen gehörigen Beitrag leisten zur Radikalisierung, die sich vor unseren Augen vollzieht“? Warum begreifen sie nicht, „dass sie ohne Unterlass mit erzeugen, was sie so dröhnend verdammen?“ Meinhardt hatte sich von der Süddeutschen Zeitung getrennt, nachdem das Blatt zwei seiner Geschichten zensierte.

Wenn ich an meine Anfänge zurückdenke, stelle ich fest, dass das journalistische Selbstverständnis, unter dem ich einmal angetreten bin, längst nicht mehr von allen Beteiligten dieser Branche geteilt wird. Und auch ich wurde schon zensiert. „Lieses Klassikwelt 45: Journalismus“ weiterlesen

Lieses Klassikwelt 44: Bruckner

Ich bin vor vielen Jahren aus der Kirche ausgetreten, aber wenn ich Musik von Bruckner höre, empfinde ich so etwas wie Göttlichkeit. Noch zu meiner Studienzeit hätte ich nicht in Worte fassen können, warum das so ist. Ich war einfach nur emotional berührt von all den herrlichen Themen, die sich durch Bruckners Sinfonien ziehen, gepackt von der aufwühlenden Dramatik, der großen Feierlichkeit, den weihevollen Bläserchören und den imposanten Gipfelstürmen.

von Kirsten Liese

Als ich anfing, mich mit dem genialen Brucknerdirigenten Sergiu Celibidache zu beschäftigen und alles zu wissen begehrte, was er über den Spätromantiker und seine bahnbrechenden Werke zu sagen hatte, wurde mir meine Faszination bewusster. „Was du an Bruckner schätzt, ist nicht seine ‚Musik‘, sondern, was seine Klänge in dir hinterlassen, was absolut nicht fassbar, nicht zu definieren ist“, sagte Celi. Und: „Am Ende einer Bruckner-Symphonie erleben wir ein Gefühl der Vollkommenheit – das Gefühl, durch alles gegangen zu sein“, schließlich ist „niemand soweit wie Bruckner mit seiner klangbezogenen Korrelationsfähigkeit in den Kosmos eingedrungen“. Zwar tun sich zwischen gewaltigen Fortissimo-Klängen auch immer wieder Abgründe auf, wendet sich die Musik nach kraftvollen Passagen in tiefe Depression und Weltschmerz, aber in den finalen Apotheosen siegt immer die Hoffnung auf eine andere Welt und Rettung. „Lieses Klassikwelt 44: Bruckner“ weiterlesen

Lieses Klassikwelt 43: Kirsten Flagstad

von Kirsten Liese

Foto: Kirsten Flagstad, das die Archives der Met für mein Buch „Wagnerheldinnen“ zur Verfügung gestellt haben.

Die Norwegerin Kirsten Flagstad (1895-1962) war eine der größten Wagner-Sängerinnen aller Zeiten und mit ihrer monumentalen Stimme der Inbegriff einer hochdramatischen Sängerin. Nicht zufällig trage ich denselben Vornamen, meine Eltern waren von ihrer Stimme derart fasziniert, dass sie  mich nach ihr benannt haben. Am 12. Juli wäre die Heroine, die ihre Karriere klug disponierte, 125 Jahre alt geworden. Grund genug, sie mit einem Porträt zu würdigen.

Es hat allerdings seine Zeit gebraucht, bevor ich meinen Namen in Ehren halten konnte. Als kleines Kind war ich mit ihm sehr unglücklich, weil nur wenige ihn richtig aussprachen. Oft nannte man mich Kerstin, Kirstin oder Kristin, gelegentlich Christine, und bisweilen hielten die Leute Liese für meinen Vor- und Kirsten für den Zunamen. Es war zum Verrücktwerden, wie gerne hätte ich doch einen so einfachen, unverwechselbaren Namen wie Susanne, Andrea oder Birgit getragen. Als ich mit meiner Mutter darüber sprach, erklärte sie mir, nach wem ich benannt sei. Aber das konnte ich erst würdigen, als ich älter wurde und anfing, mich für historische Aufnahmen zu interessieren. „Lieses Klassikwelt 43: Kirsten Flagstad
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Lieses Klassikwelt 42: Spuk im Barocktheater

von Kirsten Liese

Fotos: drottningholms-slottsteater (c)

Ich möchte Sie heute an einen besonders schönen Ort führen, in dem ich im vergangenen Jahr gerade noch rechtzeitig ohne Einschränkungen eine Aufführung erleben konnte: das schwedische Barocktheater Drottningholm.

Ich habe darüber auch gerade eine Sendung gemacht, die am Freitagabend um 22:05 Uhr im Musikfeuilleton von Deutschlandfunk Kultur ausgestrahlt wurde.

