Klimapolitik und Märchen aus Tausend und einer Nacht vertragen sich nur bedingt

Düsseldorfer Symphoniker, Axel Kober, Dirigent  Tonhalle Düsseldorf, 28. Juni 2024

Düsseldorfer Symphoniker
Axel Kober, Dirigent

John Psathas & Friends – Green Piece (Uraufführung)
Nikolai Rimski-Korsakow – Scheherazade – Symphonische Suite op. 35

Tonhalle Düsseldorf, 28. Juni 2024


von Daniel Janz

Gewonnen! Mit diesem Wort präsentiert man sich heute Abend in der Düsseldorfer Tonhalle. Die „Green Monday“-Reihe sei politisch so gut angekommen, dass sie mit dem Opus Klassik für Nachhaltigkeit inklusive Fernsehaufzeichnung  in Berlin honoriert werden wird. Hintergrund sind 11 Auftragswerke, die jeweils ein Thema im Kontext vom Klimawandel vertonen sollten. 11 Werke, die deshalb heute in einer Sondervorstellung, und durch den renommierten Komponisten John Psathas zu einer einstündigen Suite vereint, mit einem Konzertklassiker gewürzt wurden.
Das hört sich spannend an, wirkt in der Umsetzung aber leider wie ein Konglomerat von Eindrücken, die nicht zusammenpassen wollen. Die von Psathas neu zugefügten „Übergänge“ offenbaren nur das erste Problem: Glockenschläge, mit Bögen gestrichenes Vibraphon und Klimbim zu hoch fiependen Tönen… Immer dasselbe, langweilige und letztendlich vorhersehbare Schema! Es hilft auch nicht, dass in den hier so künstlich aneinandergeklebten Stücken die Qualität von kompositorischen Totalausfällen, über musikalische Beliebigkeit bis zu einzelnen Kleinoden reicht:

Musikalische Tiefpunkte

Zur ersten Kategorie zählen nach Meinung des Rezensenten die Stücke 2, 3, 10 und 11. „Ernährung“ von Shiva Feshareki (Stück 2) fällt z.B. nur durch schrilles Fiepen auf, zu dem Gequake, Gequietsche und instrumentales Gejaule um die Oberhand ringen. Teils schräg gesetzte, teils nervige Klangeffekte begleiten diese kompositorische Bankrotterklärung, zu der ein Kontrabass flatulenzartige Schlageffekte herausknarzt. Kaum besser ist Aziza Sadikovas „Wärmeeffizienz“ (Stück 3), das schon im Dezember durchfiel. Auch heute will diese kühle Effektkomposition nicht berühren.

Dazu gesellt sich „CO2-Kompensation“ von Adeline Wong (Stück 10), das sich wie eine zähe Aneinanderreihung von Clustern anhört, denen keine Überzeugungsarbeit gelingt. Und das platt gestaltete „Digitalisierung“ von Yuan-Chen Li (Stück 11) will nichts vom Rasen des Internetzeitalters wissen. Stattdessen bestimmen monoton pulsierende Liegetöne oder ins Leere laufende Holzbläserfiguren das Geschehen.

Am Thema vorbei

„Öffentliche Verkehrsmittel“ von Sōmei Satōh (Stück 1), „Wasser“ von Leila Adu-Gilmore (Stück 8) und „Fahrradanreise“ von Enrico Chapela (Stück 9) verfehlen indes ihr Thema. Stück 1 verrent sich in musikalischem Stillstand, wenn es nicht zwischen Stille und Motivfetzen zerfällt. Vielleicht ist das als ironisches Zwinkern auf den ÖPNV in Deutschland gemeint? Ein daherbrausender Zug geht jedenfalls anders!

„Wasser“ irritiert mit schrägen Klängen, zu denen die Musiker Gesang anstimmen. Von Wellen, Strömung, Regen oder Fluss ist aber keine Spur. Und „Fahrradanreise“ sticht zwar kompositorisch heraus. Aber dieser Höllenritt, den Enrico Chapela da schildert, ist eher Werbung fürs Auto! Überall grummelt es bedrohlich. Es folgen nicht endende Hektik und panisches Aufbäumen. Und mitten drin kämpfen Fahrradklingeln ums Überleben. Na dann Hals und Beinbruch!

Glanzlichter der Uraufführung

Dass es musikalisch besser geht, beweist zum Glück das Stück 6 „Biodiversität“, in dem Juhi Bansal malerisch, wenn auch etwas kitschig Vogelrufe über das Meer gleiten lässt. Auch Stück 7 „Energieerzeugung“ überzeugt, in dem Kristjan Järvi zu einer Art Sprungfedereffekt als Grundidee einen gewissen Pathos entfalten kann. Und Stück 12 „New Planet“, das John Psathas dieser Suite zum Abschluss frei hinzugefügt hat, beweist, dass auch moderne Musik raffinierte Stimmaufteilung und klare Dramaturgie haben kann. Alle 3 Werke haben etwas von Filmmusik.

