Auch Mahler braucht seine Heldentenöre: Andreas Schager trägt die Krone einer fulminanten Mahler 8 in der Elbphilharmonie

Gustav Mahler, Sinfonie Nr. 8 Es-Dur, NDR Elbphilharmonie Orchester, NDR Vokalensemble, Rundfunkchor Berlin, Prager Philharmonischer Chor & Knabenchor Hannover Elbphilharmonie, Hamburg, 11. April 2024

NDR Elbphilharmonie Orchester, Chöre und Solisten; Foto Patrik Klein

Mitten in der Mahler-Stadt Hamburg füllt das NDR Elbphilharmonie Orchester gemeinsam mit vier Chören die brillant klingende Elbphilharmonie mit Mahlers monumentaler achter Sinfonie. Unüberhörbar segelt vor allem Andreas Schagers Stahlkraft-Stimme wie ein Wagner’scher Heldentenor hoch über den bis in die Ränge verteilten Musiker.

Gustav Mahler, Sinfonie Nr. 8 Es-Dur

NDR Elbphilharmonie Orchester
NDR Vokalensemble, Rundfunkchor Berlin, Prager Philharmonischer Chor & Knabenchor Hannover

Semyon Bychkov Dirigent

Carolyn Sampson, Camilla Tilling & Miriam Kutrowatz, Sopran
Stefanie Irányi & Jennifer Johnston, Mezzosopran
Andreas Schager, Tenor
Adam Plachetka & Nathan Berg, Bass

Elbphilharmonie, Hamburg, 11. April 2024

von Johannes Karl Fischer

Andreas Schager kann also auch leise singen. Das hätte ich dem wohl weltlautesten Bacchus nicht zugetraut. Völlig innerlich wie im Kirchenchor stimmte er mit den sieben anderen SolistInnen auf Veni, creator spiritus ein, ein bisschen Gebetsstundenstimmung aus dem Kloster Melk. Doch dann legte er los, zündete den Turbo. Unüberhörbar hob sich seine Stahlkraft-Stimme weit über die knapp 500 auf der Bühne und in den Rängen platzierten MusikerInnen hinaus. In seiner Solo-Partie als Doctor Marianus beherrschte seine souverän segelnde Stimme eigenmächtig die Musik und setzte Mahler die Krone der Hamburgischen Sinfoniekunst auf den Kopf.

Mahler hat hier eine opernartige, kräftemessende Sinfonie geschrieben, eine Art sinfonisches Gesamtkunstwerk. Das kam in dieser Halle auch mit voller Emotion und Eifer rüber. Verantwortlich hierfür waren maßgeblich die vier Chöre, die mit Leib und Seele singend den Saal in allen Ecken mit wunderbarem Mahler-Klang füllten. Gott spricht ein Machtwort, so ungefähr könnte man das verstehen. So wollte es Mahler auch. Kräftig, überwältigend, aber eben alles andere als nur laut.  Und anderswo eben auch ruhig und in Harmonie vereint wie von einer Engelwolke herab singend.

Auf diesem gesanglich souveränen Klangpolster erhob sich auch Carolyn Sampsons strahlender Sopran. Schon im ersten Hymnus-Teil segelte ihre sonnenhelle Stimme völlig mühelos durch den Saal, auch als Magna Peccatrix im zweiten Teil verzauberte sie das Publikum mit ihrem zutiefst emotionalen Gesang. Die zweite Sopranistin des Abends, Camilla Tilling (Una poenitentium), überzeugte mit einer glanzvollen Leistung, dass sie vielleicht nicht ganz so brillant wie ihre erste Sopran-Kollegin rüberkam, sei ihr als Einspringerin verziehen.

Solisten und Dirigent Mahler 8; Foto Patrik Klein

Als Mulier Samaritana war ursprünglich Tanja Ariane Baumgartner besetzt, die mich zuletzt als Brangäne in Dresden ziemlich grenzenlos begeistert hatte. Und ihre Einspringerin, Stefanie Irányi, hatte einen bärenstarken Abend und berührte das Publikum mit warmer, hochemotionaler Stimme aus tiefster Seele. Das war eine absolut souveräne Ansage von Frau Irányi an die gesangliche intensive Mahler-Mezzosopran-Gesangswelt, stilistisch sind die beiden Richards da nicht mehr weit entfernt… Nächster Halt, Wagner-Venus?

