Ulrich Poser berichtet über die Aufführung der Luisa Miller aus der Hamburgischen Staatsoper vom 28. September 2018
Nein, es geht nicht um eine Wagner-Oper. Auch ein Film von Quentin Tarantino ist nicht Gegenstand nachfolgender Gedanken. Die Handlung von Verdis Oper Luisa Miller (nach Kabale und Liebe) ist typisch für Verdi: Unglückliche Liebe, die Gute, der Böse, Intrigen, Gift. Am Ende sind fast alle tot. Amore, vendetta, sangue, morte. Die Musik von Luisa Miller ist „ganz nett“, kommt aber nicht an Verdis Meisterwerke wie z.B. Maskenball, Aida, La Traviata, Rigoletto oder Otello heran.
Der Abend wurde zum Triumph für die georgische Sopranistin Nino Machaidze (Matschaidse). Sie bewältigte die mörderische Partie der Luisa mit den schwierigen Koloraturen erstklassig. Diese Vorstellung hob die Künstlerin fast auf eine Ebene mit den derzeitigen Weltstars Harteros und Netrebko. Man kann sicher davon ausgehen, dass die Sängerin unmittelbar davor steht, den Olymp der Weltstar-Sopranistinnen zu erklimmen. Machaidze besitzt eine jener schönen durchdringenden und klaren Stimmen, die man auch im 4. Rang in der letzten Reihe noch sehr gut hört. Ihre reinen Spitzentöne sind feinste Delikatessen a la Caballé. Gestochen scharf. Sie hat darüber hinaus eine nie schrill klingende Stimme, die sich zusammen mit ihrer ansehnlichen Erscheinung und ihrem schauspielerischen Talent zu einem „Gesamtkunstwerk“ addiert. Und genau ein solches „Gesamtkunstwerk“ ist Voraussetzung für einen Weltstar. Das kennt man von Domigo, Netrebko, Kaufmann & Co. hinlänglich.
Bleibt zu hoffen, dass Machaidze der Hamburgischen Staatsoper noch lange treu bleibt. Letztere hat das nämlich bitter nötig. Das sieht man beispielsweise daran, dass diese erstklassig besetzte Vorstellung zu allenfalls 2/3 verkauft war. Schade! Wie ist ein solch erheblicher Leerstand an einem Freitagabend in der Hansestadt zu erklären? Sicherlich sind das zum Teil noch die Auswirkungen des Schaffens der Australierin, die die Hamburgische Staatsoper nach Auffassung des Rezensenten in ihrer 10-jährigen Amtsperiode in die Bedeutungslosigkeit dirigiert hat. Aber genug gemeckert! Man hofft unter Nagano zurecht auf bessere Auslastung.
Der Abend war insgesamt eine musikalische Sternstunde: Joseph Calleja kam rasch in Fahrt und überzeugte mit seinem starken, jugendlichen Tenor. Seine Arie „quando le sere al placido“ riss das Haus zu Begeisterungsstürmen hin.
Die Partie des Il Conte di Walter übernahm kurzfristig der erst am Tag der Aufführung eingeflogene Carlo Corombara, der die Partie am Notenpult stehend vom rechten Bühnenrand aus mit seinem schwarzen Bass hervorragend sang, während ein Mitarbeiter des Hauses die Rolle spielte. Das Publikum dankte Colombara mit extra viel Applaus.
Der Dirigent Alexander Joel hatte das bestens disponierte Orchester im Griff: Viel Italiana; genau richtig für eine Verdi-Aufführung. So macht musizieren Spaß.
Die pfiffige Inszenierung von Andreas Homoki und insbesondere die phantasievollen Kostüme von Gideon Davey trugen ihren Teil dazu bei, dass es alles in allem ein sehr erfreulicher und beglückender Abend wurde.
Bitte mehr davon!
Ulrich Poser, 30. September 2018
für klassik-begeistert.de
Lieber Herr Poser,
ich habe die Aufführung auch gesehen und Ihren Beitrag mit Interesse gelesen. Die Kritik an Simone Young kann ich insgesamt und insbesondere bei Luisa Miller nicht nachvollziehen. Young hat diese Inszenierung (damals schon mit Nino Machaidze) während ihrer Intendanz auf die Bühne gebracht und das Orchester zu einem hervorragenden Verdiklang stimuliert. Unter Alexander Joel klang das Philharmonische Staatsorchester in meinen Ohren dagegen allenfalls routiniert, was sich auch auf die Bühne übertrug. Frau Machaidze war in der Tat eine überzeugende Sängerdarstellerin, ob sie stimmlich auch zur genannten Kategorie gehört, da mag man durchaus unterschiedlicher Meinung sein. Insgesamt fand ich die sängerischen Leistungen damals unter Frau Young überzeugender (u.a. mit Petean als Miller).
