Daniels vergessene Klassiker Nr 33: Wie Alan Hovhaness mit seiner Sinfonie „Mysterious Mountain“ neue Maßstäbe setzte

Daniels vergessene Klassiker Nr 33: Wie Alan Hovhaness mit seiner Sinfonie „Mysterious Mountain“ neue Maßstäbe setzte

Alan Hovhaness © rider.edu

Kritisieren kann jeder! Aber die Gretchenfrage ist immer die nach Verbesserung. In seiner Anti-Klassiker-Serie hat Daniel Janz bereits 50 Negativ-Beispiele genannt und Klassiker auseinandergenommen, die in aller Munde sind. Doch außer diesen Werken gibt es auch jene, die kaum gespielt werden. Werke, die einst für Aufsehen sorgten und heute unterrepräsentiert oder sogar vergessen sind. Meistens von Komponisten, die Zeit ihres Lebens im Schatten anderer standen. Freuen Sie sich auf Orchesterstücke, die trotz herausragender Eigenschaften zu wenig Beachtung finden.

von Daniel Janz

Sinfonie heißt mir eben: mit allen Mitteln der vorhandenen Technik eine Welt aufbauen“ – dieses Zitat von Gustav Mahler drückt das Lebensgefühl einer ganzen Generation von Komponisten aus. Um die Wende zum 20. Jahrhundert wurden die Werke immer größer und länger. Wo ursprünglich Beethovens Neunte als die längste Sinfonie weltweit galt, wurde sie schon bald von den Giganten der Romantik in den Schatten gestellt. Aber müssen großartige, die Welt beschreibende Musikstücke immer Stunden lang dauern? Alan Hovhaness beweist mit seiner zweiten Sinfonie das Gegenteil.

Es ist eigentlich merkwürdig, dass in einer Kolumne über vergessene Klassiker über einen Komponisten berichtet werden muss, der hinter dem Atlantik zu den etablierten Künstlern seiner Zeit zählte. Wie schon zu dem vor 2 Wochen behandelten Aaron Copland, und auch zu Amy Beach, Asger Hamerik oder John Knowles Paine berichtet wurde, gibt es in den USA eine reiche klassisch/moderne Konzerttradition, die bei uns in Europa aber höchstens ausnahmsweise zur Kenntnis genommen wird – wenn überhaupt. Das Tragische daran ist, dass unsere Konzertbetriebe dadurch nicht nur auf ihren alten Klassikern einschlafen. Sondern auch, dass uns dabei reiche Schätze der Konzertmusik verborgen bleiben.

Dabei dürfte Alan Hovhaness, wie all die anderen genannten Komponisten, in den USA ebenfalls als Klassiker gelten. Das verwundert auch nicht weiter, wenn man in die Werke des 1911 in Somerville, Massachusetts geborenen und 2000 in Seattle verstorbenen Komponisten mit armenisch-schottischer Abstammung hineinhört. Da finden sich nicht nur Einflüsse seines armenischen Erbes. Auch Bekanntschaften und Bezüge zu Jean Sibelius – dem Taufpaten von Hovhaness’ Tochter –, Leonard Bernstein und John Cage prägten sein Leben und damit seine Musik.

Vielleicht ist es auch diesen Bekanntschaften zu verdanken, dass er als Komponist sehr tüchtig war. So steht seine Kompositionspraxis auch in einem Kontrast zum Ideal der Romantik. Es sollte nicht mehr lang und episch sein – bei Hovhaness liegt der Charme in der Kürze. Auch deshalb konnte er über 400 Kompositionen hinterlassen – darunter mindestens 66 Sinfonien, oft mit naturbezogenen Themen.

Paradebeispiel dafür ist bereits eine seiner frühesten Sinfonien. Die zweite Sinfonie „Mysterious Mountain“ gilt als eines seiner bekanntesten Werke und darüber hinaus auch als sein größter Erfolg. Und das, obwohl er für dieses Werk gerade einmal 17 Minuten Musik schrieb… zum Vergleich – bei Gustav Mahler ist ein einziger Sinfoniesatz auch gerne mal doppelt so lang.

Dabei war dieses von Leopold Stokowski in Auftrag gegebene Werk ursprünglich nicht einmal als Sinfonie konzipiert gewesen. Erst durch seine bekannteste Aufnahme 1958 unter Fritz Reiner mit dem Chicago Symphony Orchestra etablierte sich die Kategorisierung als Sinfonie. Heute gilt sie mit als eine seiner besten Kompositionen und wird auch schon mal als Vorwegnahme von Komponisten wie Arvo Pärt oder Gorecki beschrieben. Hovhaness selbst soll mit der Bekanntheit seiner Komposition jedoch nie so Recht glücklich gewesen sein.

