Collegium Vocale Gent in Salzburg:
Gezähmtes Barock-Feuerwerk

Johann Sebastian Bach: Messe h-Moll für Orchester, Orgel, Chor und Soli, Salzburg, Felsenreitschule, 25. Juli 2018

Foto: Marco Borelli (c)
Johann Sebastian Bach:
Messe h-Moll für Orchester, Orgel, Chor und Soli,

Salzburg, Felsenreitschule, 25. Juli 2018

Orchester des Collegium Vocale Gent
Collegium Vocale Gent
Dorothee Mields, Sopran I
Margot Oitzinger, Sopran II
Alex Potter, Alt
Thomas Hobbs, Tenor
Peter Kooij, Bass
Philippe Herreweghe, Dirigent

von Thomas Genser

Eine besinnliche Einstimmung auf die Salzburger Festspiele bietet seit 2012 die als Ouverture spirituelle bezeichnete Auftaktwoche, bei der geistliche Musik im Mittelpunkt steht. In jenem Rahmen steht dieses Jahr ein großer Brocken auf dem Programm: Johann Sebastian Bachs Messe in h-Moll – ein zentrales Werk der europäischen Kirchenmusik. Das belgische Collegium Vocale Gent plus dazugehöriges Orchester sind hierfür genau die Richtigen. Am Pult steht Gründer Philippe Herreweghe, der mit Fingerspitzengefühl durch den Abend führt. Höhepunkte sind neben den vielen Chorpassagen, vor allem die Arien und Duette.

Wer die Salzburger Felsenreitschule noch nie besucht hat, sollte das rasch nachholen! Alleine das Ambiente des Konzertsaales besticht mit einer genialen Mischung aus alt und neu: Gegenüber der direkt in den uralten Felsen des Mönchsberges gehauenen Rückwand der Bühne befindet sich eine moderne Zuschauertribüne. Aufgrund der durchwachsenen Wetterlage ist die ansonsten als Freiluftbühne bespielte Felsenreitschule aber per Schiebedach verschlossen.

Felsenreitschule – Foto: Luigi Caputo (c)

Nun aber zur Musik: Bachs kompilierte in der h-Moll-Messe sämtliche (vokal)musikalischen Errungenschaften seiner Zeit. So stellt das Werk barocke Fugen neben opernhafte Arien und Duette und ergänzt das Ganze mit mittelalterlichen Choralthemen und längeren instrumentalen Passagen – wahrlich ein tönendes Mosaik! Den historischen Vorlagen entsprechend ist das Orchester sehr dünn besetzt, stellenweise fast zu leise, dafür aber sehr transparent und wohl balanciert. Ebenso bestehen die fünf Stimmgruppen des Chores aus lediglich je vier Sängerinnen bzw. Sängern. Interessant: Die in manchen Ausgaben als Alt bezeichneten Stimmen singen hier vier Countertenöre.

Deren Stimmführer und Solist ist Alex Potter, zweifellos der Star des Abends. Seine glasklare Stimme weiß der Brite auch in ungemein hohen Lagen sicher zu führen. In der Arie Qui sedes tritt er in Dialog mit der Oboe d’amore und zeigt von samtig bis kraftvoll ein breites Spektrum an Ausdruckscharakteren. Das Agnus Dei singt er mit behutsamem Ansatz – diesem Ruhepol vor dem Finale angemessen – während die Geigen zarte melodische Kommentare zwischen Potters Phrasen liefern.

Zuvor verbindet Tenor Thomas Hobbs kirchliche Andacht mit dramatischem, fast opernhaftem Gestus: Nach einem langen Vorspiel (Patrick Beuckels an der Traversflöte!) setzt die Tenor-Arie des Benedictus ein. Die Artikulation des Textes ist ein wenig übertrieben, ebenso führen die zahlreichen Crescendi eher zu einem Verschwimmen der sonst so stabilen Melodieführung. Im Duett mit Sopranistin Dorothee Mields (Laudamus te) klingt er hingegen glatt und druckvoll. Über eine sanfte pizzicato-Begleitung verschmelzen die Stimmen der beiden exzellent miteinander.

Wie Hobbs war auch Mields bei der Einspielung der vorliegenden Messe mit dem Collegium Vocale im Jahr 2011 dabei. Die Stimme der Deutschen wirkt anfangs noch nicht ganz fit und raspelt mehrmals unangenehm, im weiteren Verlauf des Abends wird es aber besser: In ihren Duetten singt sie mit viel Einfühlungsvermögen und strahlt mit hellem Timbre in den Saal hinein. Kontrast findet ihr Organ vor allem im Duett Christe eleison mit der zweiten Sopranistin Margot Oitzinger. Aus der Mischung der beiden Soprane und der Homophonie der Gesangslinien entsteht unglaublich ergreifende Musik.

Oitzinger besitzt einen weitaus dunkleren Sopran als ihre deutsche Kollegin. In der Arie Laudamus te überzeugt die Österreicherin mit reichen Verzierungen und einem hohen Maß an Virtuosität. Die Triller und schnellen Notenwerte erklingen im Wechselspiel mit dem ersten Geiger Baptiste Lopez, dem ebenso Respekt gebührt. Seinen Körpereinsatz kann man in den vielen solistischen Passagen einfach nur bewundern!

Ein solides Fundament in der Tiefe liefert schließlich Bass-Bariton Peter Kooij. Der Niederländer wird in seiner ersten Arie Quoniam tu solus sanctus von verschiedenen Bläsern begleitet und umspielt. Sein von Melismen durchsetzter Gesang gerät leider zu sehr in den Hintergrund, weil Hornist Bart Cypers negativ auffällt. Die Intonation eines Naturhorns ohne Ventile ist selbstverständlich kein Kinderspiel – was aber bei Cypers herauskommt, will man kaum mit anhören! Ein Ton schiefer als der andere, dabei dumpf und undefiniert.

Voll Mitleid schüttelt Herreweghe dem Hornisten zur Pause die Hand. Ansonsten ist der Vortrag aller Beteiligten unglaublich stark: Aus geistlicher Musik solch ekstatische Begeisterung zum Vorschein zu bringen, das schafft nicht jeder! Minutenlangen Beifall mit zahlreichen Bravorufen gibt es zum Schluss, insbesondere für Alex Potter. Ein wahres Feuerwerk, wenn auch im gezähmten Rahmen der Kirchenmusik. Für das Ensemble geht es nun weiter in die Toskana, wo das eigene Festival unter dem Titel Collegium Vocale Crete Senesi vom 29. Juli bis 3. August stattfindet.

Thomas Genser, 25. Juli 2018, für
klassik-begeistert.de

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