Klein beleuchtet kurz 53: Nina Stemme und die Kindertotenlieder berühren in der Elbphilharmonie Hamburg

Klein beleuchtet kurz 53: Nina Stemme  Elbphilharmonie, 25. März 2025

Nina Stemme, Ryan Bancroft; Foto Patrik Klein

Zwei seiner Kinder starben und inspirierten Friedrich Rückert zu vielen Gedichten. Gustav Mahler, der 6 Jahre in Hamburg verweilte und seine Auferstehungssinfonie hier komponierte, schuf daraus seine fünf Kindertotenlieder. Tragisch, düster und zutiefst emotional sang sie die Starsopranistin Nina Stemme.

Das Schwedische Top Orchester unter der Leitung des jungen Dirigenten Ryan Bancroft ließ nicht nur Mahler, sondern auch Tschaikowskys fünfte Sinfonie, kreisend um die klanggewaltigen Unvorhersehbarkeiten des Schicksals, in den schillerndsten Farben leuchten.

von Patrik Klein

Ryan Bancrofts Debut in der Elphi mit seinem Royal Stockholm Philharmonic Orchestra begann zunächst mit weniger schwerer Kost. Andrea Tarrodis farbenfrohes „Liguria„, flutete den ausverkauften Saal mit sonnigem Mittelmeer-Flair. Die 1981 geborene schwedische, vielfach ausgezeichnete und weltweit gespielte Komponistin erschuf diese farbenreiche, die Fantasie anregende Klangwanderung zwischen den fünf kleinen Orten der Cinque Terre an der italienischen Riviera.

Großer stürmischer Wellengang, beruhigende übernatürliche Sphären, Kirchturmglocken, reges Leben auf den Märkten, an den Stränden und in den engen Gassen, und schließlich der Beginn der sternendurchflutenden Nacht wurden plastisch in moderner Klangsprache formuliert.

Und dann kamen sie, die berühmten Kindertotenlieder von Mahler, in Musik gegossen von dem prachtvoll auftrumpfenden Orchester und einer der derzeit besten Isolden der Welt, der Schwedin Nina Stemme. Sie gab diesem Werk mit den introspektiven Ausdrücken der Trauer, das zu den eindrücklichsten der gesamten Musikliteratur gehört, nicht nur Düsternis und erdrückendes Leid, sondern durch ihre kontrollierte Stimmführung darüber hinaus eine erfüllende Ausdruckstiefe mit balsamischen bronzen gegossenen Tonfolgen, die voller Hoffnung und Zuversicht nach Vorne wirkten.

Nina Stemme; Foto Patrik Klein

Tschaikowkys vier Variationen eines Schicksalsmotivs, verbunden mit dem Wink des Übermächtigen, einer Balance zwischen Glück und Pech waren nach der Pause zu hören. Der am Anfang einsetzende Trauermarsch überschattete alles danach Folgende. Nervös und rastlos entwickelte sich der weitere Verlauf, mit Gefühlsüberschwang folgte der zweite Satz mit einem großartig gespielten Hornsolo, das zu Tränen rührte. Die zur Schau gestellte Ausgelassenheit des Walzers im dritten Satz geriet zur pointierten Malerei.

Schließlich wurde im Finale dann aus dem Trauermarsch ein Triumphmarsch, gipfelte in einem euphorischen Schluss und ließ einen jeden Zuhörer in Unklarheit, ob dieses Finale tatsächlich mit Vertrauen und Glück verbunden war. Oder führte es gar in einem optimistischen Ausblick in feinsten Durklängen  paradoxerweise doch wegen der enormen Temposteigerung in einer Art Depression?

Royal Stockholm Philharmonic Orchestra; Foto Patrik Klein

Das Debüt des jungen Amerikaners mit seinem Orchester hätte kaum besser klingen und gelingen können. Er dirigierte taktstocklos und mit zunächst innehaltenden Tempi, die aber zielgerichtet nach Vorne das Orchester atmen ließen und sich in aberwitzigen Steigerungen orgiastisch entluden. Grandios!

Tobende Hütte war die Quittung!

Patrik Klein, 25. März 2025, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Royal Stockholm Philharmonic Orchestra

Nina Stemme Sopran

Dirigent: Ryan Bancroft

Andrea Tarrodi
Liguria für Orchester

Gustav Mahler
Kindertotenlieder für eine Singstimme und Orchester

Piotr I. Tschaikowsky
Sinfonie Nr. 5 e-Moll op. 64

(c) Patrik Klein

Der klassik-begeistert-Autor Patrik Klein ist ein leidenschaftlicher Konzert- und Opernfreak, der bereits über 300 Konzerte (Eröffnungskonzert inklusive) in der Elbphilharmonie Hamburg verbrachte, hunderte Male in Opern- und Konzerthäusern in Europa verweilte und ein großes Kommunikationsnetz zu vielen Künstlern pflegt. Meist lauscht und schaut er privat, zwanglos und mit offenen Augen und Ohren. Die daraus entstehenden meist emotional noch hoch aufgeladenen Posts in den Sozialen Medien folgen hier nun auch regelmäßig bei klassik-begeistert – voller Leidenschaft, ohne Anspruch auf Vollständigkeit… aber immer mit großem Herzen!

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