Lieses Klassikwelt 2/2019: Zensur

„Dann denke ich an die unvergessliche Jahrhundert-Sängerin Elisabeth Schwarzkopf. Auf ihrem Schreibtisch stand ein Schild mit ihrem Lebensmotto ‚Standhalten im Strom‘. Es ist auch meine Devise.“

von Kirsten Liese

Ich kann es nicht fassen, dass sich die Osterfestspiele Salzburg von Christian Thielemann trennen. Künstlerisch gilt der Berliner unangefochten als einer der besten Dirigenten unserer Zeit. Wirtschaftlich hat er die Osterfestspiele, die schon kurz vor dem Ruin standen, gerettet, auch wenn Nikolaus Bachler das bestreitet. Es muss andere Gründe für diese seltsame Anwandlung des verantwortlichen Aufsichtsrats geben.

Ich vermute politische wie zuletzt bei den Berliner Philharmonikern, die sich – wiewohl Thielemann ihr größter Favorit war – am Ende nicht für ihn entschieden.

Gerüchten nach soll weiland das Bundeskanzleramt die Finger im Spiel gehabt- und dem Orchester aufgetragen haben, sich tunlichst nicht für den genialen Wagnerdirigenten zu entscheiden. Nun sind Gerüchte möglicherweise unwahr, aber oftmals ist doch was dran. Das würde bedeuten, dass sich die Kultur der Politik unterwirft oder anders formuliert, dass sich die Politik die Kultur untertan macht – ein beunruhigender Gedanke.

Ein Konservativer wie Thielemann – das war möglicherweise zuviel für eine stark nach links gerückte Regierung.

Schon vor einigen Jahren schlug der Autor Ulrich Greiner in der ZEIT Alarm mit einem persönlichen Artikel über die zunehmend schwierigere Kunst, ein Konservativer zu sein, in dem er sich etwa auch dagegen verwahrte, einer kritischen Position zur Flüchtlingspolitik der Kanzlerin wegen in die rechte Ecke gerückt zu werden.

Ich hatte beruflich auch schon irritierende Erfahrungen mit Zensur.

Der erste Fall betraf vor langer Zeit eine essayistische Standortbestimmung der drei Berliner Opernhäuser in einer Fachzeitschrift. Der redigierte Text, den mir der Redakteur fairerweise zumindest vor Veröffentlichung noch einmal zuschickte, wich inhaltlich stark vom Original ab. Statt meiner äußerst kritischen Beurteilung der künstlerischen Arbeit an der Komischen Oper, weiland unter Andreas Homoki, stand da nun eine Hymne.

Das wollte ich mir nicht gefallen lassen, die Position konnte und wollte ich so nicht vertreten. Also rief ich den Redakteur an und sagte ihm, wenn er darauf bestehen sollte, würde ich den Artikel zurückziehen. Der ob meiner Kühnheit perplexe Redakteur lenkte ein und druckte dann immerhin doch meinen Text in meiner ursprünglichen Form. So einen Schritt muss man sich als freie, von Auftraggebern abhängige Autorin freilich leisten können. Manch einer nimmt solche Eingriffe hin, um im Geschäft zu bleiben und das kann ich den Kolleginnen und Kollegen nicht verdenken.

Freilich hatte die Angelegenheit Folgen. Der Redakteur wollte mich loswerden. Ein Anlass war schnell gefunden: Eine Nachfrage von mir zu Ungereimtheiten bei den Honoraren beantwortete er damit, ich müsste nicht mehr für ihn schreiben. Stolz nahm ich meinen Hut.

Der zweite Fall betraf eine Rezension über Thielemanns zweite Produktion bei den Osterfestspielen Salzburg, Strauss ‚ Arabella in einer Online-Publikation.

Nahezu alle Kritiker hatten die Inszenierung verrissen, bei mir schnitt sie positiv ab. Unverblümt schrieb mir der Redakteur, er würde mich nicht als einzige Gegenstimme bringen.