Dabei hat er mit diesem Werk ein beeindruckendes und gleichzeitig kurzes Klanggemälde hinterlassen, dass auch heute zu verzücken weiß. Hier begrüßt uns bereits zu Beginn ein majestätisch voller Akkord, der untermalt von feierlichen Blechklängen eine prächtige Bergkette in den Hintergrund malt. Es folgen dumpfe Fagottklänge, die einen tiefen Kontrast zu Harfenfiguren und kristallenen Einwürfen der Celesta liefern, bevor zarte Figuren der Holzbläser übernehmen. Diese Wechsel zwischen besinnlich und demütig hin zu den Panoramaklängen des vollen Orchesters machen den Reiz dieser Komposition aus.

Leopold Stokowski – hier zu sehen im hr-Sendesaal – war bekannt für sein eigenwilliges Verhalten. Bild © hr-Archiv

Hovhaness bleibt hierbei seinen armenischen Wurzeln treu. Der erste Satz hat etwas modales, wobei jeder Harmoniewechsel feierlich ausgekostet wird. Doch Tonartenwechsel sucht man hier vergeblich. Stattdessen verharrt er in einer Stimmung; kompositorisch ist das hier also relativ simpel gehalten.

Der zweite Satz beginnt monomelodisch, auch wenn sich der Melodie schnell weitere Stimmen hinzufügen. Was wir hier präsentiert kriegen, hat Anklänge an die Stimmführung der Renaissance, wirkt sogar choralartig, als wäre dies ein Lobgesang. Gefühlt begegnet einem hier die Musik von Bach, so verwoben ist das Thema bei Hovhaness. Der Unterschied ist, dass er auf den bedächtigen Einstieg eine sehr schnelle Streichervariation folgen lässt, zu der die Bläser das ursprüngliche Thema aufgreifen und wie ein Leitmotiv stets einwerfen, bis es feierlich den Satz abschließt. Das Ergebnis ist ein Wiedererkennungseffekt der fast schon Ohrwurmcharakter annimmt.

Wie ein frommes Kleinod erscheint im Vergleich dazu der letzte Satz. Er bietet wieder Anklänge an die Klanggemäldepassagen des ersten Satzes. Wie ein mystischer Nebel legt er sich über das erst sehr ruhig, dann stetig aufbrausender spielende Orchester. Auch hier sind es wieder die Streicher, die den Motor des Ganzen bilden und nach ihrem Aufwühlen zurück zu den Panorama-Klängen aus dem ersten Satz finden. Als wäre die ganze Sinfonie der Aufstieg auf einen Berg gewesen, der im zweiten Satz den Höhepunkt gefunden hat und sich nun mit dem Abstieg seinem Ende zuneigt. So wundert es auch nicht, dass es nach einem hoffnungsvollen Oboensolo und einem letzten musikalischen Aufbäumen würdevoll ausklingt.

https://www.youtube.com/watch?v=zQZBrJmzsrc&list=PLdd_Lwfj4Fp79AGSjKTTlaPn8rL6INtpj&index=41

Wie diese Sinfonie zeigt, gehört auch Hovhaness zu den bei uns zu Unrecht vernachlässigten Komponisten. Dabei wäre solch eine Musik mit kurzer Spieldauer und voller Eindrücke eine reiche Ergänzung unseres Repertoires. Und sicherlich findet sich in seinem Schaffen auch neben diesem Werk so Einiges, was gerne einmal in unsere Konzertsäle gebracht werden dürfte. Einzig der Mut oder das Wissen um ihn scheinen zu fehlen. Auch deshalb wäre es mal an der Zeit, etwas daran zu ändern!

Daniel Janz, 18. Februar 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Daniel Janz, Jahrgang 1987, Autor, Musikkritiker und Komponist, studiert Musikwissenschaft im Master. Klassische Musik war schon früh wichtig für den Sohn eines Berliner Organisten und einer niederländischen Pianistin. Trotz Klavierunterricht inklusive Eigenkompositionen entschied er sich gegen eine Musikerkarriere und begann ein Studium der Nanotechnologie, später Chemie, bis es ihn schließlich zur Musikwissenschaft zog. Begleitet von privatem Kompositionsunterricht schrieb er 2020 seinen Bachelor über Heldenfiguren bei Richard Strauss. Seitdem forscht er zum Thema Musik und Emotionen und setzt sich als Studienganggutachter aktiv für Lehrangebot und -qualität ein. Seine erste Musikkritik verfasste er 2017 für Klassik-begeistert. Mit Fokus auf Köln kann er inzwischen auch auf musikjournalistische Arbeit in Österreich, Russland und den Niederlanden sowie Studienarbeiten und Orchesteraufenthalte in Belgien zurückblicken. Seinen Vorbildern Strauss und Mahler folgend fragt er am liebsten, wann Musik ihre angestrebte Wirkung und einen klaren Ausdruck erzielt.

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