Slawische Musik mit dem „Rienzi“-Zusatz

Ladas Klassikwelt 114: Slawische Musik mit dem „Rienzi“-Zusatz  klassik-begeistert.de, 9. Januar 2024

Bild: Ankündigungen von Konzerten der General-Gouvernement-Philharmonie mit Werken von Richard Wagner in der Saison 1940/41

Richard Wagners Musik in dem von Nazis besetzten Krakau 1939-1945 – Teil 2

von Jolanta Łada-Zielke

In der Saison 1940/41 traten in der Hauptstadt des Generalgouvernements zwei Wagner-Sänger aus der „Gottbegnadeten-Liste“ mit dem Philharmonischen Orchester unter der Leitung von Hans Rohr auf. Am 17. Februar 1941 sang die herausragende deutsche Kammersängerin Marta Fuchs, Solistin der Opern in Dresden, Berlin und bei den Bayreuther Festspielen. Während dieses IV. Philharmonisches Konzert in Krakau führte sie Wagners Wesendonck-Lieder auf. Im Programm befanden sich auch das Vorspiel zu „Tristan und Isolde“ und „Isoldes Liebestod“.

Bei der Besprechung der Biografie von Marta Fuchs von Roswitha von dem Borne und Johannes Lenz habe ich erwähnt, dass es dort kein einziges Wort zu diesem Auftritt in Krakau gibt. Vielleicht betrachteten die Autoren es als ein bedeutungsloses Ereignis, oder einen beschämenden Punkt in dem Werdegang einer Künstlerin, die einfach nur ihren Job machte? Oder wussten sie nichts davon.

Im 5. Symphonischen Konzert am 17. März 1941 präsentierte Tenor Julius Patzak, der Kammersänger an der Münchner Staatsoper, Walthers Preislied aus „Die Meistersinger von Nürnberg“. Darüber hinaus sang er vier Mozart-Arien, Hugo Wolfs „Heimweh“ und eine Arie aus Peter Cornelius’ komischer Oper „Der Barbier von Bagdad“. Am 31. März spielte die Krakauer Philharmonie „Siegfried Idyll“ und am 6. November die „Tannhäuser“-Ouvertüre.

Im besetzten Krakau war auch ein SS-Symphonieorchester unter der Leitung von Paul Hellmann tätig. Stanisław Lachowicz erwähnt, dass dieses Ensemble anlässlich der Eröffnung des Theaters der SS und Polizei in Krakau (am 15. März 1941) Werke von Mozart, Grieg, Liszt und Wagner spielte. All diese Komponisten hätten sich damals wahrscheinlich im Grab umdrehen müssen.

Bild: Eine Seite der Propaganda-Krakauer Zeitung, die während der Besatzung erschien, mit einem Artikel über die Einweihung des Theaters der SS und Polizei in Krakau

Nach dem deutschen Angriff auf die UdSSR im Jahr 1941 wurde das Verbot der öffentlichen Aufführung der polnischen Komponisten aufgehoben und man nahm diese in die Konzertprogramme auch für das deutsche Publikum auf. Am 25. November 1944 führte man sogar „Halka“ von Stanisław Moniuszko mit polnischer Besetzung, unter der Leitung von Adam Didur auf. Die Meinungen der polnischen Musikliebhaber in Krakau waren zu diesem Ereignis gespalten. Manche sahen darin eine Ankündigung der bevorstehenden Befreiung, die anderen einen Nazi-Propagandatrick.

Interessant war das Konzert der GG- Philharmonie, das am 15. September 1944 im Hof ​​der Garage der Regierungsverwaltung des Generalgouvernements stattfand. Es enthielt Żeleńskis „Krakowiak“, Moniuszkos „Mazur“, Arien und Duette aus „Halka“ sowie die Ouvertüre zu „Die verkaufte Braut“ von Smetana. An dem Konzert nahmen die polnischen Sänger Rena Kopczyńska (Sopran), Józef Prząda (Tenor) und Antoni Wolak (Bariton) teil, unter dem Dirigat von Hans Swarowsky. Die Kritiker waren voll des Lobes für das wunderbare Orchester und die Solisten. Und hier ist diese Besonderheit:  unter diesen slawischen Musikstücken stand auch das Vorspiel zu Wagners „Rienzi“ (!) im Programm.