Das Theater  liegt idyllisch am Rande einer weitläufigen barocken Parklandschaft dicht am Wasser und hebt sich von allen anderen europäischen Barocktheatern, zu denen etwa auch das bezaubernde Goethe-Theater in Bad Lauchstädt, das Gothaer Ekhof-Theater, das Markgräfliche Opernhaus in Bayreuth, das Rokokotheater in Schwetzingen  oder das Schlosstheater Versailles gehören, mit seiner original erhaltenen Bühnenmaschine aus dem 18. Jahrhundert ab. „Lieses Klassikwelt 42
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Lieses Klassikwelt 41: Don Carlo(s)

Foto: Anna Netrebko, Semperoper Dresden (c), „Don Carlo“

von Kirsten Liese

Ich habe Anna Netrebkos konzertantes Rollendebüt als Elisabetta im  Don Carlo leider verpasst. Die vier Aufführungen überschnitten sich mit einem anderen bedeutenden Musikereignis, dem ich den Vorzug gegeben hatte, dem ersten Konzert nach dem Lockdown in Italien unter Riccardo Muti.

Wie wohl Verdis Musikdrama in Dresden auf 90 Minuten mit einem Kleinorchester von nur acht Musikern geklappt wurde, wäre ich gerne dabei gewesen, weil ich nicht daran zweifle, dass die Sopranistin einen so grandiosen Auftritt hingelegt hat, wie Kritiker es ihr rundum bescheinigten. Zum Glück hatte ich in den vergangenen Jahren mehrere Gelegenheiten, sie zu hören und mich von der erfolgreichen enormen Entwicklung dieser Stimme ins dramatische Fach zu überzeugen. „Lieses Klassikwelt 41, Don Carlo(s)
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Lieses Klassiwelt 40: Kürzungen oder wer nichts gewagt, der nicht gewinnt

von Kirsten Liese

Die Opernwelt hat gerade eine Schrumpfversion von Wagners „Rheingold“ gefeiert, die auf dem Parkdeck der Deutschen Oper Berlin Premiere hatte. Ich habe mir diese Produktion erspart, halte es mit der Devise „ganz oder gar nicht“.  Dies vor allem auch deshalb, weil wir es hier mit einem Komponisten zu tun haben, der Gesamtkunstwerke schuf, bei dem mithin keine Note zu viel ist, geschweige denn eine Figur. Der Mime, so entnahm ich Hinweisen, kommt in der Kurzfassung von Jonathan Dove nicht vor. Immerhin schrieb Richard Wagner auch höchst selbst in einem Brief an Heinrich Heine: „Gar nichts liegt mir daran, ob man meine Sachen gibt. Mir liegt einzig daran, dass man sie so gibt, wie ich‘s mir gedacht habe. Wer das nicht will und kann, der soll es bleiben lassen“. „Lieses Klassikwelt 40: Kürzungen oder wer nichts gewagt, der nicht gewinnt“ weiterlesen

Lieses Klassikwelt 39: Filmmusik

von Kirsten Liese

Scarlett O’Hara (Vivien Leigh) und Red Butler (Clark Gable) im legendären Spielfilm «Vom Winde verweht».. Foto: Keystone

Schon so manche herrliche Musik habe ich im Kino entdeckt. Das Adagietto aus Mahlers Fünfter in dem Klassiker Tod in Venedig  (1971)  zählt ebenso dazu wie die Arie des Frost aus Henry Purcells  King Arthur  in Ariane Mnouchkines dreistündigem Epos  Molière (1978), das  Andante con moto  aus Schuberts Klaviertrio op.100 in Kubricks   Barry Lyndon (1975) oder Brahms‘ B-Dur-Sextett  in Louis Malles‘ Drama Les Amants (1958). Auch zwei der schönsten Arien von Georg-Friedrich Händel sind durch das Kino tief in mein Bewusstsein gedrungen: „Ombra mai fu“ aus der Oper Xerxes  in Stephen Frears Gefährlichen Liebschaften  (1988) und „Lascia ch‘io pianga“ in dem Porträt des Countertenors  Farinelli (1994). „Lieses Klassikwelt 39: Filmmusik
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Lieses Klassikwelt 38: Infektionsschutz

Unweigerlich habe ich mich gefragt, ob sich nicht bei Flugzug-Passagieren das Gefühl einstellt, für blöd verkauft zu werden. Und was wohl einem Kino- oder Theaterbetreiber bei solchen Impressionen so durch den Kopf gehen mag. Für mich jedenfalls war das eine Farce.

