Magische Momente: Anna Netrebko, Yusif Eyvazov und Étienne Dupuis beseelen ihre Fans mit "La Traviata"

Giuseppe Verdi, La Traviata (konzertant), Anna Netrebko, Yusif Eyvazov, Étienne Dupuis,  Wiener Konzerthaus, 6. September 2023

AN DIESEM SAMSTAGABEND IN DER ARENA DI VERONA!!!

Die Stimme dieser Frau entspannt. Ihre satte, frauliche Tiefe und ihre strahlende Höhe sind vom Piano bis zum Forte gleichermaßen stark; ihr Timbre ist mittlerweile so abgedunkelt, dass es (fast) wie ein Mezzo klingt, ihre strahlenden Spitzentöne sind ungebrochen, ihre Phrasierungen sind traumhaft schön. Es gleicht einer Explosion, wenn sie ihre Energie zum Glühen bringt.


Wiener Konzerthaus, 
6. September 2023

Giuseppe Verdi, La Traviata (konzertant)

Anna Netrebko
Yusif Eyvazov
Étienne Dupuis

Philharmonie Baden-Baden
Konzertvereinigung Wiener Staatsopernchor
Michelangelo Mazza, musikalische Leitung

Foto © Vladimir Shirkov: Anna Netrebko und Yusif Eyvazov

von Andreas Schmidt

Es gibt im Leben eines Opern-, Stimmen- und Klassikliebhabers Momente, die magisch sind und die sich auf Ewigkeit in die Seele einbrennen. Es gibt aber wirklich nur ganz wenige Abende, die von einer so nachdrücklichen Intensität, von einer Strahl- und Leuchtkraft sowie Zauberhaftigkeit sind wie dieser Mittwochabend in Wien.

Auf dem Programm: „La Traviata“ von Giuseppe Verdi – einer divinen Jahrtausend-Oper voller phantastischer Melodien, in denen keine Note überflüssig ist.

Einer Oper voller feinfühliger Momente.

Magischer Momente.

Zu verdanken primär sind sie der bezaubernden, einmaligen und nuancenreichen Stimme der weltweit herausragenden Sängerin im Bereich der Klassik: Anna Jurewna Netrebko (sie wird am 18. September 52 Jahre alt) aus dem russischen Krasnodar – einer Sopranistin mit russischem und österreichischem Pass, einer Künstlerin mit festen Wohnsitzen in St. Petersburg und Wien.

Die Präsenz, die Hingabe, die Perfektion, die Vielfältigkeit, mit der Anna Netrebko an diesem Abend in der herausragenden Akustik des Wiener Konzerthauses sang, können mit Worten eigentlich nicht beschrieben werden. Wer im Land der Berge lebt, schöne Stimmen liebt und an diesem Mittwoch nicht dabei war, hat etwas verpasst.

Ja, es war wirklich der Gänsehautfaktor 10: Wenn Anna Netrebko mütterlich weiblich-weich in bernsteinfarbenen Tönen in der Mittellage sang, wenn sie Erda-gleich wie eine Mezzosopranistin ins tiefere Register glitt und wenn sie mit offener, betörender Frauen-„Power“-Stimme in den ganz großen Höhen eine STRAHL-KRAFT manifestierte, die unter den Sopranen dieser Welt einzigartig ist.

Anna Netrebko manifestierte mit der wunderbaren, einfühlsamen wie spritzigen Philharmonie Baden-Baden unter der Leitung von Michelangelo Mazza, dass ein Verdi-Abend etwas ganz Wunderbares, Einfühlsames und Feuriges hat. Sie bewies als Violetta Valéry in einzigartiger Vollkommenheit und absoluter Devotion, dass Sie Verdis schönste „La-Traviata“-Arien in absoluter Perfektion zu präsentieren vermag.

Auch ihr Ehemann Yusif Eyvazov (46) sang als Tenor die Rolle des Alfredo in solch einer Güte, die ihn – nach Jahren des Weiter-Lernens an der Seite von Anna Netrebko – zu dem wohl besten Verdi-Tenor seiner Zeit macht. Da ist alles unangestrengt, das blitzt und strahlt in allen Registern. Und dieser Eyvazov ist ein richtiger Tenor, der für die Kernkompetenz, für die er bezahlt wird – eine lupenreine strahlende Höhe – alles in leichter, feuriger, leuchtender Stärke „abliefert“.

