Anja Harteros: Die (vielleicht) beste Desdemona aller Zeiten

Giuseppe Verdi, Otello, Anja Harteros, Jonas Kaufmann, Gerald Finley,  Bayerische Staatsoper, München

Foto: klassik-begeistert.de-Autor Yehya Alazem,
geboren am 27. August 1989 im syrischen Homs (teilweise zerstört während des Krieges) , mit der deutsch-griechischen Sopranistin Anja Harteros, geboren am 23. Juli 1972 in Bergneustadt, Nordrhein-Westfalen – nach der Vorstellung des „Otello“ am 15. Dezember 2018 in der Bayerischen Staatsoper in München vor der Garderobe der Künstlerin. Yehya Alazem  lebte auch in den Vereinigten Arabischen Emiraten, Kuwait, Schweden, England und Deutschland. Von 2004 bis 2012 lebte er in Schweden, seit Juni 2018 wieder in Stockholm. Er hat Kerntechnik in Göteborg und Manchester studiert und arbeitet als Kerntechnik-Berater in Stockholm. Er hat Deutsch gelernt, als er von Februar bis Juli 2016 und von Juli 2017 bis Juni 2018 in Berlin lebte. Als klassik-begeistert.de-Herausgeber ihn am 24. Juni 2016 in der Deutschen Oper Berlin vor der Aufführung des „Rigoletto“ von Giuseppe Verdi kennenlernte, sprach er nur ganz, ganz wenig Deutsch. Heute spricht und schreibt Yehya besser als die meisten Muttersprachler. Er war wegen der deutschen Kultur und der drei Opernhäuser in Berlin, wegen Giuseppe Verdi und Richard Strauss, in die mitteleuropäische Hauptstadt gekommen. Richard Wagner ist seiner (noch) nicht 😉
Andreas Schmidt – ich danke Dir für alles, lieber, werter Yehya!

Bayerische Staatsoper, München, 15. Dezember 2018
Giuseppe Verdi, Otello

Kirill Petrenko, Musikalische Leitung
Amélie Niermeyer, Inszenierung
Christian Schmidt, Bühne
Anja Harteros, Desdemona
Jonas Kaufmann, Otello
Gerald Finley, Jago

von Yehya Alazem

Nach dem großen Erfolg an der Bayerischen Staatsoper mit Donizettis La favorite waren die Erwartungen an Amélie Niermeyer vor der Neuproduktion von Giuseppe Verdis Otello ziemlich hoch. Besonders wenn unter der musikalischen Leitung von Kirill Petrenko Namen wie Jonas Kaufmann, Anja Harteros und Gerald Finley versammelt sind.

Niermeyer verlegt die Handlung in eine moderne Zeit. Otello und Desdemona erscheinen als reiches Ehepaar, das an einer katastrophalen Beziehung leidet. Am Anfang der Oper erwartet Desdemona ihren Mann, der kein triumphierender Held ist, sondern ein Büromensch, der in seinem “Esultate” das furchtbare Eheleben beklagt, anstatt dem Volk Freude zu bringen.

Jago macht die schlechte Sache noch schlimmer. Der Grund dafür scheint ein Minderwertigkeitskomplex zu sein. Otello läuft mit Hemd und Krawatte herum, Jago hingegen mit T-Shirt und Sneakers. Von Rassismus ist kaum etwas zu spüren, was dem Libretto und der Partitur in hohem Maße widerspricht.

Leider weiß die Regie mit den Szenen, in denen es nicht um die drei Hauptfiguren geht, nichts Überzeugendes anzufangen. Die Rolle des Chors und der anderen Nebenfiguren ist einfach zu unklar und bringt der Handlung wenig. Es geht nur um das Ehepaar Otello – Desdemona und Jago, der die bereits beschädigte Beziehung wirklich ins Grab bringt.

Das Bühnenbild von Christian Schmidt ist durch eine virtuelle Wand in zwei identische Zimmer geteilt – das eine mit weißen und das andere mit schwarzen Wänden. Die zwei Zimmer stellen die  verschiedenen Welten dar, in denen Desdemona und Otello leben und denken.

