Gastbeitrag: Deutscher Regisseur verteufelt Goethe und Gounod

Wiener Staatsoper, 19. Mai 2021
Charles Gounod, Faust, Premiere vor Publikum

Foto: Kammersänger Juan Diego Flórez (Faust) und Nicole Car (Marguerite) © Wiener Staatsoper / Michael Pöhn

von Dr. Sieglinde Pfabigan

Was Frank Castorf beim Bayreuther „Ring“ nur in Ansätzen gelingen konnte, nämlich: alle Charaktere der Wagnerschen Tetralogie in den Dreck zu ziehen, das wurde ihm in der Geschichte von Faust und Mephisto schon dadurch erleichtert, dass da wirklich der Teufel eine Hauptrolle spielt. Man merkt es in jeder einzelnen Szene – es darf keine positiven oder gar edlen Figuren in seinem verderbten Paris geben. Die einzige  Person, bei der sich das kaum machen lässt, ist der Titelheld (dem man dieses Privileg hier eigentlich aberkennen müsste).

Und da Charles Gounod seinen Faust noch dazu als Tenor auftreten lässt, macht Castorf ihn im Vorspiel einfach zu einem alten zittrigen Trottel und nach seiner Verjüngung allein schon optisch zu einer unansehnlichen Figur, in schwarzer Hose nebst schwarzem Leibchen, so unauffällig wie möglich, ein junger Mann, mit dem Méphistophélès machen kann, was er will, sodass nur noch seine hohe Stimmlage und deren sichere Beherrschung sein Dasein rechtfertigen. Für alles andere ist er dem Regisseur wohl zu blöd. Mir hat der vortreffliche Sänger Juan Diego Flórez richtig leid getan, dass er nichts weiter als ein Tenor sein durfte. „Charles Gounod, Faust, Premiere vor Publikum
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Frank Castorfs Stuttgarter „Faust“ in Wien: Musikalisch hervorragend – auf der Bühne second hand trash

Anmerkung des Herausgebers: Heute, am 9. Mai 2021, läuft ab 20.15 Uhr diese alte Wiener Faust-Inszenierung (made in Stuttgart) im ORF III. Ich habe den Fernseher nach 15 Minuten abgedreht und höre die Musik ohne Bilder – Frank Castorfs Inszenierung ist ein Trauerspiel, dem Regisseur fällt wirklich nichts Neues mehr ein. Bitte lesen Sie diesen wunderbaren Bericht von Peter Sommeregger.

„So siegt einmal mehr die Musik über den Regisseur, dem man dringend eine Weiterentwicklung seines Stils wünschen würde.“

Charles Gounod, Faust
Livestream aus der Wiener Staatsoper am 29. April 2021

Foto: Nicole Car, Juan Diego Flórez. Foto: Trailer / WSO

WIENER STAATSOPER STREAMTE DIE PREMIERE „FAUST“ IN DER INSZENIERUNG VON FRANK CASTORF

In Kooperation mit der Staatsoper Stuttgart (mit anderen Worten, die Castorf-Inszenierung läuft seit vielen Jahren in Stuttgart)

Musikalische Leitung,    Bertrand de Billy
Doktor Faust,    Juan Diego Flórez
Marguerite,    Nicole Car
Méphistophélès,    Adam Palka
Inszenierung,    Frank Castorf

von Peter Sommeregger

Man fühlt sich versetzt in das frisch wiedervereinigte Berlin der frühen Neunzigerjahre, Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz. Frank Castorf als Guru der neuen Theaterästhetik verblüffte und polarisierte sein Publikum mit immer neuen, zum Teil sehr schrägen Einfällen. Das hatte was Erfrischendes, man hatte das Gefühl, Theatergeschichte zu erleben. Dreißig Jahre später erlebt man aber ein permanentes Déjà-vu und fragt sich, warum der ergraute Regisseur sich jeder Weiterentwicklung störrisch widersetzt. „Charles Gounod, Faust
Livestream aus der Wiener Staatsoper am 29. April 2021“
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Interview Christa Ludwig (* 16. März 1928 in Berlin; † 24. April 2021 in Klosterneuburg): „Ich glaube nicht an Gott“