Bild: Rena Kopczyńska im Konzert am 15. September 1944 im Hof ​​der Garage der Regierungsverwaltung des Generalgouvernements

In den ersten Nachkriegsjahren trennte man sich in Polen deutlich von deutscher Kultur und Musik. Wagners Werk wurde ebenfalls abgelehnt. Sehr zaghaft wurden später dessen Orchesterwerke in die Konzertprogramme wieder eingeführt“, schreibt Karol Musioł.  Dann fanden die Wagner-Aufführungen wieder 1956 im noch provisorischen Warschauer Opernhaus mit „Lohengrin“ und in Posen mit dem „Fliegenden Holländer“ statt. Eine einmalige „Tristan“– Inszenierung erlebten die Einwohner der Hauptstadt 1967 als Gastspiel der Deutschen Staatsoper Berlin. Später folgten der „Holländer“ in Bytom (1964), der „Tannhäuser“ und „Tristan“ in Posen (1967, 1969), „Lohengrin“ in Lodz, sowie Tannhäuser in Warschau. „Der Ring des Nibelungen“ als geschlossener Zyklus lief 1978 einmalig als Gastspiel der Stockholmer Oper unter Berislav Klobučar im neuaufgebauten Teatr Wielki in Warschau. 1980 führte man den „Tannhäuser“ in dem seit 1954 bestehenden Opernhaus in Lodz auf.

Einen bedeutenden Anteil an der Gestaltung des neuen Wagner-Bildes hat auch in Polen das Schrifttum übernommen. Die polnische Wagner-Literatur wurde dank ihrer langen Tradition schon im 19. Jahrhundert zu einem wichtigen Faktor für die Verbreitung der Kenntnisse Wagners und seiner Werke. Es gibt keinen anderen ausländischen Musiker, dem auch nur annähernd so viel einschlägiges Schrifttum in polnischer Sprache gewidmet wäre wie Wagner. Die Komponisten, Musikwissenschaftler und Musikschriftsteller wie Józef Sikorski, Jan Karłowicz, Aleksander Bandrowski, Jan Kleczyński, Stefan Kołaczkowski, Tadeusz Zieliński, Adolf Chybiński, Zdzisław Jachimecki, Józef Reiss, Mateusz Gliński haben über ihn geschrieben. In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts haben Juliusz Kaden Bandrowski, Stefan Kisielewski, Bronisław Horowicz, Karol Musioł, Karol Stromenger, Stefan Jarociński, Józef M. Chomiński, Zofia Helman, Ludwik Erhardt, Bogdan Pociej und Józef Kański dieses Thema aufgegriffen.

Was die Studien über das Leben Richard Wagners betrifft, so sind die beiden Monographien von Zdzisław Jachimecki, dem Begründer der polnischen Musikwissenschaft, von größter Bedeutung. Die Frage „Richard Wagner und Polen“ hat Karol Musioł in einem separaten Buch aufgegriffen, das 1980 in zwei Sprachen, Deutsch und Polnisch, veröffentlicht wurde. Obwohl er viele wichtige Fakten nannte, schrieb er über Wagner im Geiste der sozialistischen Ideologie und des Klassenkampfes. Eine neue, objektivere Fassung von diesem Thema wäre willkommen.

Jolanta Łada-Zielke, 8. Januar 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

[1] Quelle: krakow.pl

Jolanta Łada-Zielke, Jahrgang 1971, kam in Krakau zur Welt, hat an der Jagiellonen-Universität Polnische Sprache und Literatur studiert und danach das Journalistik-Studium an der Päpstlichen Universität Krakau abgeschlossen. Gleichzeitig absolvierte sie ein Gesangsdiplom in der Musikoberschule Władysław Żeleński in Krakau. Als Journalistin war Jolanta zehn Jahre beim Akademischen Radiorundfunksender Krakau angestellt, arbeitete auch mit Radio RMF Classic, und Radio ART anläßlich der Bayreuther Festspiele zusammen. 2003 bekam sie ein Stipendium vom Goethe-Institut Krakau. Für ihre  journalistische Arbeit wurde sie 2007 mit der Jubiläumsmedaille von 25 Jahren der Päpstlichen Universität ausgezeichnet. 2009 ist sie der Liebe wegen nach Deutschland gezogen, zunächst nach München, seit 2013 lebt sie in Hamburg, wo sie als freiberufliche Journalistin tätig ist. „Ihre Artikel erscheinen in der polnischen Musikfachzeitschrift „Ruch Muzyczny“, auf dem Portal „Kurier Muzyczny“, in der Theaterzeitung „Didaskalia“, in der kulturellen Zeitschrift für Polen in Bayern und Baden-Württemberg „Moje Miasto“, sowie auf dem Online-Portal „Culture Avenue“ in den USA. Als ausgebildete Sängerin führt Jolanta eigene Musikprojekte durch und singt auch im Chor. Zu ihrem Solo-Repertoire gehören vor allem geistliche und künstlerische Lieder sowie Schlager aus den Zwanzigern. Sie ist seit 2019 Autorin für klassik-beigeistert.de.“

Quellen:

  1. Lachowicz, „Muzyka w okupowanym Krakowie 1939-1945“, Wydawnictwo Literackie, Krakow 1988, ISBN 83-08-01796-7
  2. Musioł, Wagner und Polen, Mühl’scher Universitätsverlag Bayreuth, Herausgeber: Herbert Barth, 1980, ISBN 3 921733 219

Blog „Niemiecki Krakow“ (alle Bilder in diesem Beitrag)

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