Teatro alla Scala © Andreas Schmidt
Allein schon der Gang in die Scala-Galleria ist eine Experience der Extraklasse. Einst buhte man hier Roberto Alagna wortwörtlich von der Bühne, heute versinkt der Dirigats-Beifall unter tönenden Bravos der gefürchteten loggionisti. Auch musikalisch lässt man in Mailand nichts anbrennen, vor allem Kirill Petrenko und Günther Groissböck sorgen im weltbesten Verdi-Haus für einen glorreichen Strauss-Abend!
Der Rosenkavalier
Musik von Richard Strauss
Libretto von Hugo von Hofmannsthal
Teatro alla Scala, Milano, 25. Oktober 2024
von Johannes Karl Fischer
Unweit der anderen Mailänder Galleria namens Vittorio Emanuele – mit ihren Glaskuppeln und Kunstmosaiken einer der prächtigsten und zugleich teuersten Einkaufspassagen der Welt – steht inmitten bimmelnden Straßenbahnen ein architektonisch sich in die warme, Mailänder Fassade einblendendes Opernhaus. Während die meisten Gäste in den Fußstapfen der Premieren-Elite – 2.500 Euro kann eine Karte für die hiesige Prima im Dezember schonmal kosten – ihren Weg ins Haus durch den Haupteingang finden, führt der Weg auf die billigen Plätze über eine schmale Treppe mit eigenem Seiteneingang. Das Foyer ganz oben ist natürlich ebenso kunstvoll geschmückt wie unten.
Nun ja, umsonst hat man seinen Weg hier sicher nicht heraufgefunden. Der Begriff „speziell“ für das hiesige Publikum ist eine maßlose Untertreibung, die Stammgäste hier sind notorisch, nein gefürchtet. 2006 musste sich Roberto Alagna ihren lautstarken Urteilsverkündungen schon im ersten Aida-Akt stellen, der Star-Tenor verließ darauf fluchtartig die Bühne und war für über ein Jahrzehnt nicht mehr an dem wohl traditionsreichsten Verdi- und Puccini-Haus der Welt zu hören.
Stiller ist es beim heutigen Rosenkavalier auch nicht. Schon vor dem Eingangsapplaus werden die berüchtigten Loggionisti laut. Allerdings nicht mit Buhs, nein, einige leicht voreingenommenen Kirill-Petrenko-Fans schienen ihren Richard-Strauss-König schon zu vergöttern, bevor überhaupt ein einziger Akkord aus dem Graben kommt.
Die fulminante Stimmung brachte das Orchester allerdings mächtig in Schwung, der Beifall für das berauschende Orchester wurde völlig zurecht mit jedem Aufzug lauter. Trotz gewohnt üppiger Strauss-Besetzung zauberte Petrenko einen atemberaubend federleichten, schwunghaften Klang aus dem Graben. Mit einigen Akkorden versetzte er das Haus in den siebten Celesta-Himmel. Hab’s mir gelobt, von diesen süßen Strauss-Akkorden mir das Ohr streicheln zu lassen…
Wenngleich auch Strauss nicht unbedingt das Kern-Territorium der Scala ist (wobei, spricht man bei einer gelungenen Wiener Turandot eigentlich von einem Kernterritorium am Ring?), dieser Rosenkavalier sauste soghaft an die musikalisch Opernweltspitze! Jenseits von Petrenkos einzigartigem Strauss-Dirigat war auch Günther Groissböcks Baron Ochs mal wieder völlig unangefochten.
Ein frisch aus Waidhofen angereister Baron ratterte die ganze Rolle im besten Niederösterreichisch runter, authentisch, souverän, fantastisch. Nun ja, bei den aktuellen Wahlergebnissen dürfte man in seinem Geburtsort auch 2024 auf ein paar Ochse stoßen… Ach so, und gesungen hat er auch noch verdammt gut: Mühelos saß das tiefe C, die langen Noten am anderen Ende des Bassschlüssels resonierten mehrere Atemzüge lang im ganzen Saal.
Kate Lindsey sang einen mehr denn souveränen Octavian. Ihre heldenhafte Mezzo-Stimme legte alle Facetten des sich entwickelnden Titelhelden auf die Bühne und brillierte auf und ab durch alle Lagen. Ein regelrechter musikalisch Paukenschlag gelang der Sopranistin Sabine Devieilhe, die mit ihrer brillanten, segelnden Stimme die Sophie aus ihrer in der Handlung geschriebenen Hilflosigkeit befreite. Ihre sonnenhelle, in allen Eckende des Saals segelnde Stimme ließ den Willen ihres Vaters im machtlosen Abseits versinken, „Ich heirat den nicht tot und nicht lebendig“, strahlte mit für diese Rolle beispielloser Stärke durch das prächtige Familienpalais.
Herr von Faninal selbst war mit Michael Kraus und seinem routiniert soliden Bariton ebenfalls sehr gut besetzt. Als Einspringer für den kürzlich an Leukämie erkrankten Johannes Martin Kränzle hätte er ein wenig mehr Applaus verdient.
Mit intensivem Sopran brillierte auch Krassimira Stoyanova aus Marschallin. Vor allem ihr Schlussmonolog am Ende des ersten Aufzugs wurde zu einem sanft klingenden, souveränen Showstopper. Die Melodien ließ sie atmen, ihr Gesang das Publikum jede Note mitfühlen. Als würde hier die musikalische Seele tief im Abendrot verschweben… Da konnte auch Tanja Ariane Baumgartners ebenso kräftiger und präsenter Mezzosopran mehr denn mithalten. Mit dieser Luxusbesetzung führt die Annina den Herrn Baron in ihrer Paradeszene am Ende des 2. Aufzugs wie in der Handlung stehend auch musikalisch vor.
Auch die sehr zahlreichen Nebenrollen waren mehr denn souverän besetzt. Vor allem die beiden Buffo-Tenöre – Gerhard Siegel als spaßiger Valzacchi und Jörg Schneider als ebenso präsenter Wirt und Tierhändler – brachten ihre Partien nochmal in den Vordergrund und eine weitere gute Prise Amüsement in die Komödie für Musik hinein.
Einziges Mini-Manko: Die wiederaufgenommene Inszenierung des mittlerweile verstorbenen Harry Kupfers. Nun ja, Penthouse-Blicke auf den ersten Wiener Bezirk und lustvolle Liebesszene auf Prater-Bänken, eigentlich ist diese Regie gefüllt mit durchdachten wie tagesaktuellen Interpretation dieser zeitlosen, „urwienerischen“ Handlung.
Leider geriet vor diesen spektakulär gesetzten Wien-Bildern die Personenregie un pochino leblos und flach, vor allem in ersten Akt standen Octavian und Marschallin eher statisch auf der Bühne herum. Ob das so in Herrn Kupfers Sinn gewesen wäre? Oder sind alle Zeitzeugen Barrie Koskys, lustvoller, beispiellos dynamischer Inszenierung dieser Oper nun Rosenkavalier-verwöhnt?
Johannes Karl Fischer, 26. Oktober 2024 für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Richard Strauss, Der Rosenkavalier Wiener Staatsoper, 30. März 2024
Der Rosenkavalier, Musik von Richard Strauss Staatsoper Unter den Linden, Berlin, 29. April 2023