Die Kulturjournalistin und Klassik-begeistert-Autorin Kirsten Liese, Berlin, hat die Jahrhundertsängerin Christa Ludwig anlässlich ihres 90. Geburtstages am 16. März 2018 interviewt. Wir bringen dieses beeindruckende Interview noch einmal in voller Länge.

Christa Ludwig war kein sentimentaler Mensch. „Sängerin möchte ich nie wieder sein!“, hatte die gebürtige Berlinerin und große Mezzosopranistin in ihren neuen Lebenserinnerungen „Leicht muss man sein“ proklamiert, die sie aus Anlass ihres 90. Geburtstages veröffentlichte. 1994 hatte Ludwig als Klytämnestra mit ihrem 769. Auftritt in der Wiener Staatsoper ihren Bühnenabschied genommen. Nun ist einer der großen Opernstars des 20. Jahrhunderts im Alter von 93 Jahren verstorben. (SN) 

Foto: Christa Ludwig ©

Interview: Kirsten Liese

Frau Ludwig, Ihr Bühnenabschied liegt mittlerweile 24 Jahre zurück. Er ist Ihnen damals nicht so schwer gefallen wie vielen anderen Kollegen ihrer Generation und insbesondere Dietrich Fischer-Dieskau, der sagte, ein Sänger sterbe immer zweimal. Welche Bedeutung hatte Ihr Beruf für Sie?

Ludwig: Als ich 17 war, ging es einfach nur darum, meine Eltern und mich über Wasser zu halten. Im Krieg hatten wir alles verloren und da habe ich zugesehen, dass ich Geld verdiene.

Meine Mutter, die auch meine Lehrerin und Lebensberaterin war, sagte dann immer zu mir: „Christa bedenke, es ist nur Theater!“

Ich habe gern gesungen, wenn ich gut bei Stimme war, hatte das Glück, mit den besten Dirigenten und Regisseuren zusammenzuarbeiten. Aber ich habe immer mit Texten gelebt, die 100 Jahre alt waren oder älter. Zur Realität hatte ich gar keinen Bezug. Erst wenn man dann nicht mehr im Beruf steht, hat man die Möglichkeit, nachzudenken, was das überhaupt ist: das Leben. Insofern war ich froh, als ich mit dem Singen aufgehört habe. „Interview mit Christa Ludwig zum 90. Geburtstag am 16. März 2018
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Juan Diego Flórez singt als Faust wunderschöne Phrasen und zeigt große Präsenz

Nicole Car, Juan Diego Flórez. Foto: Wiener Staatsoper / Michael Pöhn ©

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Nicole Car, Juan Diego Flórez. Foto: Wiener Staatsoper/Michael Pöhn

von Heinrich Schramm-Schiessl (onlinemerker.com)

Ein besonderes Glück hat die Wiener Staatsoper mit ihren Inszenierungen des „Faust“ seit 1955 ja nicht. Die erste Inszenierung 1963 durch Paul Hager – damals noch unter dem Titel „Margarethe“ – hatte einen ziemlichen Geruch nach Pappendeckel mit einer eher hilflosen Personen- und Chorführung. 1985 versuchte sich dann Ken Russell an dem Werk und konnte sich einige blasphemische Einlagen nicht verkneifen. Die Neuproduktion 2008 war ursprümglich Nicolas Joël anvertraut. Dieser musste jedoch krankheitshalber während der Proben aufgeben und die Arbeit wurde von seinem Assistenten fertiggestellt. Auch mit dieser Inszenierung wurde man nicht glücklich, da sie auch eine gewisse Hilflosigkeit ausstrahlte.

