Franz Wittenbrink, Die kleine Hexe © Jan Windszus Photography
Es geschah selten, aber wenn ich in meiner Kindheit mal mit Hexen zu tun hatte, so liebte ich jene aus dem Zauberhaften Land. Dort, irgendwo hinter dem Regenbogen, fand Judy Garlands unfreiwilliger Sturmflug ein Ende. Bei der Landung erschlug ein Häuschen eine böse Hexe. Eine gute Hexe wies dem Mädchen den richtigen Weg.
Die kleine Hexe
Kinderoper von Franz Wittenbrink
Libretto von Anne X. Weber und Susanne Lütje
Nach dem Buch von Otfried Preußler
Uraufführung am 26. Oktober 2024 in Berlin
Orchester der Komischen Oper, Anne Hinrichsen
Komische Oper im Schillertheater, 4. November 2024
von Ralf Krüger
Tanzen, singen, sich in Kostüme zwängen: Nur einmal im Jahr ist Walpurgisnacht! Da feiern die Hexen auf dem Blocksberg im Harz: Die Alten, die Weisen, auch die Männlichen – bis manchmal vielleicht der Besen knackt. Doch Achtung – Altersbeschränkung!
Unsere kleine Hexe, mit nur 127 Jahren Lebenserfahrung noch ein Azubi der Hexenkunst und unsicher in der praktischen Anwendung, hat da oben keinen Zutritt. Und versucht es doch! Natürlich! Von ihrem Zimmer in einem Plattenbau, wo sie mit dem Raben Abraxas und einem Riesen-Hexenbuch in einer WG lebt, startet sie per Besen hoch hinauf – mit ernüchternden Folgen.
Der Rest ist Kinderoper oder vielleicht doch Musical? Egal, auf jeden Fall ein großer Spaß für junge Menschen, die da ihre Freude, ihre Begeisterung lautstark zum Ausdruck bringen, ohne Zurückhaltung und ohne je ein Buh in den Mund genommen zu haben. Da bekommt sogar das Orchester Vorschusslorbeeren. Nein, nicht freundlichen Beifall, das hört sich eher nach Jubel an, als die Frau Kapellmeister ans Pult tritt.
Und was spielt sie mit den Damen und Herren im Graben? Für mich klingt es wie eine dieser Jazz-Operetten aus der Barrie-Kosky-Ära des Hauses. Achtung – Kompliment! Wer eines dieser Arrangements damals erlebt hat, wird mir vielleicht recht geben. Franz Wittenbrink hat, ohne mit dem Klassik-Finger zu drohen, Musik erschaffen, die den Kindern Sounds in die Ohren pusten, die sie von den Playlists der Musikindustrie her nicht kennen. Gut gemixt und angereichert ist die Partitur mit Ohrwürmern. Die müssen schließlich dabei sein, ob Musical, Oper… immer!
Eine der schönsten Szenen des Stückes, in dem nicht nur Musik und Bühnenbild in Harmonie verschmelzen, sondern auch Mitwirkende und Publikum, erzählt von Thomas und Vroni, ähnlich Hänsel und Gretel, die im Wald nach Brennholz suchen und sich dabei sowohl von den Kindern im Saal, als auch von der kleinen Hexe Hilfe erbitten. Im Walzertakt singt der verhexte Revierförster sein „Aber gerne“ und spätestens hier habe ich das Gefühl, dass selbst in einem Werk, das für Kinder komponiert wurde, die Musik den erwachsenen Hörer vom Hocker reißen kann und emotional berührt.
Doch nach der Freude kommt die Erkenntnis, dass die kleine Hexe den Ablauf der Dinge verändert hat, was gegen die Regeln verstößt und die Muhme Rumpumpel auf den Plan ruft.
In sattem Pink gekleidet und mit matronenhafter Bühnenpräsenz ausgestattet, verkörpert die Figur das, was alle Märchen brauchen: Das Hinterhältige, das Böse, den Schocker. Der Muhme haben wir es leider zu verdanken, dass nach der Pause nicht das erwartete Happy End kommt, sondern die bittere Niederlage. Die Hauptfigur muss weiter kämpfen für ihre Sache, muss sich etwas einfallen lassen, muss Mitstreiter und Publikum erneut für sich gewinnen. Das Ziel, bei der nächsten Walpurgisnacht dabei zu sein, ist nicht unerreichbar.
Das Schillertheater an der Bismarckstraße ist das Uncharmanteste, was der Komischen Oper passieren konnte. Aber es ist nun mal ihr Ausweichquartier während der Bauarbeiten am Stammhaus in der Behrenstraße. Und es hat letztlich einen Vorteil: Die Akustik ist einzigartig. So konnten alle in Parkett und Rang gleichermaßen diese Oper hören und genießen, mit den fabelhaften Sängerinnen und Sängern und dem hervorragenden Kinderensemble. Zu loben sei hier noch die Kostümabteilung, die in Zeiten eiserner Berliner Sparpläne schier Unglaubliches für die Optik auf der Bühne erschaffen hat.
Und wenn nur 10 Prozent der begeisterten Kinder, die am heutigen Montagvormittag dieses Opernhaus eroberten, in 20 Jahren auch Mozart, Verdi und Puccini erleben wollen, dann kann uns um die Zukunft des Musiktheaters in Deutschland nicht bange sein.
Ralf Krüger, 5. November 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
„Lohengrin – für Kinder“ – die Kinderoper der Bayreuther Festspiele 2022 Bayreuth 30. Juli 2022
Richard Wagner, Die Meistersinger von Nürnberg, Kinderoper, Bayreuther Festspiele, 27. Juli 2019