Interview Joanna Freszel: „Als Kind habe ich es genossen den Sängern hinter dem Vorhang zuzuhören", Teil 1

Exklusivinterview mit der polnischen Sopranistin Joanna Freszel – Teil 1  klassik-begeistert.de, 23. November 2022

Foto: Joanna Freszel © fot. Jacek Poremba

von Jolanta Łada-Zielke

Joanna Freszel, polnische Sopranistin, hat sich auf die Aufführung zeitgenössischer Musik spezialisiert. Sie tritt am 18. und 19. Dezember 2022 auf der großen Bühne der Elbphilharmonie in Hamburg auf. Die Sängerin absolvierte ein Gesangsstudium der Frédérick-Chopin-Musikhochschule (UMFC) in Warschau bei Jadwiga Rappé sowie das Postgraduiertenstudium für Liedgesang. Neben Kompositionen aus dem 20. und 21. Jahrhundert umfasst ihr Repertoire die Werke von Bach, Rameau, Donizetti, Mozart, Puccini und polnischen Komponisten wie Grażyna Bacewicz, Stanisław Moniuszko, Ludomir Różycki und Witold Lutosławski. Für ihr Debütalbum Real Life Song (DUX, 2015) erhielt die Sängerin den Les Orphées d’Or Prix de la SACD von der Académie du Disque Lirique. Sie sang auf den Bühnen des Großen Theaters der Nationaloper in Warschau, des Großen Theaters in Poznan, in Krakau, in der Estnischen Nationaloper und des Teatro Lope de Vega in Sevilla.  Joanna Freszel erwarb auch eine außermusikalische Ausbildung als Master der Umweltschutztechnik an der Universität für Biowissenschaften in Warschau (SGGW). Ab 2019 besitzt sie den Doktor-der-Künste-Titel und unterrichtet an der UMCF und der Musikhochschule in Kattowitz.

Gespräch zwischen der polnischen Sopranistin Joanna Freszel und Jolanta Łada-Zielke 

Im ersten Teil des Interviews sprechen wir über den äußerst interessanten Verlauf ihrer Ausbildung.

klassik-begeistert: Liebe Joanna, welchen Platz hat die Musik in Ihrer umfassenden Ausbildung eingenommen?

Joanna Freszel: Im Alter von sieben Jahren begann ich meine Ausbildung in der Grażyna-Bacewicz-Musikschule in Warschau, in der man die Musikfächer zusammen mit der Allgemeinbildung unterrichtet. Dort lernte ich Akkordeon und später Querflöte – mein Lieblingsinstrument – spielen. Zur gleichen Zeit begann ich im Kinderchor von Teatr Wielki und der Warschauer Nationaloper Alla Polacca unter der Leitung von Sabina Włodarska zu singen. Meine „Liebesaffäre“ mit der Oper dauerte siebzehn Jahre und ging einher mit verschiedenen Bildungsstufen, die nicht unbedingt mit Musik zu tun hatten.

Nach acht Jahren Grundschule besuchte ich ein Sprachgymnasium mit Französisch als Unterrichtssprache. Ich habe die ganze Zeit im Chor gesungen, aber ich beschloss, mich im Bereich Pop-und Schlagerlieder zu versuchen. Bei den Beratungsgesprächen zur Vorbereitung auf die Aufnahmeprüfungen an der Jazz- und Gesangsfakultät bezeichneten die zuständigen Pädagogen meine Stimme jedoch als altmodisch und wenig gesanglich. Als man mich zu diesem Studium nicht aufnahm, beschloss ich, zu meiner „alten Liebe“ zurückzukehren, zumal meine Fähigkeiten im Opernchor immer geschätzt wurden. Schon als Kind habe ich Solopartien in „Tosca“ oder „La Bohème“ bekommen.

klassik-begeistert: Also hat Sie Ihre erste Liebe selbst „beansprucht“?

