Klein beleuchtet kurz 41: Webers Freischütz erschließt sich bei den Bregenzer Festspielen dem atemlos staunenden Publikum mit einem Rausch spektakulärer Bilder

Klein beleuchtet kurz 41: Webers Freischütz  klassik-begeistert.de, 24. Juli 2024

Bregenzer Festspiele, Der Freischütz © Bregenzer Festspiele

Eine pausenlose Rückblende auf die Ursachen und Folgen von Agathas Schwangerschaft krempelt viele Seh- und Hörgewohnheiten auf aufregende Weise um

von Patrik Klein

„Der Freischütz“ von Carl Maria von Weber gehört zweifelsfrei zu den absoluten Hits im gesamten Opernrepertoire. Die Oper wurde zum Sinnbild der deutschen Romantik, mit Szenen im dunklen Wald, dem Reich der Geister, Zauber und Märchen, mit der Verführung eines jungen Mannes durch das Böse und der Erlösung durch das Opfer einer hingebungsvollen Frau.

Bei den Bregenzer Festspielen nahm sich das renommierte deutsche Allroundtalent der Regie und des Bühnenbildes, Philipp Stölzl, dem Stück erstmals an. Dabei gelangen ihm Bilder und Szenen aus einem unwirtlichen Dorf in Deutschland kurz nach dem Dreißigjährigen Krieg, die es in sich hatten.

Ist das noch Musiktheater oder eher Kino, Horrorfilm und Historienschinken? Vielleicht von allem etwas. Gestehen musste man allemal: man wird bestens unterhalten. Dafür sorgte ein Reigen kraftvoller Bilder, schräger Handlungsstränge und die Triebfeder des handlungsumsteuernden Samiel des grandios agierenden Moritz von Treuenfels, bei dem man sich an Gustav Gründgens Mephisto erinnert fühlte.

Drehte es sich doch um die Schwangerschaft Agathes, die vielleicht von ihrem Max beglückt war? Oder war vielleicht doch einer der vielen anderen durch Wasser und Schnee watenden potenziellen Kandidaten dafür verantwortlich? Nein, es muss Max gewesen sein, denn auf Agathes Beerdigung hängt er sich spektakulär an einem Baum über dem spiegelnden Wasser auf. Man ist bereits nach wenigen Minuten irritiert und beinahe gleichzeitig fasziniert.

Es wurde viel geschauspielert, gerannt, durch Wasser geplanscht, in luftige Höhen geklettert, gezaubert und Stunts in aufregendem Beleuchtungsmodus vollzogen. Es wurde auch ordentlich musikalisch gekürzt, Text dazu erfunden, die Rezitative mit einer kleinen Spielgruppe mit barocken Tönen untermalt, was dann doch etwas verstörte, aber auch irgendwie einleuchtete und gefiel.

Gesungen und musiziert wurde allerdings sehr ordentlich bis überragend. Für mich als Neuling in Bregenz auch mit äußerst ansprechender, technisch klangvoller musikalischer Aussteuerung. Orchester und Chor befanden sich abseits im Festspielhaus, aber der Sound auf der Seebühne war mehr als angemessen für eine anspruchsvolle Musiktheaterproduktion.

In der Eingangssequenz befand man sich auf der Beerdigung der schwanger getöteten Agathe, auf der sich Max erhängt. Samiel trieb mit seinem Unwesen und teuflischen Gedanken von nun an die Handlung rückblendend an, kapitulierte aber am Ende, warum auch immer, und brachte das Ganze zu einem Happy End. Man wollte ja schließlich die finalen Jubelszenen nicht übergehen.

Der junge Amtsschreiber Max (Thomas Blondelle gab einen strahlend jungen und ehrgeizigen Verführten und Verführer) liebte Agathe (Elissa Huber um Schöngesang bemüht, aber mit wenig Legato und einer doppelten Portion Vibrato), die Tochter des Erbförsters Kuno (Raimund Nolte mit bayreutherfahrenem, kernigem Bass-Bariton).