Die aktuelle Produktion wurde nicht für Wien erarbeitet sondern stammt wieder einmal aus der Einkaufstour des Direktors in der Opernboutique. Es ist die Stuttgarter Inszenierung von Frank Castorf, und bei ihm spielt das Stück natürlich nicht in einer deutschen Kleinstadt im Mittelalter,  sondern verlegt es – laut Information der Staatsoper – in das Paris der Uraufführungszeit und verquickt es mit dem Paris um 1960, was man aber auch nicht merkt. Ich hätte einmal an einer Malaktion Valentins  – auch das gibt es wieder einmal – bemerkt, es würde um die Zeit des Algerienkrieges spielen. Ist letztendlich egal, Logik war noch nie Castorfs Stärke.  Hauptelement der Inszenierung sind wieder einmal Videos, ohne die es im Regietheater offenbar nicht mehr geht. Diese Videos zeigen einerseits das, was man ohnehin auf der Bühne sieht, bzw. sind Einspielungen von Aktionen innerhalb des Bühnenbildes oder Einspielungen aus Paris bzw. historische Filme. Grundsätzlich muss man sagen, dass diese Videos mittlerweile ziemlich nerven, denn im Theater möchte ich Aktionen auf der Bühne sehen, Videos schaue ich mir im Fernsehen an.

Natürlich erzählt Castorf nicht wirklich die Geschichte, sondern das, was er dafür hält. Da ist der alte Faust kein Gelehrter, der an sich selbst verzweifelt, sondern offenbar ein Unterstandsloser. Die Verwandlung findet derart statt, dass Mephisto ihm den schäbigen Mantel auszieht und er sich selbst die graue Perücke und den Bart abnimmt. Margarethe ist natürlich kein unschuldiges junges Mädchen – so etwas gibt es in der Gedankenwelt Castorfs ja nicht – sondern eine Hure, die mit ihrer Kollegin Marthe in ihrem Etablissement eine Opiumpfeife raucht. Siébel ist kein junger Student, sondern eine junge Frau, die offenbar in Margarethe verliebt ist – auch das muss heute dabei sein.

Mephisto ist tatsächlich ein Teufel, nur zu Beginn verkleidet, sonst deutlich als solcher erkennbar an Fellhose und Klumpfuss. Das ganze spielt, wie schon erwähnt, in Paris und hat der Bühnenbildner Aleksandar Denić auf einer Drehbühne eine 3D-Collage verschiedener Örtlichkeiten gebaut. Einige Szenen spielen an anderen Orten als im Libretto vorgesehen, so gibt es z.B. kein Gefängnis. Am Ende stirbt Margarethe übrigens nicht an Schwäche, sondern trinkt ein Glas Champagner offenbar mit Gift. Die Personenführung von Castorf ist nicht sonderlich ausgeprägt und mit dem Chor weiss er, wie fast alle Regietheaterregisseure , nichts anzufangen. Ebenso hält er natürlich nicht aus, wenn nur Musik ertönt. Diesmal wird allerdings nicht nur die Ouvertüre illustriert sondern zeitweise auch stückfremde Texte rezitiert. Die Kostüme von Adriana Braga-Peretzki waren ein bunter Mischmasch verschiedener Epochen. Aber was soll man sagen, wo Castorf draufsteht ist halt auch Castorf drin.

