Der Bariton Christian Gerhaher und Freunde bereichern das Herz und die Seele im Nationaltheater zu München.
Bayerische Staatsoper, 25. September 2021
Christian Gerhaher (Bariton) und Freunde
Violine: Isabelle Faust, Anne Katharina Schreiber
Viola: Timothy Ridout, Danusha Waskiewicz
Violoncello: Jean-Guihen Queyras, Christian Poltéra
Foto: Christian Gerhaher © Hiromichi Yamamoto
Othmar Schoeck, Notturno. 5 Sätze für Streichquartett und eine Singstimme.
Arnold Schönberg, Verklärte Nacht op. 4 für Streichsextett
Hector Berlioz, Les nuits d’été op. 7
von Andreas Schmidt
Mit einem sehr anspruchsvollen Programm mit Werken der Komponisten Othmar Schoeck, Arnold Schönberg und Hector Berlioz haben sechs Musiker und der Star-Bariton Christian Gerhaher die Herzen und Seelen der Zuschauer im Nationaltheater zu München erobert. Dankbar und Respekt zollend applaudierten die Zuhörer der Darbietung, zahlreiche Bravi waren der Künstler Dank.
Die Streicher (drei Damen und drei Herren) spielten feinfühlig und differenziert auf Weltklasseniveau. Es war eine Freude zu erleben, wie wohltemperiert und abgestimmt die Musiker die diffizilen Werke darboten.
Inspirator für die fulminanten Streichleistungen war der Bariton Christian Gerhaher, der in allen Registern einen Gesangsabend zelebrierte, der unter die Haut ging. Der allseits gefeierte Alleskönner machte seinem Ruf alle Ehre: Makellos, einfühlsam, geschmeidig und wenn erforderlich dynamisch und kraftvoll verlieh er dem Abend das Prädikat 1 + mit Auszeichnung.
Betörend erklang Gerhahers Edel-Stimme zu Othmar Schoecks Notturno, lesen Sie bitte folgende Passage mit den Worten von Nikolaus Lenau und stellen sich dazu die edle Stimmfarbe eines Ritters mit samtbernsteinweichen Nuancen vor, einer Stimme, die einen aus dem
All-Tag gleiten ließ.
Hinträumend wird Vergessenheit
Des Herzens Wunde schließen:
Die Seele sieht mit ihrem Leid,
Sich selbst vorüberfließen.
Wunderbar sanft, träumerisch, schwelgend und anmutig erklang Gerhahers Darbietung dann im Finale zu den Worten von Gottfried Keller:
o so nimm die Seele
die so leicht an Wort,
doch auch an üblem Willen,
nimm sie auf und lass sie mit dir reisen
schuldlos wie ein Kind,
das deine Strahlendeichsel nicht beschwert –
hinüber ––
Ich spähe weit, wohin wir fahren.
Genial gelang den sechs Musikern die Verklärte Nacht von Arnold Schönberg, ein Werk unendlicher Schönheit aus dessen tonaler Schaffensphase. Dieses Meisterwerk ist eine phantastische Komposition voll tiefer und wahrer Gefühle. Mit Herzblut, Hingabe und Energie zelebrierten die Musiker ein Klangfest für die Sinne. Von den herausragenden Musikern hervorzuheben sind zwei Männer: Der Bratscher Timothy Ridout und der Cellist Jean-Guihen Queyras. Sie entlockten ihren Instrumenten Töne und Phrasen, die vollkommen sind in ihrer Präsenz, Klangschönheit und Gefühlsbereicherung.
Mit großer Dankbarkeit hörte ich zum Schluss Christian Gerhaher in Les nuits d’été – die Nächte des Sommers – an diesem bis zu 26 Grad warmen Spätseptember-Herbsttag in der bayerischen Landeshauptstadt. Diese wunderbare Musik in französischer Sprache passte perfekt zu diesem Sonnentanktag an der Isar, und es war eine Freude, wie stimmlich vollkommen der Niederbayer die klangschöne französische Sprache darbot. Diese Sprache passt gar noch besser zu seiner honigsüß-erdigen Deklamation. Ja, dieser Christian Gerhaher manifestierte den Franzosen par excellence.
Für alle Frankophilen eine kleine Kostprobe:
Connaissez-vous la blanche tombe,
Où flotte avec un son plaintif
L’ombe d’un if? Sur l’if, une pale colombe,
Triste et seule, au soleil couchant,
Chante son chant.
Mehrere Autoren von klassik-begeistert.de durften Christian Gerhaher schon begleiten. Hier kommen ihre schönsten Beschreibungen:
Frank Heublein: Ich verfalle seinem Gesangs-Spiel. Er schafft es, die durch den Text transportierten Gefühle direkt in mich hineinzupflanzen.
Der Bariton bietet mir ein fulminantes stimmliches Kino, ich sehe innerlich, was er mit seiner Stimme in mich hinein singt.
Ewig könnte ich Christian Gerhaher zuhören, meine Gefühle durch seine Stimme leiten lassen.
Sarah Schnoor: Die Texte braucht man bei Gerhahers nahezu perfekter Verständlichkeit gar nicht.
Man glaubt ihm jedes Wort, und sein warmer, weicher, sehr innerlicher Gesang berührt direkt.
Antonia Tremmel-Scheinost: Der Ruf, der Christian Gerhaher vorauseilt, ist ein phänomenaler. Von vielen als „bester Bariton der Welt“ gepriesen, ist er ohne Zweifel ein vollendeter Liedsänger. Dieser hochintelligente Bariton mit lyrisch-weichem Timbre, geschmackvoll eingesetztem Vibrato und seidenem Schmelz in Reinkultur, entzückt. Der Niederbayer weiß seine Stimme mühelos wie geschmeidig zu führen. Ausdrucksstark und nie forciert umspannt er alle Nuancen, von ganz zurückgenommen bis ins fortissimo-espressivo.
Gerhaher – studierter Mediziner – ist gleichermaßen ein Grübler, ein Haderer, er spürt dem Kern der menschlichen Seele mit gebotenem Ernst nach. Allerdings nicht in übertrieben chirurgischer Weise, sondern stets mit der richtigen interpretatorischen Distanz. Nie wird ein Text überbewertet, und dennoch ist seine intellektuelle Durchdringung der Musik anrührend. Am bemerkenswertesten ist und bleibt allerdings Gerhahers einzigartige, glasklare Artikulation, ganz in polyglotter Manier. Kurzum, dieser Mann ist ein Segen für das Kunstlied!
Glänzend in den hohen Lagen wusste Gerhaher in Verzückung zu versetzen, und sein lyrisch-semantischer Jubel zauberte dem Publikum ein kollektives Lächeln auf die Lippen.
Raphael Eckardt: Der Bariton Christian Gerhaher – was kann dieser Mann eigentlich nicht? Von famosen Schubertlieder-Darbietungen bis hin zu großartigem, unfassbar fein intoniertem und ausdrucksstarkem Operngesang. Dieser Mann ist die personifizierte Champions-League des deutschen Gesangs!
Andreas Schmidt, 26. September 2021, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Christian Gerhaher, Liederabend, Concertgebouw Amsterdam – Kleine Zaal