Mit den allerherzlichsten Grüßen und in der Hoffnung vieler weiterer Kommentare zum Hamburger Operngeschehen, die ich immer gerne lese, Ihr Ralf Wegner
Ich habe „Luisa Miller“ in der Hamburgischen Staatsoper am 22.09.2018 gesehen und fühlte mich atmosphärisch an die legendäre Aufführung von 1981 erinnert, die ich seinerzeit zweimal hintereinander gesehen habe – für mich das absolute Highlight an der Hamburger Staatsoper ‚for ever‘. Damals gab es eine Spitzenbesetzung (Sinopoli, Carreras, Ricciarelli, Nucci) – alle gaben mir ein Autogramm und waren selbst beseelt von diesem Ereignis. Nun also ein Déjà-vu, mehr als 30 Jahre später.
Bereits 2014 hatte ich die ’neue‘ „Luisa Miller“ gesehen – ganz gezielt, um Nino Machaidze zu hören, die ich als Gilda (mit Leo Nucci als Rigoletto) auf DVD (aus Parma) das erste Mal kennengelernt hatte: Das war ein Elementarereignis für mich, die hervorragende Aufzeichnung kann ich nur jedem Kenner wärmstens empfehlen. Es gab sogar ein phänomenales ‚cis‘ der beiden, die ich seither als mein Dream Team bezeichne.
Die Rolle des Rodolfo sang 2014 Ivan Magri mit einer schlanken, lyrischen, beweglichen Tenorstimme in ganz hervorragender Diktion und Darstellung. Nun also Joseph Calleja. Ihn hatte ich vor 15 Jahren das erste Mal gehört und schon damals gesagt: wenn es überhaupt so etwas wie einen Pavarotti-Nachfolger geben sollte, dann wird er es sein! In den Folgejahren ‚dunkelte‘ aber seine Stimme immer mehr nach – sie klang oftmals mehr dramatisch, stählern – blieb aber auch zur lyrischen Phrasierung fähig (’spinto‘). Deshalb war ich sehr gespannt auf sein Hamburger Rollen-Debut als Rodolfo.
All meine Bedenken, ob seine Stimme vielleicht an lyrischem Ausdruck und Beweglichkeit eingebüsst haben könnte, waren bereits bei seinen ersten Intonationen wie weggeblasen: Es war alles da, prall präsent und raumfüllend, wie man es sonst kaum einmal in der Staatsoper Hamburg hören kann. Dazu eine präzise Artikulation mit hoher Sprachverständlichkeit, was alles zusammen mich tatsächlich an Luciano Pavarotti erinnerte.
Ganz gezielt machte ich den Test: Augen zu – und hören: Könnte das Pavarotti sein? Die Antwort war: in 70 Prozent müsste man das bejahen. Auch darstellerisch überzeugte Joseph Calleja, auch wenn er mit der sich Laufbahn-mäßig bewegenden Kulisse seine Schrittprobleme hatte (was er mir nachher im persönlichen Gespräch bestätigte – er müsse sich erst räumlich an die Bühne adaptieren…).
Nino Machaidze: Meine persönliche Favoritin im (frühen) Verdi-Fach. Sie hat alles – die Höhe, die Koloratursicherheit, die Phrasierung – nie muss man bei ihr Angst haben. Auch die rechte Verdi-gewollte Vibrato-Dosis bringt sie immer traumwandlerisch sicher zur Geltung. Besonders beeindruckt bin ich immer wieder bei ihr über die ansatzlose Intonationsssicherheit – das raubt mir glatt den Atem! Besonders gut ist das auch auf der DVD ‚I Puritani‘ zu sehen, die kameratechnisch die Stimmtechnik brilliant eingefangen hat. Darstellerisch spielte Nino Machaidze alles aus, was die Rolle hergibt und bekam standing ovations!
Angesichts dieser beiden Hauptakteure gab es so etwas wie eine ansteckende Euphoriegemeinschaft, die letztlich alle erfasste. Da war das Philharmonische Staatsorchester unter Alexander Joel plötzlich von Italianità infiziert, und auch der Chor zeigte italienisches Feuer in einer doch recht traurigen Handlung einer Oper, die man als Verismo-Starter (1849) einordnen könnte.
Es gab riesige Beifallsstürme (https://www.youtube.com/watch?v=DgvVDlK_g-w) – ein richtig grosser Opernabend in Hamburg mit glücklichen Akteuren und einem beseelten Publikum. Ich gehe nochmal hin!
Dr. Holger Voigt
LUISA MILLER
Wiederaufnahme am 22.09.2018, Staatsoper Hamburg
Musikalische Leitung: Alexander Joel, Inszenierung/Bühne: Andreas Homoki, Paul Zeller, Kostüme: Gideon Davey, Chor: Eberhard Friedrich, Rodolfo: Joseph Calleja, Miller: Roberto Frontali, Luisa: Nino Machaidze, Wurm: Ramaz Chikviladze, Il Conte: Vitalij Kowaljow