von Kirsten Liese

(Foto von Kirsten Liese aus dem Lufthansa-Flugzeug zwischen Berlin und Frankfurt am Main, aufgenommen vor wenigen Tagen)

Langsam erwacht die Kultur wieder zum Leben. Die Auflagen zum Infektionsschutz allerdings, die das sachte Hochfahren des Betriebs bedingen,  sind nicht ohne, und deshalb können bislang noch sehr wenige Menschen daran teilhaben.  Neben einer von Land zu Land differierenden, festgelegten Zuschauerzahl, die nicht überschritten werden darf, macht  Theatern und Konzerthäusern vor allem der geforderte Sicherheitsabstand von 1,50 Meter zu schaffen. Denn das bedeutet, dass sie ihre Platzkapazitäten, insbesondere in geschlossenen Räumen, nicht ausschöpfen können, mithin also viele, viele Stühle – wenn nicht ganze Sitzreihen – leer bleiben müssen.  Eine schwierige logistische Herausforderung.

Für die renommierten Salzburger Festspiele im Jahr ihres hundertjährigen Bestehens bedeutet das, dass weniger als ein Drittel der vorgesehenen Vorstellungen stattfinden können. Mit einer Zulässigkeit von 1000 Besuchern geht es den Österreichern dabei vergleichsweise noch gut, bedenkt man, dass in Italien nur maximal 250 Zuschauer zulässig sind. Umso mehr bewundere ich den Mut und die Innovation zweier Festivals wie Ravenna und Pesaro, die auf ganz unterschiedliche Weise das Beste aus dieser Situation herausholen: Ravenna weicht auf die Festung Rocca Brancaleone und damit eine Location unter freiem Himmel aus, das Rossini Opernfestival in Pesaro baut sein entzückendes Teatro Rossini dergestalt um, dass das Orchester im Parkett des Saals Platz nimmt und das Publikum voneinander getrennt in den Logen, damit den Abstandsregelungen entsprochen werden kann. „Lieses Klassikwelt 38: Infektionsschutz“ weiterlesen

Lieses Klassikwelt 37: Blockflöte

von Kirsten Liese
Foto: (c) pininterest

An diesem Freitag feiert die Blockflötenwelt den 90. Geburtstag von Hans-Martin Linde. Er war neben Frans Brüggen einer der größten Blockflötenvirtuosen seiner Zeit, unterrichtete an der renommierten Baseler Schola cantorum basiliensis  und schrieb zeitgenössische Werke, unter denen mir vor allem eines in Erinnerung blieb, das ich selber einmal gespielt habe: Music for a bird,  ein Stück, das tatsächlich tönt wie eine naturalistische Imitation eines Vogelgesangs.

Mit meinen Gedanken an Linde gehen für mich Erinnerungen an dieses Instrument einher, das ich zu Unrecht lange Zeit stiefmütterlich behandelte und über das ich bislang noch nicht einmal eine Zeile geschrieben habe. Nun wird es Zeit für eine Revision, dies auch in Erinnerung an die wunderbare Musikerin Jeanette Chemin-Petit, Tochter des Berliner Komponisten Hans Chemin-Petit, die zeitweise  meine Lehrerin war. Sie starb viel zu früh an Krebs. „Lieses Klassikwelt 37: Blockflöte
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Lieses Klassikwelt 36: Eberhard und Lenchen

von Kirsten Liese

Nichts mehr ist wie es einmal war, wenig von dem übrig, was mir einmal etwas bedeutete. Deshalb haben schöne Erinnerungen an Vergangenes für mich großes Gewicht.

Die langjährige Freundschaft meiner Familie mit Eberhard Finke  – von 1950 bis 1985 Erster Solocellist der Berliner Philharmoniker –  ist ein Teil dieser kostbaren Erinnerungen. Meine heutige Klassikwelt ist ihm gewidmet, er wäre am 19. Mai 100 Jahre alt geworden. Ich bin froh, dass er die aktuelle große Krise nicht mehr miterleben muss,  zugleich vermisse ich ihn und seine liebe Frau Rosemarie sehr. Er war ein ausgesprochen feiner, nobler Mensch,

Die Bekanntschaft begann, als ich ungefähr zehn Jahre alt war. Damals hatte sich meine Mutter mit Anfang 40 verspätet ihren Traum erfüllt,  das Cellospiel zu erlernen. Ihr erster Lehrer war ein Schüler von Eberhard und stellte den Kontakt her, als es darum ging, ein gutes Instrument zu kaufen. Man war sich sympathisch, und so blieb es nicht bei einer einmaligen Begegnung. „Lieses Klassikwelt 36: Eberhard und Lenchen,,
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