Hoffmann erzählt… – Jacques Offenbach in Hamburg mit Weltstar-Besetzung

Jacques Offenbach, Les Contes d’Hoffmann  Staatsoper Hamburg, 29. Mai 2023

Foto © Monika Rittershaus

Jacques Offenbach
Les Contes d’Hoffmann

Kent Nagano, Dirigent

Pretty Yende, Sopran
Matthew Polenzani, Tenor,
Erwin Schrott, Bass-Bariton,
Jana Kurucová, Mezzosopran

Philharmonisches Staatsorchester, Staatsoper Hamburg, 29. Mai 2023

Daniele Finzi Pasca, Inszenierung


von Dr. Andreas Ströbl

„Sowas erlebst du sonst nur in New York oder Mailand!“ – Diese Meinung einer Opernbesucherin bei Offenbachs „Les Contes d’Hoffmann“ am 29. Mai in der Hamburger Staatsoper trifft es auf den Punkt: Wann hört man solche Stimmen von Weltformat wie Pretty Yende, Matthew Polenzani und Erwin Schrott vereint in einer Produktion, in der auch alle anderen Mitwirkenden Großartiges leisten und so einen einmaligen solistischen, choralen und orchestralen Gesamtkunstwerks-Genuss bieten?

In der bildmächtigen Inszenierung von Daniele Finzi Pasca von 2021 brillieren diese Weltstars und zwar ebenso sensationell in ihren Solopartien wie auch in den Duetten und Terzetten.

Zwar ist der Dichter Hoffmann die Hauptfigur in Jacques Offenbachs Opéra fantastique von 1881, aber – dies sei gleich gesagt – die Rolle der Stella/Olympia/Antonia/Giulietta dominiert durch die Leistung der Solistin die Wahrnehmung dieser Produktion. „Ladies first“ also – die südafrikanische Sopranistin Pretty Yende ist schlichtweg umwerfend, und zwar in jeder der vier Rollen. Sie versteht es mit Leichtigkeit, jeder der Frauen, die möglicherweise alle nur Facetten einer einzigen sind, jeweils eine ganz eigene Färbung zu verleihen. Das Automatenmädchen Olympia, die Sängerin Antonia und die Kurtisane Giulietta bilden vielleicht immer nur einzelne Projektionsflächen des Dichters ab, der auf der Suche nach der echten Liebe immer nur trügerischen, irrealen Figuren begegnet. Das bleibt in diesem Werk offen und gerade das Fragmentarische, Unklare macht auch einen der Reize der Oper aus, die damit einen wesentlichen Aspekt der deutschen romantischen Literatur rezipiert.

Ist es nicht schön, wie der Wahl-Pariser Offenbach die schwarze Romantik eines E. T. A. Hoffmann aufnimmt und mit französischer Leichtigkeit eine Oper hervorbringt, die die deutsche Schwere zwar kennt, aber in ein zauberhaftes Traumstück verwandelt?

Man fragt sich, wie Pretty Yende es schafft, als Puppenautomat eine extreme Körperspannung mit all den künstlichen Bewegungen und Schritten, ja sogar der Mimik eines Kunstwesens zu halten und zugleich mit unfassbarer Leichtigkeit all die anspruchsvollen Koloraturen in den Saal zu entlassen, die die berühmte Olympia-Arie ausmachen. Ihre humorvolle Darstellung kann nicht darüber hinwegtäuschen, was sie da leistet, und dafür erhält sie einen außerordentlich langen, begeisterten Szenenapplaus. So echt etwas Unechtes zu spielen ist wirklich schwer.

Der Schwermütigkeit der Sängerin Antonia in Schmetterlingsgestalt gibt sie ebenso authentischen Ausdruck wie der arroganten Leichtlebigkeit der Verführerin Giulietta. Ohne jede Anstrengung schwingt sich ihr klarer Sopran lerchengleich in die Höhen, die keine Grenzen zu kennen scheinen. Ihre sängerische Leitung unterstreicht sie dabei durch ein überzeugendes Spiel und so charmant wie sie kann das sonst niemand. Was für eine bezaubernde, große Künstlerin!

Matthew Polenzanis Hoffmann arbeitet sich am eigenen Kunstideal, der Sehnsucht nach Liebe und schließlich an sich selbst ab – das ist das klassische Bild des verzweifelten romantischen Dichters, der an seinen Ansprüchen zu scheitern droht und sich vor allem in den wahnhaften Drang steigert, sein weibliches Gegenstück zu finden. Polenzani leidet, liebt, sucht, verzweifelt absolut glaubhaft und auch in den zartesten Piano-Stellen erreicht sein brillanter Tenor problemlos den letzten Winkel des Saales.

Trotz aller inhaltlichen Feinnervigkeit und der vielen Höhen in der Rolle ist seine Stimme doch ausgesprochen viril und stark, Polenzanis Dichter ist eben alles andere als ein weltfremder Musensohn. Seine Männlichkeit erinnert an die Don-Giovanni-Facette, die ja in die Rolle eingeflossen ist; schließlich verweist das Libretto und das eine oder andere musikalische Zitat immer wieder auf Mozart – wenngleich Hoffmann als Dichter weiterleben darf und nicht wie Don Giovanni im Höllenschlund endet. In dieser positiven Wendung zum Schluss hin besiegt auch Polenzanis Titelheld das eigene Scheitern – bravourös umgesetzt im triumphierenden Tutti-Finale!