Eine solche Zensur ist mit mir nicht zu machen. Dieser Publikation habe ich nie wieder meine Dienste angeboten. Leider sind das keine Einzelfälle wider die Presse- und Meinungsfreiheit. Immer wieder erzählen mir Kolleginnen und Kollegen, wie sie von Redaktionen im sogenannten „Briefing“ schon den gewünschten Tenor für eine Einschätzung mitgeliefert bekommen.

Dann denke ich an die unvergessliche Jahrhundert-Sängerin Elisabeth Schwarzkopf. Auf ihrem Schreibtisch stand ein Schild mit ihrem Lebensmotto „Standhalten im Strom“. Es ist auch meine Devise.

Manchmal wird sie auch belohnt. Eine solche schöne Erfahrung hatte ich vor vielen Jahren beim WDR. Nach einem Livegespräch über eine von Peter Stein inszenierte Produktion von Schillers „Wallenstein“, die ich in ihren herausragenden Qualitäten würdigte, sagte der Moderator anerkennend zu mir, ich hätte zwar das gesamte Feuilleton gegen mich, ihn aber mit meiner Argumentation überzeugt.

Ähnlich viel Zustimmung erhielt ich unlängst in diesem Blog für meinen singulären Verriss des Bayreuther Tannhäusers. Ich werde weiter standhalten im Strom.

Richard Wagner, Tannhäuser, Bayreuther Festspiele, 28. Juli 2019

Kirsten Liese, Berlin, 03. Oktober 2019

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Die gebürtige Berlinerin Kirsten Liese (Jahrgang 1964) entdeckte ihre Liebe zur Oper im Alter von acht Jahren. In der damals noch geteilten Stadt war sie drei bis vier Mal pro Woche in der Deutschen Oper Berlin — die Da Ponte Opern Mozarts sowie die Musikdramen von Richard Strauss und Richard Wagner hatten es ihr besonders angetan. Weitere Lieblingskomponisten sind Bruckner, Beethoven, Brahms, Schubert und Verdi. Ihre Lieblingsopern wurden „Der Rosenkavalier“, „Die Meistersinger von Nürnberg“, „Tristan und Isolde“ und „Le nozze di Figaro“. Unvergessen ist zudem eine „Don Carlos“-Aufführung 1976 in Salzburg unter Herbert von Karajan mit Freni, Ghiaurov, Cossotto und Carreras. Später studierte sie Schulmusik und Germanistik und hospitierte in zahlreichen Radioredaktionen. Seit 1994 arbeitet sie freiberuflich als Opern-, Konzert- und Filmkritikerin für zahlreiche Hörfunk-Programme der ARD sowie Zeitungen und Zeitschriften wie „Das Orchester“, „Orpheus“, das „Ray Filmmagazin“ oder den Kölner Stadtanzeiger. Zahlreiche Berichte und auch Jurytätigkeiten führen Kirsten zunehmend ins Ausland (Osterfestspiele Salzburg, Salzburger Festspiele, Bayreuther Festspiele, Ravenna Festival, Luzern Festival, Riccardo Mutis Opernakademie in Ravenna, Mailänder Scala, Wiener Staatsoper). Als Journalistin konnte sie mit zahlreichen Sängergrößen und berühmten Dirigenten in teils sehr persönlichen, freundschaftlichen Gesprächen begegnen, darunter Dietrich Fischer-Dieskau, Elisabeth Schwarzkopf, Mirella Freni, Christa Ludwig, Catarina Ligendza, Sena Jurinac, Gundula Janowitz,  Edda Moser, Dame Gwyneth Jones, Christian Thielemann, Riccardo Muti, Piotr Beczala, Diana Damrau und Sonya Yoncheva. Kirstens Leuchttürme sind Wilhelm Furtwängler, Sergiu Celibidache, Riccardo Muti und Christian Thielemann. Kirsten ist seit 2018 Autorin für klassik-begeistert.de .