Joanna Freszel: Ich nenne es scherzhaft „die Liebe zur Oper hinter dem Vorhang“ (lacht). Es hängt mit einer Inszenierung von „Tosca“ zusammen, in der ich als Kind als einer der Ministranten auftrat. Damals hatte ich kurze Haare und konnte einen Jungen spielen. In einer Szene stieg ich mit anderen Ministranten die Treppe hinunter, und zwar von einer Konstruktion, die einer Empore mit Orgel ähnelte und hoch über der Bühne hing. Nach der letzten Stufe ging ich in die entgegengesetzte Richtung als die anderen Kinder und versteckte mich hinter einem Vorhang, um von dort aus meinem Lieblingsduett von Cavaradossi und Tosca zu lauschen. Sooft es mir gelang, belauschte ich auf diese Weise die besten Sänger, denn man passte auf uns ständig auf, damit wir uns auf dieser tiefsten Opernbühne Europas nicht verirrten. Ich habe schöne Erinnerungen an diese Zeit, zum Beispiel an die Ballettschuhe, deren Sohlen wir mit zerstoßenem Kolophonium einfetteten, damit sie nicht rutschten. Das Vorsingen, das Warten vor dem Eintritt auf die Bühne, der Geruch des Theaters, die staubigen Vorhänge, der Scheinwerfer, der uns so blendete, dass wir das Publikum nicht sehen konnten – all dies waren fast magische Rituale für mich als Mädchen. Deshalb beschloss ich, wieder damit anzufangen, und ich hatte das Glück, wieder auf der Bühne stehen zu dürfen. Manche kehren zum Operntheater als Orchestermusiker, Dirigenten oder Chorsänger zurück.

klassik-begeistert: Wie ist es dazu gekommen, dass Sie auch Umweltschutztechnik studiert haben?

Joanna Freszel: Bereits während meiner Schulzeit im französischen Gymnasium habe ich beschlossen, weiter Gesang zu studieren. Aber ich habe praktisch denkende Eltern, und mein Vater schlug vor, dass ich ein technisches Studium absolvieren sollte. Ich hatte nichts dagegen, denn ich liebe Tabellen, Diagramme und verschiedene Berechnungen. Zwar bin ich kein Mathe-Physik-Fan, habe aber immer gern systematisch und sorgfältig gearbeitet, und die Natur sehr geliebt.

Joanna-Freszel (c) fot. Jacek-Poremba

Als Kind züchtete ich so ungewöhnliche Tiere wie Wasser- und Landschnecken. Meine Freizeit verbrachte ich mit meinen Eltern in einer von unseren zwei Parzellen, wo ich in der Erde grub und das Leben der Würmer und kleinen Insekten beobachtete. Der Respekt vor lebendigen Wesen, den mir meine Eltern eingeflößt haben, und der Vorschlag meines Vaters haben dazu geführt, dass ich mich für den Umweltschutz an der Warschauer Naturwissenschaftlichen Universität entschied. Im vierten Jahr meines Studiums dachte ich wieder darüber nach, doch klassischen Gesang zu lernen.

klassik-begeistert: Aber Sie haben keine Pause vom Singen gemacht?

Joanna Freszel: Nein, ich war damals noch in Alla Polacca, aber schon in einer kleinen Besetzung, ausgewählt aus diesem riesigen Chor. Ich gründete zusammen mit einigen anderen „Veteraninnen“ – den Frauen Mitte zwanzig – das Ensemble Camera (heute Sirenes), deren Leiterin Magdalena Gruziel, meine Freundin aus dem Kinderchor, war. Im vierten Jahr meines technischen Studiums kam ich zu dem Schluss, dass ich mit dem Chorgesang aufhören soll, wenn ich mich als Solistin weiterentwickeln will. So verließ ich Camera, unter großen Schmerzen, weil ich mich von meinen Freunden und der Musik, die wir gemeinsam gemacht hatten, trennen musste. Interessanterweise sang ich im Chor in der Altstimme, ohne zu wissen, dass ich ein Sopran bin. Bei meinem ersten Vorsingen im Zusammenhang mit klassischem Gesang hat man mich bis zu den hohen Tönen eingesungen, dass ich selbst überrascht war. Dann habe ich die Aufnahmeprüfung zu dem Gesangsfakultät der Musikschule Zweitens Grades in Warschau mit dem ersten Platz bestanden.

klassik-begeistert: Dann haben Sie das Gesangsstudium der Musikhochschule in Warschau bei der weltbekannten Altistin Jadwiga Rappé absolviert. Kennen Sie das Klischee, dass es besser wäre, wenn eine Sopranistin eine andere Sopranistin unterrichtet?