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Martin Häßler, Peter Kellner, Adam Palka. Copyright:
Wiener Staatsoper / Michael Pöhn

Zufriedener konnte man mit dem musikalischen Teil des Abends sein. Juan Diego Flórez ist im Zuge seiner Facherweiterung bei der französischen Oper wesentlich besser aufgehoben. Diese Werke kommen seiner Stimme viel mehr entgegen. Sein Faust war stimmlich von Beginn an ausgezeichnet, die Spitzentöne kamen alle sicher und auch sonst sang er wunderschöne Phrasen und zeigte große Präsenz. Ein guter Schauspieler wird er zwar nicht mehr werden, aber seine Rollengestaltung war zufriedenstellend. Nicole Car hat für die Margarethe fast schon eine zu dramatische Stimme, der vor allen Dingen in der Gartenszene, die hier natürlich nicht in einem Garten spielt, etwas die jugendliche Leichtigkeit fehlte. Dafür konnte sie dann in den dramatischen Momenten des vierten und fünften Aktes, speziell in der Kirchen- und der Schlussszene auftrumpfen. Die Höhen kamen sicher und waren nur manchmal etwas scharf. Adam Palka, mit der Inszenierung quasi aus Stuttgart mitgekommen, sang den Mephisto durchaus eindrucksvoll, auch wenn ihm leider die notwendige schwarze Dämonie fehlte. An frühere Interpreten dieser Rolle durfte man allerdings nicht denken. Étienne Dupuis liess als Valentin einen schönen Bariton hören, sang ein schönes Gebet und war durchaus eindrucksvoll in der Todesszene. Kate Lindsey sang eine(n) gute(n) Siébel und war darstellerisch bemüht. Monika Bohinec (Marthe) und Martin Häßler (Wagner) waren zufriedenstellend. Ausgezeichnet der von Thomas Lang einstudierte Chor.

Am Dirigentenpult stand Bertrand de Billy, der schon die letzte Premiere dirigierte. Er hat zur französischen Oper einen guten Zugang und leitete die Aufführung mit viel Schwung. Mit den dramatischen Stellen konnte man zufrieden sein, während in den lyrischen Passagen etwas mehr Feinarbeit wünschenswert gewesen wäre.

Am Schluss habe ich mich wieder einmal gefragt, warum ich, als jemand der Oper liebt, ansehen muss, was andere nur intessiert, weil es anders ist.

Heinrich Schramm-Schiessl, 30. April 2021   

P.S.: In einer Fernsehserie spielte einmal eine Szene in der Oper und am Ende gibt es ein massives Buhkonzert für den Regisseur. Bei der Garderobe sieht man dann ein junges Paar, das von der Regie begeistert war und sagt: „Weisst Du, was mich eigentlich wirklich gestört hat, war die Musik“. An diese Szene musste ich gestern öfter denken.

Österreich will Lockdown am 19. Mai beenden

Foto: Wiener Staatsoper, M. Pöhn ©

von Jürgen Pathy

Endlich ist es soweit: Am 19. Mai können in Österreich wieder Veranstaltungen stattfinden. Das gab die Regierung am Freitagnachmittag in einer Pressekonferenz bekannt. Das heißt, nicht nur Gastronomie, Sport und Tourismus sollen wieder öffnen, sondern auch die Theater, Opernhäuser und Konzertsäle des Landes. Erstmal mit beschränkter Zuschauerzahl, aber egal:

Endlich wieder das Orchester der Wiener Staatsoper live hören. Endlich wieder die weltbesten Sänger und Sängerinnen hautnah spüren und fühlen. Zumindest, wenn die Ankündigungen umgesetzt werden, die Bundeskanzler Sebastian Kurz und sein Regierungsteam am Freitag veröffentlicht haben. „Das Licht am Ende des Tunnels wird heller“, sagte Kurz zu Beginn der Pressekonferenz im Wiener Weltmuseum. „Österreich will Lockdown am 19. Mai beenden
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Kein Stein bleibt auf dem anderen: „Parsifal“ an der Wiener Staatsoper – Serebrennikov inszeniert ein gewaltiges Spektakel

Parsifal wird von Jonas Kaufmann, der diese Partie gut kennt, nur teilweise überzeugend geboten. Mittellage und Ausdruck sind seine Stärken. Solange es nicht zu schwindelerregend in die Höhe führt, scheint auch die Strahlkraft gelegentlich zurück. Allerdings hat Kaufmann immer wieder gewaltig zu kämpfen. Gut, dass er nicht allzu viel zu tun hat.