Das Programmheft zitiert die Los Angeles Times mit den Worten, Eyvazovs  Stimme sei „metallisch, gewaltig und ausgeprägt italienisch“. Nun, das Wort „metallisch“ ist bei einem Tenor sicher kein allzu großes Lob… und in der Tat ist die Stimme des in Algier (Algerien) geborenen Aserbaidschaners einmal „metallisch“ gewesen, als er etwa 2016 den Troubador in Verdis gleichnamiger Oper im Schiller Theater in Berlin sang – an der Seite seiner Ehefrau.

Heute hingegen singt der sympathische Tenor ohne Druck, locker und leicht und oft auch mit viel Wärme in der Stimme. Hier hat sich der Gesangsunterricht bei den besten Lehrern der Welt ausgezahlt – inklusive die „Tipps“ der Gattin.

Der Franko-Kanadier Étienne Dupuis (44)  glänzte väterlich-tief bis strahlend-leuchtend mit einem phantastischen Stimmenspektrum in der Rolle des Germont. Mit seinem ganz eigenen Timbre bot er zahlreiche Wohlfühlmomente – ein Sänger, den man sich unbedingt notieren sollte.

Die Konzertvereinigung Wiener Staatsopernchor unter Chordirektor Huw Rhys James sorgte mit den bekannten Traviata-Chören für absoluten Hörgenuss, spritzig, feurig, einfühlsam. Nicht wenige SängerInnen könnten bitte etwas weniger gebannt in die Noten schauen. Alle Nebenrollen – Irena Krsteska (Sopran / Annina), Arina Holecek (Mezzo / Flora Bervoix), Won-Cheol Song (Tenor / Gastone Vicomte de Létorières / Giuseppe), Ferdinand Pfeiffer (Bass / Marquis d’Obigny) und Konrad Huber (Bass / Dottor Grenvil) – zeigten sich alle in bester Form und boten sehr schöne Einblicke in ihre Stimmenwelt.

Im Publikum waren sicherlich ein Drittel Fans russischer Abstammung – generell war die Abendgarderobe überwiegend festlich, was in den Opernhäusern dieser Welt ja immer seltener wird. Anna Netrebko ist für sehr viele russischstämmige Menschen rund um den Globus eine „Nationalheldin“.

Andreas Schmidt, 6. September 2023, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

8 Gedanken zu „Giuseppe Verdi, La Traviata (konzertant), Anna Netrebko, Yusif Eyvazov, Étienne Dupuis,
Wiener Konzerthaus, 6. September 2023“

  1. Ich war mit meinem Mann dabei am 6.9. und die Beschreibung von Herrn A. Schmidt ist perfekt. Es war ein himmlischer Abend.

    Maria Elisabeth Schneeweiss

  2. Vielen Dank! Genau meine Begeisterung! Reine Magie. Jetzt im Zug nach Verona, um heute Abend Anna in Traviata zu bewundern!

    „Daland“ (T.S.)

  3. Komisch, der Rezensent muss woanders gewesen sein, denn im Wiener Konzerthaus. Oder er gehört zu den verblendeten Netrebko-Jüngern, der einfach alles lobt, was diese Frau von sich gibt – von ihrem unsäglichen Gatten ganz zu schweigen. Ja, er hat einiges dazugelernt, aber das hebt ihn weder optisch, noch stimmlich, kaum über das Mittelmaß hinaus. Netrebko hatte sicher einen ihrer besseren Abende, der großteils vergessen ließ, dass ihre Stimme den Höhepunkt längst überschritten hat, aber der Hymnus, sie wäre „einzigartig“ unter den Sängerinnen, ist bei weitem übertrieben. Es gibt genug, besonders russische Sopranistinnen, die ihr locker das Wasser reichen können, nur sind das echte Damen, die halt weniger Aufhebens um sich selbst machen und ihre Gesangskultur auf intellektuellerem Level ausleben, als Frau Netrebko. Lassen wir also bitte die Kirche im Dorf und Netrebko/Eyvazov dort, wo sie hingehören – und das ist sicher nicht der Olymp.

    Saskia Ellmer

    1. Liebe Frau Ellmer,

      herzlichen Dank für Ihren pointierten Kommentar. Nennen Sie unseren Lesern bitte die russischen Sopranistinnen, die mehr drauf haben als Anna Netrebko in der derzeitigen Verfassung.

      Herzlich

      Andreas Schmidt

      Es braucht nicht unbedingt ein „intellektuelles Level“, um ein großer Sänger zu sein.

      1. Es braucht ein intellektuelles Level, um ein großes Sänger zu sein. Braucht man d. Sinn und Verständnis d. Operngesang u.a.

        Oxana Richter

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