Das Schauspiel der Hauptfiguren ist bis ins kleinste Detail durchdacht – unglaublich intensiv, und die Personenregie ist  großartig. Dafür braucht man jedoch gute schauspielernde Sänger, und das Trio Anja Harteros, Jonas Kaufmann und Gerald Finley bietet Musikdramatik auf absolut höchstem Niveau.

Im Orchestergraben schafft derweil das Orchester unter dem Generalmusikdirektor Kirill Petrenko Unglaubliches: Wie kann man solche Transparenz und solchen Detailreichtum bewahren, ohne dass es dabei im Geringsten an Dramatik mangelt? Vom gewaltigen Sturm am Anfang bis zum zarten Ende – das Orchester und das Dirigat sind großartig.

Gerald Finley hat einen leichten Bariton mit reichem Kern und Geschmeidigkeit. Durch seine Feinheit liefert er eine rundum glaubwürdige Interpretation des Jago, der mit dämonischen Kräften die Beziehung von Otello und Desdemona sabotiert und das Böse äußerst raffiniert auf die Bühne bringt.

Vor anderthalb Jahren debütierte der Startenor Jonas Kaufmann als Otello in London; die Reaktionen von Presse und Opernliebhabern waren gemischt. Heute hört man eine  deutliche Verbesserung. Seine Stimme hat zwar immer noch nicht die richtige Strahlkraft des Otello, aber trotzdem überzeugt er vollends in dieser Produktion, in der er keinen “siegenden Löwen” darstellen muss.

Jonas Kaufmann singt mit Passion und Ausdruckskraft. Sein warmes Timbre kommt vor allem in den empfindlichen Passagen zur Geltung, insbesondere im Liebesduett im ersten Akt, in dem er zusammen mit Anja Harteros für einen gewaltigen Gänsehautmoment sorgt.

In der Rolle der Desdemona bietet Anja Harteros, die momentan weltbeste Sängerin im lyrisch-dramatischen Fach, eine geschichtsträchtige Leistung. Sie bringt die Rolle auf eine neue Ebene, verkörpert nicht nur die reine, unschuldige Frau, sondern auch eine Frau von Stolz und Selbstbewusstsein.

Mit ihrem warmen, weichen Sopran, der in allen Lagen, und vor allem in der Höhe fabelhaft klingt, singt sie voller Leidenschaft und Eleganz. Ihre Legati klingen außerordentlich, gerade so, als sänge sie die ganze Rolle vom Anfang bis zum Ende in einem einzigen langen Ton.

Und im vierten Akt singt Anja Harteros so engelsgleich, dass man sich nur eine Frage stellt: Hat es je eine bessere Desdemona gegeben? Diese zählt auf jeden Fall zu den besten aller Zeiten, ist (vielleicht) sogar die beste.

Yehya Alazem, 17. Dezember 2018, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

2 Gedanken zu „Giuseppe Verdi, Otello, Anja Harteros, Jonas Kaufmann, Gerald Finley,
Bayerische Staatsoper, München“

  1. Ich habe „Otello“ am 20.9.2019 erleben dürfen! Wir sind Opernliebhaber und gehen zu vielen Vorstellungen weltweit — aber EINDEUTIG dies war die wundervollste mitfühlende Ari,e die ich je hören konnte!
    Wir hatten die Möglichkeit dies auch Frau Anja Harteros persönlich zu sagen. Es gibt sicherlich nur ein paar wenige Augenblicke, auf die man im Leben zurückblicken/hören kann – dies ist einer.
    Vielen Dank an Frau Anja Harteros!!

    Dr. Wolfgang Engshuber

  2. …die Inszenierung, die krude Phantasie des Regisseurs, die Sänger …. sie sind auf keinen Fall in einer historischen Reihe mit den wirklichen Größen dieser Rollen. Herr Kaufmann ist lediglich eine gute Fehlbesetzung. Die Fallhöhe vom Feldherrn zum Neurosen Getriebenen erreicht er nicht, kann die Stimme auch nicht.

    Konrad Messerer

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