Foto © Monika Rittershaus

Sein fieser Widersacher Lindorf/Coppélius/Dr. Miracle/Dapertutto ist Erwin Schrott und auch für diese Rollen-Kombination hätte man keinen Besseren finden können. Schrotts kraftvoller Bass-Bariton erreicht faszinierende Profondo-Tiefen und besonders reizvoll ist das für ihn typische Einflechten von Parlando-artigen bzw. tatsächlich gesprochenen, gehässig ausgespuckten oder geröchelten Textstücken, die seinen Rollen zusammen mit der schauspielerisch beeindruckenden Darstellung eine faszinierende Plastizität und Glaubhaftigkeit geben.

Man ahnt, wie beängstigend solche Figuren die Phantasie von angreifbaren Seelen mit der Angst vor dem Destruktiven an sich füllen – E. T. A. Hoffmanns psychoanalytischer Ansatz in der Sandmann-Erzählung entspricht hier eine Figur, mit der Eltern jahrhundertelang ihre Kinder in Furcht versetzten, nur damit sie „artig“ waren. Trotz der Nosferatu-haften Krallenhände, die der Gestalt etwas Unwirkliches geben, wirkt der Widersacher unbedingt gefährlich und zerstörerisch, weil Schrotts Interpretation und seine große stimmliche Varianz klarmachen, dass hier tatsächlich das Böse am Werk ist.

Völlig überzeugend ist auch Jana Kurucová als Muse bzw. Nicklausse. Ihr Mezzosopran ist sehr präsent, vielfältig in der Modulation und bietet ein ausgewogenes Gegengewicht zu Hoffmanns Partie. Sie macht klar, wie wichtig diese Rolle in der Oper ist, gerade was die psychologischen Gesichtspunkte des Alter ego bzw. der Selbstreflexion des Titelhelden angeht. Manche Vokale geraten etwas kehlig, aber das verblasst vor ihrer fabelhaften Gesamtleistung.

Der Tenor Andrew Dickinson als Andrès/Cochenille/Frantz/Pitichinaccio legt ein Kabinettstückchen nach dem anderen hin. Gerade seine Einlage als Frantz, der angeblich nicht singen kann, ist ein komödiantisches Bravourstück.

Angesichts der Weltstars, die diesen Abend dominieren, ist es für die Nebenrollen nicht einfach, sich zu behaupten, aber ausnahmslos jede und jeder erfüllen die jeweilige kleinere Rolle mit Glaubhaftigkeit und vollem Einsatz, sei es Ida Aldrian als Mutter, Hubert Kowalczyk als Maître Luther/Crespel, Dongwon Kang als Nathanaël, François Piolino als Spalanzani, Daniel Schliewa als Wilhelm/Wolfram, Han Kim als Capitaine des Sbirres oder Nicholas Mogg als Schlémil/Hermann.

Der Chor unter der Leitung von Eberhard Friedrich hat nur in seinen ersten Takten leichte Synchronizität-Probleme mit dem Orchester; er fängt sich umgehend und bildet mit dem exakt und beschwingt spielenden Klangkörper die ganze Vorstellung hindurch eine in sich ausgewogene Einheit. Kent Nagano gibt der Partitur die französische Leichtigkeit, nach der sie verlangt; das Tempo ist durchweg schmissig und spannungsreich. Bei der berühmten Barcarole sieht man das Wasser der venezianischen Kanäle im Sonnenlicht flirren und glitzern, die sanften Wellen durchpflügt forsch und sicher der Ruderschlag des Gondoliere. So oft man diese Musik auch gehört haben mag – Nagano und das Philharmonische Staatsorchester spielen das zauberhafte Stück mit bewundernswerter Frische und mediterraner Eleganz.

Foto: Dr. Andreas Ströbl

Die vielschichtige, ideenreiche Inszenierung und das phantastische Bühnenbild mit schicker Bar, einer gigantischen Schmetterlingssammlung und einem phantastischen Markusplatz-Arrangement – dafür gab es zu Beginn des vierten Akts einen besonderen Applaus – wären eine eigene Darstellung wert, die hier aber den Rahmen sprengte.

Da gibt’s nur eins: hingehen und sich der Begeisterung hingeben. Sowas erlebt man sonst nur in New York oder Mailand – und in Hamburg!

Dr. Andreas Ströbl, 30. Mai 2023, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.de

Die nächsten Vorstellungen sind am 4., 7. und 10. Juni 2023.

Jaques Offenbach, La Périchole Museumsquartier Halle E, 20. Jänner 2023

Jacques Offenbach, „Les Contes d’Hoffmann“ (Premiere), Staatsoper Hamburg, 4. September 2021

Jacques Offenbach, Les Contes d’Hoffmann, Premiere, Deutsche Oper Berlin

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