Foto: Jonas Kaufmann. © Wiener Staatsoper/ Michael Pöhn

„DER KLANG WIRD ZUM RAUM“

Wiener Staatsoper, 11. April 2021 (Stream bei ARTE Concert vom 18. April)
Richard Wagner, Parsifal

von Jürgen Pathy

Nichts konnte ihn stoppen. Kein Corona, keine Verurteilung und kein Ausreiseverbot. Obwohl Kirill Serebrennikov in Russland festsitzt, brachten er und sein Team an der Wiener Staatsoper die lange ersehnte Neuinszenierung von „Parsifal“ auf die Bühne. Und die kann sich sehen lassen! Bei Serebrennikov bleibt kein Stein auf dem anderen. Passend zu seinen Lebensumständen, verlegt er die Gralsburg kurzerhand in eine Haftanstalt.

„Richard Wagner, Parsifal
Wiener Staatsoper, 11. April 2021 (Stream bei ARTE Concert vom 18. April)“
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„Parsifal“ aus Wien: Harsche Bilder, herausragende Stimmen

Aufzeichnung der Premiere mit Weltklasse-Besetzung in der Wiener Staatsoper vom 11. April 2021 bei Arte Concert (18. April 2021)
Richard Wagner: Parsifal

Foto: Jonas Kaufmann und Elīna Garanča, M. Pöhn ©

Jonas Kaufmann (Parsifal)

Elīna Garanča (Kundry)

Ludovic Tézier (Amfortas)

Georg Zeppenfeld (Gurnemanz)

Wolfgang Koch (Klingsor)

Stefan Cerny (Titurel)

Inszenierung   Kirill Serebrennikov, Evgeny Kulagin

Dirigent   Philippe Jordan

von Peter Sommeregger

Nur vier Jahre nach der letzten Neuinszenierung leistet sich die Wiener Staatsoper einen neuen „Parsifal“. Mit Kirill Serebrennikov wählte man einen Regisseur, der aus politischen Gründen in Russland festgehalten wird und die Regiearbeit daher nur virtuell, via Skype und Smartphone leisten konnte. Über Sinn und Unsinn solcher Konstellationen lässt sich trefflich streiten, das Resultat jedenfalls ist nicht nur optisch suboptimal, um es freundlich auszudrücken. „Richard Wagner: Parsifal
Aufzeichnung der Premiere in der Wiener Staatsoper vom 11. April 2021 bei Arte concert (18. April 2021)“
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Simon Stones „Traviata“ in Wien: Sex, Lügen und Videos

Live-Stream Wiener Staatsoper, 7. März 2021

Pretty Yende, Juan Diego Flórez. Copyright: Wiener Staatsoper/Michael Pöhn

Giuseppe Verdi, La Traviata
Violetta Valéry  Pretty Yende
Alfredo Germont  Juan Diego Flórez
Giorgio Germont   Igor Golovatenko
Musikalische Leitung   Giacomo Sagripanti
Inszenierung  Simon Stone

von Peter Sommeregger

Verdis „Traviata“ in völlig ungewohntem Ambiente: Das wurde schon oft versucht, aufgegangen ist diese Rechnung noch nie. Genau betrachtet ist die Basis des Stoffes schon eine zweifelhafte. Mit dem Roman „Die Kameliendame“ schrieb sich der jüngere Alexandre Dumas seine unglückliche Liebe zu einer Kurtisane, sprich Edel-Prostituierten, von der Seele, der er in einer amour fou verfallen war. Diese schon vom Autor geschönte Geschichte wurde durch Verdis Librettisten noch weiter verkitscht. Die tief im 19. Jahrhundert verwurzelte Geschichte nun tagesaktuell aufzupeppen kann von vorne herein nicht gelingen.