Zum musikalischen Höhepunkt des Abends entpuppte sich der zwielichtige Kriegsveteran Kaspar, atemberaubend dargestellt von Oliver Zwarg. Sein kleines schwimmendes Boot im knietiefen Wasser hinter sich herziehend, einen Feuerkreis zur Schaffung der Freikugeln um sich herum entzündend und in der Wolfsschluchtszene alle Aufmerksamkeit auf sich lenkend, gab er eine Figur, vor der man das Fürchten zu lernen glaubte. Er gestaltete mit prachtvoller Wucht, raffinierten Zwischentönen, aufregenden Gesten und  mit einer klanglichen Souveränität voller Autorität, Verführungskunst und abgrundtiefer Schwärze, mit der er mitten ins Herz der Zuhörer stieß. Großartig!

Curtain Call Der Freischütz – Ensemble Bregenzer Festspiele mit Oliver Zwarg als Kaspar; Foto Patrik Klein

Das Ensemble mit Johannes Kammler als Ottokar, Gloria Rehm als Ännchen, Frederic Jost als Eremit und Maximilian Krummen als Kilian vervollständigten den musikalisch gelungenen Abend auf der Bregenzer Seebühne.

Zum Glück ging dann die Geschichte doch wie gewohnt mit Happy End aus und Abgesang und finale Beglückung durch den Eremiten konnten die Bühne erhellen.

Orchester und Chor gerieten mit recht flotten Tempi angenehm für die aufgestellten Ohren. Das Publikum war am Ende mit offenen Mündern ziemlich hingerissen in ein zauberhaftes Erlebnis.

Patrik Klein, 24. juli 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

CARL MARIA VON WEBER: DER FREISCHÜTZ (besuchte Vorstellung am 23.7.24)

Romantische Oper in drei Aufzügen (1821)
Libretto von Friedrich Kind nach der gleichnamigen Erzählung
von August Apel (1810); Dialogfassung von Jan Dvořák nach
einem Konzept von Philipp Stölzl
In deutscher Sprache mit deutschen Übertiteln
Zusatzmusik von Ingo Ludwig Frenzel

Ottokar: Johannes Kammler
Kuno: Raimund Nolte
Agathe: Elissa Huber
Ännchen: Gloria Rehm
Kaspar: Oliver Zwarg
Max: Thomas Blondelle
Samiel: Moritz von Treuenfels
Ein Eremit: Frederic Jost
Kilian: Maximilian Krummen
Brautjungfern: Sarah Kling, Sarah Schmidbauer

Musikalische Leitung: Erina Yashima

Wired Aerial Theatre | Statisterie der Bregenzer Festspiele
Bregenzer Festspielchor | Prager Philharmonischer Chor
Wiener Symphoniker

(c) Patrik Klein

Der klassik-begeistert-Autor Patrik Klein ist ein leidenschaftlicher Konzert- und Opernfreak, der bereits über 300 Konzerte (Eröffnungskonzert inklusive) in der Elbphilharmonie Hamburg verbrachte, hunderte Male in Opern- und Konzerthäusern in Europa verweilte und ein großes Kommunikationsnetz zu vielen Künstlern pflegt. Meist lauscht und schaut er privat, zwanglos und mit offenen Augen und Ohren. Die daraus entstehenden meist emotional noch hoch aufgeladenen Posts in den Sozialen Medien folgen hier nun auch regelmäßig bei klassik-begeistert – voller Leidenschaft, ohne Anspruch auf Vollständigkeit… aber immer mit großem Herzen!

Carl Maria von Weber, Der Freischütz, Romantische Oper in drei Akten Eutiner Festspiele, 19. Juli 2024 Premiere 

Carl Maria von Weber, Der Freischütz, Romantische Oper Seebühne Bregenz, 17. Juli 2024 (Première)

Carl Maria von Weber, Der Freischütz – Romantische Oper Seebühne Bregenz, 17. Juli 2024 (Première)

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert