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Irgendwann sollten eigentlich alle Klischees erkannt sein. Doch die Aufführungspraxis schafft stets neue. Unser Autor widmet sich so genannten „Klassikern“, von denen man derart übersättigt wird, dass sie zu nerven beginnen. Auch dies sind natürlich keine minderwertigen Werke. Doch durch ihre fast fundamentalistische Stellung im Konzertbetrieb ist es an der Zeit, auch ihnen teils sarkastisch, teils brutal ehrlich zu begegnen, um zu ergründen, warum sie so viel Aufmerksamkeit erhalten.
von Daniel Janz
John Williams kann wohl als lebende Legende der Filmmusik bezeichnet werden. Kein anderer Komponist wurde so oft für den Academy Award für die beste Filmmusik nominiert; ganze 5 Mal wurde er alleine dort ausgezeichnet. Dazu kommen zahlreiche weitere Auszeichnungen bei den Emmys, den Golden Globes, den Grammys oder den British Academy Film Awards. Dass seine Musik daher auch über den Film hinaus Wellen schlägt, ist nur selbstverständlich. Und natürlich findet man deshalb auch Werke von ihm, die inzwischen überspielt sind.
Von John Williams könnten inzwischen diverse Filmmusiken in einer Reihe über überbewertete Klassiker genannt werden. E.T., Der weiße Hai, Schindlers Liste, Jurassic Park, Harry Potter… die Liste seiner Werke, die regelmäßig im Konzertsaal rauf- und runtergedudelt werden, ist lang. Und das, obwohl er auch spannende Werke jenseits von Filmmusik komponiert hat, die aber ein Schattendasein pflegen.
Der Welt wird er deshalb wohl als die Ikone der Film- und Hollywood-Musik ab den 1960er Jahren in Erinnerung bleiben. Und aus diesem Schaffen sticht kein anderes Werk so eindeutig heraus, wie der „Imperial March“ aus „Star Wars Episode 5 – das Imperium schlägt zurück“.
Dieser feurige Marsch ist eines der markantesten Stücke Musik, vielleicht sogar das Markanteste überhaupt, was John Williams je geschaffen hat. Und das, obwohl er nicht nur Star Wars mit markanten Melodien gespickt hat. Selbst auf diese Filmreihe rund um Anakin Skywalker alias Darth Vader, seinen Fall zur dunklen Seite und seine Erlösung im letzten Teil beschränkt (die grauenvolle Disney Star Wars-Trilogie ist in meinem Star Wars-Universum nie passiert!), findet man in „Duel of the Fates“, „A hero falls“ oder der Eingangsfanfare der Weltraum-Saga Ohrwurmcharakter.
Trotzdem steht der „Imperial March“ an erster Stelle. Er gehört zum Einmaleins jeder Filmmusik-Vorführung und wird auch darüber hinaus regelmäßig genutzt. Kommerziell ist er sicher die erfolgreichste Star Wars-Komposition. Ein Konzert der Film-Klassiker ohne Darth Vaders Eingangsmarsch? Konzerte für junges Publikum ohne „Imperial March“? Referenzen zu Star Wars ohne John Williams? Undenkbar!
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Durch diese inflationäre Aufführungsweise ereilt den „Imperial March“ inzwischen dasselbe Schicksal, wie so viele andere, in dieser Kolumne bereits behandelte Werke. Denn je mehr er durch ständige Wiederholung überstrapaziert wird, desto mehr langweilt er. Wenn man heutzutage Videos von Diktatoren in der Welt mit dieser Musik unterlegt, wirkt das nicht etwa bedrohlich, sondern hat mittlerweile etwas Lächerliches. Ganz besonders, wenn er auch noch aus dem Kontext gerissen wird.
Und Beispiele der Dekontextualisierung gibt es inzwischen einige: So wurde er zum Super Bowl performt, wird von den New York Yankees bei Heimspielen, dem Dart-Weltmeister John Part als Einlaufmusik und von VW in Werbefilmen gespielt, oder von Film-Serien oft im satirischen Kontext aufgegriffen. Auch auf Paraden (und ich bilde mir ein, auch hier im Kölner Karneval) erklang er schon. 2007 führte er sogar zu einem diplomatischen Skandal, als er vermeintlich zur Ankunft des saudischen Königs Abdullah in London erklang. Später stellte sich heraus, dass der übertragende Fernsehkanal die Fernsehbilder mit der Musik falsch zusammengeschnitten hatte.
All das macht den „Imperial March“ inzwischen zu einem jener Werke, die so oft gespielt werden, dass sie gefährlich nahe an den Ausdruck der Beliebigkeit kommen. Aber was ist denn damit gewonnen, wenn er erst zu leicht verdaulicher Fastfood-Musik geworden ist? Wenn statt Darth Vader die Simpsons, die Muppets oder Figuren aus Big Bang Theory zu John Williams’ Musik aufmarschieren?
Das raubt nicht nur diesem Stück Musik seine Ausdruckskraft. Es sorgt auch dafür, dass er in dem Film, für den er ursprünglich komponiert wurde, auf Dauer Wirkung verliert. Wenn man beim Abspielen dieser Musik nicht mehr den bösen Lord der Finsternis erahnt, sondern stattdessen Staatsoberhäupter parodiert, Sportler assoziiert oder im schlimmsten Fall einen Clown vor dem inneren Auge rumtänzeln sieht, dann entfremdet das auch irgendwann dieses Stück Kunst, das George Lucas, Irvin Kershner, John Williams und Co durch ihren Film hinterlassen haben.
Dazu kommen auch qualitativ höchst unterschiedliche Aufführungen. Bereits der letzte Anti-Klassiker war Beispiel dafür, wie Musik unter dem ständigen Abgreifen durch Orchester aller Niveaustufen so sehr leidet, dass ein zum Klischee gewordenes Musikstück irgendwann keine Freude mehr bereitet. Denn wer bei Aufführungen häufig Enttäuschungen erlebt, wird die entsprechende Musik irgendwann meiden.
Im Moment befinden wir uns in der Phase, in der der „Imperial March“ bis auf den letzten Tropfen Ausdrucksvermögen ausgepresst wird. Und wer weiß… wenn das so weitergeht, haben wir vielleicht bald auch das Star Wars-Musical, die Star Wars-Oper oder die Star Wars-Sinfonie. Computerspiele und Serien gibt es ja schon, in denen der „Imperial March“ seine überaus präsente Rolle spielt. Was ich mich nur frage ist, ob wir ihn auch in Zukunft noch als Ausdruck des Bösen, personifiziert durch Darth Vader und das Intergalaktische Imperium, hören werden. Oder ob er sich ebenso in Beliebigkeit verlieren wird, wie schon so viele andere Beispiele in dieser Serie.
Meine Hoffnung ist, dass diesem Stück Musik eine bessere Zukunft bevorsteht. Es wäre bedauerlich um ein einzigartiges und bewegendes Stück Musik, das auch über den Kontext im Film hinaus eine fantastische Wirkung entfalten kann. Denn – das muss man John Williams lassen: Aktuell dürfte er der beste Filmkomponist der Welt sein. Es wäre unglaublich schade, wenn seine wundervolle Musik durch zu häufige Wiederholung ihre Wirkung verlieren würde. Meine Erfahrung im Bereich Orchestermusik hat mich in der Hinsicht inzwischen aber leider Pessimismus gelehrt.
Daniel Janz, 2. März 2025, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Daniel Janz, Jahrgang 1987, Autor, Musikkritiker, Komponist, Stipendiat, studiert Musikwissenschaft im Master:
Orchestermusik war schon früh wichtig für den Sohn eines Berliner Organisten und einer niederländischen Pianistin. Trotz Klavierunterricht inklusive Eigenkompositionen entschied er sich zunächst für ein Studium der Nanotechnologie, später Chemie, bis es ihn schließlich zur Musikwissenschaft zog. Begleitet von privatem Kompositionsunterricht schrieb er 2020 seinen Bachelor über Heldenfiguren bei Richard Strauss. Seitdem forscht er zur Verbindung von Musik und Emotionen und setzt sich als Studienganggutachter aktiv für Lehrangebot und -qualität ein. Seine erste Musikkritik verfasste er 2017 für klassik-begeistert. 2020 erregte er zusätzliches Aufsehen durch seine Kolumne „Daniels Anti-Klassiker“. Mit Fokus auf den Raum Köln/Düsseldorf kann er inzwischen auch auf musikjournalistische Arbeit in Österreich, Russland und den Niederlanden sowie Studienarbeiten und Orchesteraufenthalte in Belgien zurückblicken. Seinen Vorbildern Strauss und Mahler folgend geht er der Frage nach, wann Musik ihre angestrebte Wirkung und einen klaren Ausdruck erzielt.
Daniels Anti-Klassiker 56: Strawinskys „Sacre du printemps“ klassik-begeistert.de, 26. Januar 2025
Daniels Anti-Klassiker 55: Gershwins „Rhapsody in Blue“ klassik-begeistert.de, 12. Januar 2025
Daniels Anti-Klassiker 54: Mozarts Jupiter-Sinfonie klassik-begeistert.de, 8. Dezember 2024