Foto: © Goethe-Theater Bad Lauchstädt
von Kirsten Liese
In der kommenden Woche öffnet anlässlich von Edda Mosers „Festspiel der deutschen Sprache“ das Goethe-Theater in Bad Lauchstädt wieder seine Pforten. Es ist für mich neben dem schwedischen Schlosstheater Drottningholm und dem Markgräflichen Opernhaus in Bayreuth eines der schönsten historischen Theater überhaupt. Wiewohl dieser, in einer ehemaligen Kuranlage gelegene, äußerlich schmucklose Bau mehrfach restauriert wurde, zuletzt 2019, hat er sich den Charme des 18. Jahrhunderts bewahrt.
Die Geschichte des Theaters ist eng mit der des Weimarer Hoftheaters verbunden, das Herzog Carl-August von Sachsen-Weimar anno 1791 gründete. Als Direktor setzte er den damals noch aufstrebenden Dichter Goethe ein, dem der Posten sehr gelegen kam, konnte er doch so seine eigenen Theaterstücke ausprobieren und das Niveau der deutschen Schauspielkunst heben. Doch schon bevor es 1825 abbrannte, avancierte Bad Lauchstädt mit seinem modernen, luxuriösen Kurbad zu einer attraktiven Nebenspielstätte.
Eines dieser ehemaligen Badehäuser kann man heute noch besichtigen, es liegt mitten in der von dem Merseburger Stiftsbaumeister Johann Wilhelm Chryselius geschaffenen gartenkünstlerischen Anlage.
Das damalige Theatergebäude ließ jedoch zu wünschen übrig, weshalb Goethe 1802 nach eigenen Entwürfen und innerhalb von nur vier Monaten ein neues Theater erbauen ließ – eben jenes, das heute noch bespielt wird. Der Entwurf erscheint für damalige Verhältnisse innovativ und modern: Im Inneren konzentriert sich alles auf den Zuschauerraum mit seinen 456 Plätzen, der – den Vorstellungen des Klassizismus entsprechend – an ein antikes Amphitheater erinnert. Das zeigt sich an dem Halbrund der Galerie, auf der man bequemer Platz nimmt als auf den sehr schmalen rot-gepolsterten Bänken im Parkett, vor allem aber an dem besonderen Dach, das von innen mit Stoff bespannt ist und aussieht wie ein Zelt. In der Antike sollten solche Zeltdächer das Publikum vor starker Sonne schützen.
Die szenischen Verwandlungen auf der Bühne setzt wie im Schlosstheater Drottningholm eine Kulissenmaschine in Gang. Ihr Herzstück ist ein sieben Meter langer Wellbaum, der zu Goethes Zeiten noch manuell mit einer Kurbel – und seit 1968 mit einem Elektromotor angetrieben wird, damit die Wagen bei den Wechseln nicht so laut rumpeln.
Zwar wurden zur Goethe-Zeit überwiegend Theaterstücke aufgeführt, dann und wann aber schon auch Opern und Singspiele, insbesondere von Mozart. Dank seiner räumlichen Nähe zu Halle wird das entzückende kleine Theater von den Hallenser Händelfestspielen aber auch für Produktionen von Georg-Friedrich Händels Musikdramen genutzt.
Ich habe dort schon so manche reizvolle Vorstellungen erlebt, besonders in Erinnerung blieb mir eine Produktion von Händels Serenata „Il Parnasso in festa“ in einer Inszenierung der auf szenische historische Aufführungspraxis versierten Sigrid T’Hooft. Wo auch immer die belgische Regisseurin arbeitet, kann man sich auf ihr großes Wissen und ihren guten Geschmack verlassen. Selbst bei geringfügigem Aufwand schafft sie stets eine herrliche Atmosphäre mit prächtiger Ausstattung und erarbeitet mit ihrem Ensemble die überlieferten Gesten. Die Weichen für eine perfekte Zeitreise sind damit gestellt.
Aber auch ein großes Musikdrama wie die „Alcina“ konnte ich zuletzt im Goethe-Theater erleben, in einer ungemein fantasievollen und poetischen Inszenierung von Niels Badenhop, einem sagenhaften Allround-Talent als Regisseur, Bühnenbildner, Maler, Sänger und Tänzer.