Joanna Freszel: Vielleicht ist es tatsächlich besser, wenn die leitende Lehrkraft dieselbe Stimme hat, obwohl es Ausnahmen von der Regel gibt. Aber ich bin nicht die einzige Sopranistin, der Frau Rappé das Singen beibrachte. Ich muss lachen, weil sie eine „Spezialistin der Soprane“ ist, so wie der Bass Marek Rzepka die Koloratursopranistinnen mit Erfolg unterrichtet. Frau Rappé kann alle Stimmen trainieren. Als Sängerin hat sie diesen Kern der Ausstrahlung, dessen Basis der tiefe Atem ist – die Basis eines tiefen Appoggio – und die Fähigkeit, einen schönen Klang zu erzeugen, ihn zu temperieren und zu schärfen, so dass er geschickt, schwebend und frei in den Kopfresonator eintritt. Die Hauptsache ist, dies an jeden einzelnen Schüler weiterzugeben. Meiner Meinung nach zeigt sich die Größe eines Pädagogen nicht nur durch sein Wissen, sondern auch durch seine „soft skills“, also zwischenmenschlichen Fähigkeiten und eine Art Sensibilität, ein individuelles Herangehen an den Sänger als Mensch. Während der Gesangstunden sprechen wir nicht nur über das Wesentliche, das mit dem Beruf zu tun hat. Für uns als sensible Künstler ist es sehr wichtig, dass der Lehrer sich dafür interessiert, wie man sich fühlt, welche Probleme man zu Hause hat. Dafür muss man sich Zeit nehmen und den Studierenden gleichzeitig motivieren, ein breites Repertoire zu machen.

klassik-begeistert: Was haben Sie Ihrer Professorin am meisten zu verdanken?

Joanna Freszel: Frau Rappé hat mich ermutigt, mein Repertoire intelligent zu erweitern, um die richtige Nische für mich zu finden. Als sie erkannte, welche Vorzüge ich hatte: die Fähigkeit, schnell vom Blatt zu lesen und eine recht flexible Stimme, begann sie, die Noten zeitgenössischer Musik für mich zu sammeln. Das ist auf einen sehr fruchtbaren Boden gestoßen, denn ich liebe es, vom Blatt zu lesen, unkonventionelle harmonische Kombinationen zu erforschen und in ihnen den Hintergrund zu suchen. Meine Akribie und die Neigung, mich in die Materie einzuarbeiten, kamen mir hier sehr gelegen. So habe ich angefangen, zeitgenössische Musik zu singen.

klassik-begeistert: Als ich mir Ihre Aufnahmen von zeitgenössischen Liedern anhörte, ist mir aufgefallen, dass Sie eine schön klingende Bruststimme haben. Bei großen Intervallsprüngen „landen“ Sie sanft auf tiefen Tönen. Haben Sie diese Fähigkeit von Frau Rappé gelernt?

Joanna Freszel: Eindeutig ja. Wir arbeiteten vor allem an der Beseitigung meiner chorischen Gewohnheiten, also an nicht ganz korrektem Atem und zu „breitem“ Singen, sowie am Passaggio – dem Übergang zwischen den Stimmlagen. An diesen Stellen treten unterschiedliche Klangfarben zwischen den Oktaven zutage. Die Arbeit am Passaggio kann jahrelang dauern, da es sich auch bei reifen Sängern verschieben kann. Dies ist auch mit dem Repertoire verbunden. Kürzlich gab ich ein Konzert im Königsschloss in Warschau, bei dem ich neunzehn Lieder von Ignacy Paderewski, Władysław Żeleński, Feliks Nowowiejski und Zygmunt Noskowski aufführte. Sie stammen fast alle aus der gleichen Zeit, sind aber vom Charakter her sehr unterschiedlich. Ich habe ein kleines Experiment gemacht, indem ich verschiedene Interpretationen desselben Textes von dem Dichter Adam Mickiewicz übernommen habe, denn jeder der genannten Komponisten hat ihn anders ausgearbeitet; der eine für Mezzosopran, der andere für Sopran. Dieser Registerwechsel während desselben Konzerts ist für die Stimme sehr lästig. Deshalb muss man wissen, wie man mit diesen „Übergängen“ umgeht, um die Stimme nicht zu ermüden und die Register ausgleichen zu können. Ich bin sehr froh, dass Sie dieses Thema angesprochen haben, denn es war für uns – meine Professorin und mich – immer eine „Achillesferse“.

Wir waren ständig in Sorge, dass bei diesem Passaggio etwas unerwartetes passieren würde, wie zum Beispiel die Erscheinung der nasalen Töne. Es ist eine Sache, Brust- und Kopf-Töne getrennt zu singen, und eine andere, sie zu kombinieren. Die Koloraturstimmen haben oft sehr gute tiefe Töne. Ich bin ein lyrischer Sopran, und klinge in der kleinen Oktave vielleicht nicht virtuos, aber trotzdem hört sich das ganz gut an. Wenn ich ein Stück zeitgenössischer Musik singe, brauche ich einen sanften Übergang über das Passaggio in die Mittellage, um mich mit der hellen, für den lyrischen Sopran charakteristischen Höhe, zu verbinden.

Interview: Jolanta Łada-Zielke, 23. November 2022, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Wir laden Euch herzlich zum 2. Teil des Gesprächs mit Joanna Freszel am 25. November 2022 hier auf klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at ein.

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