Oper Genf: Wagner-Fans feiern Orchester und Dirigenten wie die Könige

Richard Wagner, Das Rheingold und Die Walküre,  Opéra de Genève / Oper Genf, 12. und 13. März 2019

Foto: © GTG / Carole Parodi, Oper Genf
Opéra de Genève / Oper Genf,
12. und 13. März 2019
Richard Wagner, Das Rheingold und Die Walküre

von Jacqueline Schwarz

Furchtlos, sichtlich bemüht, die eigene Wut zu unterdrücken und erhobenen Hauptes stellt sich Brünnhilde ihrem zornigen Gottvater Wotan: „Hier bin ich Vater, gebiete die Strafe“. Petra Lang hat sich in dieser Partie schon mehrfach als eine der Besten unserer Zeit empfohlen, ob 2013 in Marek Janowskis unvergessenem Berliner Wagnerzyklus oder 2018 im Dresdner „Ring“ unter Christian Thielemann. Stets groß, schlank und schön strahlt ihr Sopran in allen Registern.

© GTG / Carole Parodi

Psychologisch wirkt ihre Wunschmaid seit ihrem Rollendebüt vor sechs Jahren noch ausgereifter. Souveräner, energischer und trotziger noch tritt sie dem aufgebrachten, strengen Vater jetzt entgegen, nuancenreich spiegeln sich ihre Emotionen  in ihren Blicken und Gesten. In dem Isländer Tómas Tómasson hat sie an der Oper Genf einen kongenialen Partner zur Seite, der sein aus vertraglichen und moralischen Zwängen resultierendes Unglück glaubwürdig durchlebt und mit seiner starken Präsenz an so große Wotan-Darsteller wie John Tomlinson oder Albert Dohmen erinnert. Mit Ausnahme von Anja Kampe und Vitalij Kowaljow bei den Osterfestspielen Salzburg 2017 kommen mir keine anderen Sänger in den Sinn, die in den vergangenen Jahren in dieser Szene vergleichsweise tief berührt hätten. Was Lang und Tómasson hier aufbieten, wenn sie um ihre Positionen ringen, bis er, mit seinen Widersprüchen konfrontiert, schließlich einwilligt, die Lieblingstochter mit einem Feuerwall zu umgeben, den nur ein tapferer Held durchschreiten kann und sie sich in den Armen liegen und gar nicht mehr loslassen wollen, ist großes, packendes Theater.

Überhaupt  beweist die Genfer „Ring“-Tetralogie, dass die universelle Parabel um Macht und Liebe keineswegs auserzählt ist, wie Kritiker bisweilen schon befürchteten und nichts Verkehrtes daran ist, auf märchenhafte Fantasiebilder zu vertrauen. Jedenfalls waren mit Regisseur Dieter Dorn und seinem Ausstatter Jürgen Rose zwei Altmeister am Werk, die mit raffinierten Bühnentricks überraschen und Wagners latentem Humor Rechnung  tragen, wenn sich etwa Alberich im „Rheingold“ in eine Rauch speiende Riesenschlange verwandelt. „Mache vor Staunen mich stumm“, hatte Loge (trefflich als wendiger Filou: Stephan Rügamer) den Schwarzalben aufgefordert, und tatsächlich verschlägt es einem die Sprache, wie Alberich plötzlich durch Zauberhand unsichtbar wird. So etwas können nur ausgefuchste alte Theaterhasen!

Vor allem im „Rheingold“ gibt es noch viele weitere solcher staunenswerten, trefflichen szenischen Ideen: So werden die vom Komponisten beanspruchten sechs Harfen – beim zweiten Auftritt der Riesen als Blickfang auf der Bühne positioniert – unwillkürlich Teil des goldenen Nibelungenhorts.

© GTG / Carole Parodi

Bemerkenswert zudem, wie Dorn den Rhein als ein bewegtes Gewässer andeutet, indem er die Rheintöchter und andere nicht näher definierte Flussbewohner auf Rollschuhen in fließenden Bewegungen über die Bühne schickt. Und auf den hübschen Einfall, die Götter im „Rheingold“-Finale bei ihrem Einzug nach Walhall in einem Heißluftballon nach oben entschweben zu lassen, muss man auch erst einmal kommen. Möge sich die schlüssige, lebendige, Wagner-nahe Inszenierung noch recht lange im Repertoire dieses Hauses halten!