Mit Adam Plachetka und Nathan Berg waren auch die beiden Patres bärenstark besetzt, vor allem Herr Plachetka brillierte souverän, nicht brummend und mit klar verständlichem Bass. Herr Berg war übrigens auch ein Einspringer. Richtig, von den acht SolistInnen waren gleich drei eingesprungen, anscheinend so kurzfristig, dass es nicht mal einen Einlegezettel im Programmheft gab. Das hätte man ruhig mal ankündigen können…

Für eine Sinfonie geriet das Orchester schon fast in den Hintergrund. Das ist allerdings dem Werk geschuldet, denn das NDR Elbphilharmonie Orchester spielte mit ungewohnt passioniertem Einsatz. Vor allem aus den Streichern kam ein sehr saftiger und emotional intensiver Klang. Natürlich hätte es an der einen oder anderen Stelle noch etwas feiner klingen können – zum Beispiel Jens Plückers Horn-Solo fiel mal wieder durch einen eher eckigen Klang auf – aber gerade die Einleitung zum zweiten Teil – die einzige wirkliche Orchesterstelle in dieser quasi-Opernsinfonie –  malte mit allen bunten Farben des musikalischen Klangfarbenspektrums den Wald samt Bäumen und Felsen in die Elbphilharmonie. Wer schonmal vor Mahlers Kompositionshäuschen im Kärntner Wald mit Wörtherseeblick stand, könnte ein kleines Déjà-vu, besser gesagt Déjà-écouté, haben…

Semyon Bychkov © Marco Borggreve

Am Pult hielt Semyon Bychkov die Mammut-Besetzung mehr denn souverän zusammen und hatte die Balance bestens im Griff. Ein bisschen wie ein Operndirigent auf einer Konzertbühne. Vielleicht nicht unbedingt sehr viele eigene Impulse, doch die sehr zahlreichen MusikerInnen dieses spaßhaft als „Sinfonie der Tausend“ bezeichneten Werks vereinte er in zu einem einzigen sinfonischen Gesamtkunstwerk.

Nach gerade einmal anderthalb Stunden war das ganze leider schon wieder vorbei. Fantastisch, aber viel zu kurz… übrigens die gleiche Einschätzung, mit der ich neulich einen ziemlich verdutzen Blick einer Cello-Kommilitonin erntete, nachdem wir gemeinsam knapp anderthalb Stunden Bruckner 8 in der Laeiszhalle gespielt hatten. Egal, heute ließ die brillante Akustik der Elbphilharmonie auch Mahler 8 in all ihrer Pracht erklingen. Der ehemalige Hamburger Operndirektor wäre mächtig stolz gewesen!

Johannes Karl Fischer, 12. April 2024 für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Klein beleuchtet kurz 26: Geballte Klangwucht mit Mahlers 8ter klassik-begeistert.de, 13. April 2024

Mark Andre und Gustav Mahler, Orchestre de Paris, Klaus Mäkelä, CPE Bach-Chor Elbphilharmonie, 19. März 2023

Orchestre de Paris, Klaus Mäkelä, Dirigent, Mark Andre und Gustav Mahler Elbphilharmonie Hamburg, 19. März 2023

Ein Gedanke zu „Gustav Mahler, Sinfonie Nr. 8 Es-Dur, NDR Elbphilharmonie Orchester, NDR Vokalensemble, Rundfunkchor Berlin, Prager Philharmonischer Chor & Knabenchor Hannover
Elbphilharmonie, Hamburg, 11. April 2024“

  1. Guten Tag Herr Fischer,

    Ihre Schilderung des gestrigen Konzerts hat mir wirklich gut gefallen, danke dafür!
    In meinem Programmheft war übrigens ein Einleger enthalten, mit welchem alle drei „Ersatz“-Solisten ausführlich benannt und vorgestellt worden sind. 😉

    Ute Kolbe

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