Am meisten überzeugen aber die Stücke 4 „Energieeffizienz“ von Eve de Castro Robinson und 5 „Abfall und Recycling“ von Gordon Hamilton. Stück 4 lässt eine tiefe Melodie durch das Orchester schlängeln und greift mit allerhand Effekten und ebenfalls Gesang gleichzeitig auch noch das Thema „Wasser“ viel überzeugender auf, als es Stück 8 tat. Und in Stück 5 darf das Schlagzeug richtig loslegen und auf allerhand Haushaltsgegenständen eine rhythmisch mitreißende Recycling-Party abfeiern. Damit bildet es den musikalischen Höhepunkt der ersten Konzerthälfte – und ist auch das einzige Stück, das vom Publikum Zwischenapplaus abstauben kann.

Trotz solcher Schlaglichter bleibt so eine musikalische Kollage aber ein undankbares Erlebnis für Orchester und Publikum gleichermaßen. Musiker und Dirigent müssen sicht- und hörbare Mühe investieren, deren Honorierung sich doch in Grenzen hält. Dabei gestalten sie es nicht nur technisch gut, sondern auch interaktiv, indem sie das Publikum am Ende seinen Favoriten unter diesen Werken wählen lassen. Die Ergebnisse folgen online auf der Homepage der Green Monday. Man braucht kein Hellseher zu sein, um zu ahnen, dass Stück 5 wohl das Rennen machen wird.

Insgesamt steht und fällt so ein Konzept mit der Fähigkeit der Komponisten, einen Inhalt auszudrücken! Und das war doch über weite Strecken ausbaufähig.

Am Ende richtet es der Klassiker aus Tausend und einer Nacht

Ganz anders die Scheherazade! Bei Rimski-Korsakows zu ¾ gut komponierten und heute fast vollständig gut gespielten „Märchen aus Tausend und einer Nacht“ ist die titelgebende Figur zentral. Von Sultan Schahryâr entführt, entgeht sie allein durch ihre Geschichten seinem Todesurteil und verdreht ihm dabei so sehr den Kopf, dass er sie schließlich heiratet. Ein Happy End scheint sicher – nur um bei der Zeremonie auf See mitsamt Hochzeitsgesellschaft in einem Sturm zu kentern und zu ertrinken.

Im Vergleich zur ersten Hälfte des Abends wirkt das Orchester wie befreit. Jetzt sind Melodie, Pathos, Ergriffenheit und Dramatik da. Die Musik ergießt sich im breiten Klang der Streicher. Und Dirigent Axel Kober reizt den ersten Satz bewusst aus. Sein schreitendes, fast langsames Tempo kommt der Vorstellung des Sultans aber zugute und malt diese Figur in musikalische Pracht und Würde. Das eigentliche Drama bricht sich dann in Satz 2 bahn, als Scheherazade – von der ersten Violine außerordentlich zart vorgestellte – wiederholt dem drohenden Todesurteil entgeht.

Und selbst die etwas schwächeren Sätze 3 und 4 sind heute inbrünstig erfüllt vom Ausdruck der Gefühle. Das ergreift – auch dank fabelhafter Einzelleistungen, wie von Konzertmeisterin Franziska Früh oder der wahnsinnig prominent spielenden Harfe, die heute so manch einen Ton durchkriegt, der sonst eher im Orchestertreiben untergeht. Außerdem erwähnenswert: Die Flöten, Fagotte und Posaunen brillieren. Und über weite Strecken kommt auch von Hörnern und Trompeten klangliches Gold.

Abzüge findet man nur im Detail. So fallen ein paar Mal Störgeräusche auf, bei denen nicht sicher ist, ob sie von Orchester oder Publikum stammen. Auch das ab und an trottende Tempo hätte man gerne ein ums andere Mal anziehen können. So wäre beispielsweise der Überlebenskampf in den Wellen malerischer geworden. Manchmal wirken außerdem einige Soli (Cello) akustisch hinter den Möglichkeiten zurückgeblieben. Und musste das Schlagzeug im dritten Satz wirklich so laut sein?

Andererseits führen die kräftigen Einsätze von Pauke, Becken, Basstrommel und Snare-Drum im Finale aber wiederum dazu, dass der Festcharakter heute gut vermittelt wird. Stellenweise reißt es sogar richtig mit, was sich am Ende in von Jubel begleiteten Applaus entlädt. Insofern gleicht es das wieder aus. Insgesamt liefern Dirigent und Orchester damit heute Abend eine beachtliche Leistung, die besonders im zweiten Teil den Besuch wert war. Zum Saisonabschluss ist das jedenfalls eine warme Empfehlung, auch einmal ins Programm der kommenden Saison zu schauen.

Daniel Janz, 30. Juni 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Düsseldorfer Symphoniker, Gordon Hamilton, Dirigent, Jörg Mohr, Regie Tonhalle Düsseldorf, 29. Mai 2024

London Symphony Orchestra, Sir Antonio Pappano, Janine Jansen Tonhalle Düsseldorf, 24. April 2024

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