4 Gedanken zu „Lieses Klassikwelt 2/2019,
klassik-begeistert.de“

  1. „Ein Konservativer wie Thielemann – das war möglicherweise zuviel für eine stark nach links gerückte Regierung.“
    Eine klassische Verschwörungstheorie. Die „stark nach links gerückte Regierung“ ist nicht von selbst „nach links gerückt“, sondern das Ergebnis von Wahlen. Und um die dunklen Mächte einer „stark nach links gerückten Kräfte“ noch mächtiger – und damit unheilvoller – zu machen, braucht man nur den Orchesterwillen auszublenden.
    Liese macht sich die Welt, wie es ihr gefällt, bzw. missfällt. Garniert mit uninteressanten Geschichten aus ihrem Berufsleben. Brauchen nur diejenigen, die immer noch an die linke Weltverschwörung glauben.

    Prof. Karl Rathgeber

    1. Die stark nach links gerückte CDU ist nicht das Ergebnis von Wahlen, sondern von der politischen Haltung ihrer Mitglieder.
      Das Ergebnis der, nachweislich – bitte Parteiprogramme lesen – nach links gerückten CDU sind Wahlergebnisse, die zugunsten der AFD ausfallen.
      Mit Verschwörung hat dieser Punkt aus politologischer Sicht nicht das Geringste zu tun.
      Dass Linke wie Rechte und auch Liberale versuchen, Einfluss zu nehmen, auch das hat nichts mit einer Verschwörung zu tun. Es wäre weltfremd, dies überraschend zu finden.
      Die Autorin sagt, sie vermute, sie stellt hier keine Behauptung auf. Und Wachsamkeit von journalistischer Seite in Bezug auf eine möglicherweise überzogene Einflussnahme auf die von uns gewünschte freie Kunst und Gesellschaft kann man – ob links, rechts oder allem dazwischen – doch nur gut heißen.

      Alexander Platen

  2. Hallo Frau Liese,

    Gerüchte und Spekulationen gibt es ja eine Menge.

    Erstens: Bachlers hervorragende Beziehungen zu Petrenko und somit zu den Berliner Philharmonikern. Diese sind seit der Gründung der Osterfestspiele 1967 bis 2012 „Orchester in Residence“ gewesen. Mit Bachler erhoffte man sich das Gründungsorchester wieder nach Salzburg zu holen.

    Zweiter Streich mit Bachler: Endlich mal Wind in die verstaubten Inszenierungen zu bringen. Thielemanns heikle Einstellung zu Regisseuren ist bekannt.

    Drittens: Der Salzburger Landeshauptmann Wilfried Haslauer (ÖVP) soll die Intendanz der Salzburger Festspiele im Auge haben – Helga Rabl-Stadler soll ihren auslaufenden Vertrag (Sept. 2020) angeblich nicht verlängert haben wollen. Inwieweit das Rausekeln Thielemanns diesbezüglich behilflich sein soll, ich hab es noch nicht kapiert.

    An der zu sehr nach links gerückten Regierung kann es in Salzburg nicht liegen, begutachtet man Mal den Salzburger Landtag (ÖVP 15, Grüne 3, NEOS 3). Die Grünen dürften da nicht so viel Einfluss üben, sind im Ländle außerdem viel konservativer als in Wien und auf Bundesebene. Und sollte die Bundesregierung das Sagen haben, scheinen Befürchtungen des Linksrucks sowieso obsolet.

    Jürgen Pathy

  3. Vielen Dank, Frau Liese, für Ihren mutigen Artikel!
    Es ist heutzutage leider usus geworden, jede auch noch so berechtigte Kritik am linken Mainstream mit pauschalen Diffamierungen zu beantworten. Wenn Prof Rathgeber in Ermangelung aussagekräftiger Argumente reflexartig die „Verschwörungstheoretiker“-Keule schwingt, ist er mit dieser Totschlagargumentation ja leider nicht alleine.
    Dass Journalisten, egal ob im Politik- oder Kulturbereich, immer die Schere im Kopf haben und ganz genau wissen, welche Richtung die Redaktionen von ihnen erwarten, ist mittlerweile zwar in diesem Berufsumfeld hinreichend bekannt, aber immer noch viel zuwenig in der Öffentlichkeit!
    Da kann man uns allen als Gesellschaft nur Mut zu mehr Wahrheit wünschen, und darum danke ich Ihnen, Frau Liese, für diesen Artikel.

    Andrea Bauer

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