Beim „Festspiel der deutschen Sprache“ gelangen nächste Woche noch einmal die wunderbare „Zauberflöte“ aus dem Vorjahr und „Die Entführung aus dem Serail“ in einer Wiederaufnahme zur Aufführung.
„Die Zauberflöte“, die ich im vergangenen Jahr erleben durfte, inszeniert von Igor Folwill, besticht ebenfalls mit märchenhaftem Charme und schönen Kostümen. Und bietet zudem eine kaum bekannte Libretto- Fassung, an der Goethe mitschrieb. Schade, dass ich in der kommenden Woche schon verplant bin, ich hätte mir die Produktion gerne noch einmal angesehen und insbesondere auch die „Entführung“, die ich in der Inszenierung von Folwill noch nicht kenne. Ich wage zu bezweifeln, dass gerade diese beiden Stücke anderswo in absehbarer Zeit nur annähernd in einer vergleichbar ansprechenden schönen Regiearbeit zu erleben sind.
Kirsten Liese, 8. Oktober 2020, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Lieses Klassikwelt 55, das Schubert-Häuschen in Atzenbrugg klassik-begeistert.de
Lieses Klassikwelt (c) erscheint jeden Freitag.
Spelzhaus Spezial (c) erscheint jeden zweiten Samstag.
Der Schlauberger (c) erscheint jeden Samstag.
Ritterbands Klassikwelt (c) erscheint jeden zweiten Sonntag.
Posers Klassikwelt (c) erscheint jeden zweiten Sonntag.
Ladas Klassikwelt (c) erscheint jeden Montag.
Frau Lange hört zu (c) erscheint jeden zweiten Dienstag.
Schweitzers Klassikwelt (c) erscheint jeden zweiten Dienstag.
Sommereggers Klassikwelt (c) erscheint jeden Mittwoch.
Hauters Hauspost (c) erscheint jeden zweiten Donnerstag.
Sophies Welt (c) erscheint jeden zweiten Donnerstag.
Die gebürtige Berlinerin Kirsten Liese (Jahrgang 1964) entdeckte ihre Liebe zur Oper im Alter von acht Jahren. In der damals noch geteilten Stadt war sie drei bis vier Mal pro Woche in der Deutschen Oper Berlin — die Da Ponte Opern Mozarts sowie die Musikdramen von Richard Strauss und Richard Wagner hatten es ihr besonders angetan. Weitere Lieblingskomponisten sind Bruckner, Beethoven, Brahms, Schubert und Verdi. Ihre Lieblingsopern wurden „Der Rosenkavalier“, „Die Meistersinger von Nürnberg“, „Tristan und Isolde“ und „Le nozze di Figaro“. Unvergessen ist zudem eine „Don Carlos“-Aufführung 1976 in Salzburg unter Herbert von Karajan mit Freni, Ghiaurov, Cossotto und Carreras. Später studierte sie Schulmusik und Germanistik und hospitierte in zahlreichen Radioredaktionen. Seit 1994 arbeitet sie freiberuflich als Opern-, Konzert- und Filmkritikerin für zahlreiche Hörfunk-Programme der ARD sowie Zeitungen und Zeitschriften wie „Das Orchester“, „Orpheus“, das „Ray Filmmagazin“ oder den Kölner Stadtanzeiger. Zahlreiche Berichte und auch Jurytätigkeiten führen Kirsten zunehmend ins Ausland (Osterfestspiele Salzburg, Salzburger Festspiele, Bayreuther Festspiele, Ravenna Festival, Luzern Festival, Riccardo Mutis Opernakademie in Ravenna, Mailänder Scala, Wiener Staatsoper). Als Journalistin konnte sie mit zahlreichen Sängergrößen und berühmten Dirigenten in teils sehr persönlichen, freundschaftlichen Gesprächen begegnen, darunter Dietrich Fischer-Dieskau, Elisabeth Schwarzkopf, Mirella Freni, Christa Ludwig, Catarina Ligendza, Sena Jurinac, Gundula Janowitz, Edda Moser, Dame Gwyneth Jones, Christian Thielemann, Riccardo Muti, Piotr Beczala, Diana Damrau und Sonya Yoncheva. Kirstens Leuchttürme sind Wilhelm Furtwängler, Sergiu Celibidache, Riccardo Muti und Christian Thielemann. Kirsten ist seit 2018 Autorin für klassik-begeistert.de .