Violetta begegnet uns hier mit Smartphone bewaffnet als It-Girl bzw. Influencerin. Leider lässt uns Simon Stone sogar ihre Whatsapp-Nachrichten mitlesen, welche die Heldin doch als sehr schlichtes Wesen zeigen. Wir erhalten Einblicke in ihre „Bling-Bling“-Welt, können Nachrichten über eine wohl schwere Erkrankung mitlesen. Ganz unvermittelt ist Violetta auf einmal mit Alfredo zusammen – da auf Bühnenbild und Requisiten weitgehend verzichtet wird, spielt die Handlung buchstäblich im luftleeren Raum, in dem dann auch Alfredos Vater auftaucht, und Violetta zum Verzicht auf den Geliebten überredet, aus gesellschaftlichen Zwängen. „Giuseppe Verdi, La Traviata
Live-Stream Wiener Staatsoper, 7. März 2021“
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Bogdan Roščić, der neue starke Mann an der Wiener Staatsoper (Pathys Stehplatz 2)

Foto: Bogdan Roščić vor der Wiener Staatsoper © Lalo Jodlbauer

Lange Zeit hat er sich kämpferisch gegeben. Dann hat auch er nachgeben müssen. Obwohl Bogdan Roščić alles versucht hat, um den normalen Spielbetrieb so lange wie möglich aufrechtzuerhalten – seit 3. November 2020 ist die Wiener Staatsoper geschlossen. „Stumm“, wie es auf der Licht-Installation stand, die an der Fassade des Hauses angebracht wurde. Eine Idee von Roščić. Nicht das einzige Zeichen, dass im „ersten Haus am Ring“ ein neuer Wind weht. Zeit für ein kurzes Resümee…

von Jürgen Pathy

Seit Juli 2020 ist Bogdan Roščić nun Direktor der Wiener Staatsoper. Sein Auftrag ist klar. Zumindest, wenn man seine Aussagen und sein Handeln auf einen Nenner bringt: Das Haus soll einer deutlichen Verjüngungskur unterzogen werden. Das ist nicht erst klar, seitdem er im ZiB-Interview betonte, dass es eine große Enttäuschung wäre, wenn er den Altersdurchschnitt der Besucher in fünf Jahren nicht deutlich gesenkt haben werde. Bereits 2016 gab es erste Anzeichen. Damals verkündete Kanzleramtsminister Drozda, er wolle mit Roščić eine „Oper 4.0“ erschaffen. Was immer damit gemeint war, wird nun deutlich.

„Bogdan Roščić, Direktor Wiener Staatsoper (Pathys Stehplatz 2)
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„Carmen“ in der Wiener Staatsoper: Eine so prachtvolle „Röhre“ imponiert immer

carmen am auto 
Alle Fotos: Wiener Staatsoper / Michael Pöhn

Wiener Staatsoper / STREAM – TV: 
CARMEN von Georges Bizet
Premiere: 21. Februar 2021   

von Dr. Renate Wagner (onlinemerker.com)

Nicht, dass man die „Carmen“-Inszenierung des Calixto Bieito nicht kennen würde. Schließlich hat sie schon 22 Jahre auf dem Buckel, da muss sie einem interessierten Opernfreund schon begegnet sein. Oder auch mehrmals – auf der DVD mit Béatrice Uria-Monzon aus Barcelona, auf YouTube aus Venedig, und die Pariser Oper hat einmal ihre Aufführung mit der Garanča gestreamt. Also olle Kamellen? Na ja, immerhin eine Produktion, die schon das Lob ernten konnte, „fulminant“ und ein „Klassiker“ zu sein. Also an der Zeit, den in den Kulissen schlissig gewordenen Zeffirelli wegzuwerfen und Calixto Bieito nun auch in Wien auf die Bühne zu bringen? Wir sind ja bekanntlich in allem spät dran.

„Georges Bizet, Carmen
Wiener Staatsoper, 21. Februar 2021“
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