Mit diesem großartig besetzten Urwerk der Operngeschichte sorgt die Staatsoper für klare Verhältnisse im Berliner Opern-Derby

L’Incoronazione di Poppea, Musik von Claudio Monteverdi  Staatsoper Unter den Linden, 26. November 2022

Foto: Staatsoper Berlin, L’INCORONAZIONE DI POPPEA © Bernd Uhlig

So eine wunderbare, freizügige Inszenierung einer Monteverdi-Oper hat die Welt noch nicht gesehen! Großartige Stimmen von oben bis unten sorgen für eine stets heitere Stimmung. Jean-Christophe Spinosi und die Akademie für Alte Musik sind eine namenlose Freude selbst für eingefleischte Meistersinger-Fans.


L’Incoronazione di Poppea

Musik von Claudio Monteverdi
Text von Giovanni Francesco Busenello, Filiberto Laurenzi, Francesco Sacrati, Benedetto Ferrari u.a.

Staatsoper Unter den Linden, 26. November 2022

von Johannes Karl Fischer

Neunzehn SängerInnen und ein Bühnenbild, fast vier Stunden lang omnipräsent vor den nahezu anderthalbtausend ZuschauerInnen der Lindenoper. So die Inszenierung: Alle stehen von Anfang bis Ende im Geschehen, erzählt wird durch Schauspiel und Gesang, Theater eben. Minimalismus par excellence, trotzdem eine stets heitere, amüsierende Komödie. Ein großartiges Kunstwerk der Personen- und Lichtregie!

Diese Produktion wimmelte nur von stimmlicher Exzellenz: Von den insgesamt 19 Solo-Partien war keine einzige unterbesetzt, Regina Koncz in der Doppelrolle Amore/Valletto ebenso sanft melodiös wie Evelin Novaks Drusilla. Natalia Skrycka war eine majestätischer Ottavia mit voluminöser Stimme und Bühnenpräsenz, wie gemacht für diese Rolle.

Doch auch die Kaiserin Roms ist kein Vorbild für moralisches Verhalten, ist ebenso untreu wie alle DarstellerInnen dieser Gesellschaft und stiftet zum Mord an Poppea an. Am Ende wird sie von ihrem Gatten, dem Kaiser Nerone, zu Gunsten der Poppea abgesägt.

Der von Monteverdi einen besonders bürgerlichen Anstrich bekommen hat: Der Kaiser als Countertenor, humoristischer gehts wohl kaum. Gleich zwei wunderbare Vertreter dieser höchst besonderen Stimmgattung standen auf der Bühne: Bejun Mehta (Ottone) und Carlo Vistoli (Nerone) sangen eine scherzhafte Arie nach der anderen, mit spaßigen, mühelos und luftigen Koloraturen. Wie Tenor, nur halt höher.

Dieser Kaiser ist kein Herrscher, sondern ein normaler Mensch, dessen Leben sich um dieselben Probleme dreht wie bei allen anderen seiner wohlhabenderen BürgerInnen. Solche eine parodierende Stimme ist nur die logische Konsequenz dieser karnevalistisch konzipierten Rolle. Ganz anders der Philosoph Seneca (Grigory Shkarupa): Sein tiefer, stimmstarker Bass prophezeit die ältesten aller Weisheiten an sein Volk.

Das absolute Highlight des Abends war aber Slávka Zámečniková in der Titelrolle der Poppea. So einen lockeren, federleichten Sopran hat die Welt noch nicht gesehen! Völlig natürlich, verzaubernd, frei von den Regeln der Gesellschaft, verzaubert sie Nerone und ebenso wie die ZuschauerInnen im üppig gefüllten Saal. Einfach souverän. Mögen ihr noch viele erfolgreiche Bühnenjahre bevorstehen!

 

Ich saß in der ersten Reihe, der mittige Platz hinter dem Dirigenten war wieder einmal frei (wird der überhaupt verkauft?). Da fängt die Freude erst richtig an, wenn Jean-Christophe Spinosi die fast 400 Jahre alte Musik zu neuer Begeisterung anregt. Dieses höchst engagierte Dirigat war eine Freude so namenlos wie ein jubelnder Meistersinger-Schlusschor! Mit Zinken, Theorben und Dulzian, wer weiß noch, was das noch alles war?

Fazit: Mit diesem großartig besetzten Urwerk der Operngeschichte sorgt die Lindenoper für klare Verhältnisse im Berliner Opern-Derby. Das Publikum applaudiert schon zur Pause ein feurig klares Urteil. Legt Vogts Florestan im Januar nach?

Johannes Karl Fischer, 27. November 2022 für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

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Blu-ray-Rezension: Claudio Monteverdi, L’Incoronazione di Poppea klassik-begeistert.de

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