Aber noch aus einem weiteren Grund reiht sich das Genfer Opernhaus in die Riege der für Wagneraufführungen bedeutsamen Bühnen zwischen Berlin, München, Dresden, Wien, Salzburg und Bayreuth ein: Nach dreijähriger umfangreicher Sanierung ist das im Februar wiedereröffnete Opernhaus selbst zu einer imposanten Sehenswürdigkeit geworden. Siebzig Millionen (!) Euro hat sie gekostet. Die Prunkfassade des von dem Architekten Jacques-Elysée Goss nach dem Vorbild der Pariser Opéra Garnier entworfenen prächtigen Second-Empire-Palais‘ und die mit Deckengemälden und Vergoldungen reich geschmückten Foyers erstrahlen nun in historischem Glanz.

Bei alledem ist man geneigt, dem scheidenden Intendanten Tobias Richter dafür zu danken, dass er sein Ensemble einmal nicht nur aus den üblich verdächtigen, an zahlreichen Häusern herumgereichten Weltstars rekrutiert hat. Abgesehen davon, dass die Sänger darauf achten müssen, nicht mit zu vielen Verpflichtungen ihre Stimmen zu ruinieren, stimmt es neugierig, wenn sich auf den Besetzungszetteln vor allem unter den Tenören einmal andere Namen finden als Andreas Schager oder Jonas Kaufmann: Will Hartmann bietet als Siegmund viel Kraft für seine Wälse-Rufe auf und singt in der Mittellage über weite Strecken mit balsamischem Schmelz, quält sich nur leider angestrengt durch die höheren Register.

Nahezu alle im Ensemble singen übrigens mit exquisiter Textverständlichkeit, unter den Männern allen voran Tom Fox (Alberich) und  Taras Shtonda (Fafner), die auch mit starker Präsenz agieren, sich nur leider als nicht ganz höhensicher erweisen. Dagegen empfahl sich der Russe Alexey Tikhomirov mit seinem in allen Registern sicher geführten profunden Bass als ein auch von seiner mächtigen Statur her idealer Hunding und Fasolt.

© GTG / Carole Parodi

Michaela Kaune, in Genf als Sieglinde zu erleben, habe ich zuletzt in lyrischen Partien wie Marschallin oder Arabella an der Deutschen Oper Berlin erlebt. Das ist schon ein paar Jahre her. Mittlerweile hat sich die Stimme der Hamburger Sängerin enorm ins lyrisch-dramatische Fach entwickelt. Rund, warm und groß tönt ihre Mittellage in ihrer Szene „Der Männer Sippe saß hier im Saal“, nach oben hin ist ihr Sopran noch größer geworden, erstrahlt gewohnt kultiviert und in der richtigen Mischung von Kopf- und Bruststimme in entscheidenden Phrasen wie dem „oh hehrstes Wunder“.

Ebenfalls eine Wucht: der in allen Registern wohltönende Mezzo der Fricka von Ruxandra Donose und der glutvolle Alt Wiebke Lehmkuhls in der leider nur kleinen Partie der Erda.

Mit dem Orchestre de la Suisse Romande war bei alledem noch ein weiterer grandioser Protagonist an Bord. Ich hatte nicht erwartet, dass ich über den Dirigenten Georg Fritzsch vergleichbar ins Schwärmen geraten würde wie über Christian Thielemann. Das fängt schon damit an, dass er die Tetralogie im Gesamten klug disponiert, also nicht schon in den Fortissimo-Stellen im „Rheingold“ das ganze Pulver verschießt. Noch dazu ist er ein Dirigent, der das Seelische der Musik wunderbar sensitiv ausstellt. Nicht nur die Holzbläser tönten da entsprechend melancholisch und sehnsuchtsvoll, sondern auch die Streicher musizierten ungemein empfindsam, allen voran das Solocello im ersten Akt der Walküre, wenn Siegmund und Sieglinde in Liebe verfallen. Aber auch das Blech, allen voran die Hörner, die selbst in deutschen Spitzenorchestern mitunter kieksen, tönten hier schon an exponierter Stelle im Rheingold makellos, golden und rund, dass es eine reine Wonne war! Und wenn das Orchester in vollem Tutti aufspielt wie beim Walkürenritt oder bei Wotans Abschied, hat Fritzsch keine Scheu, im Tempo immer breiter zu werden, so dass sich der opulente Klang aufs Prächtigste entfalten kann.

Seltsam, dass der Name Fritzsch bislang an den bedeutenden Wagnerbühnen noch nicht angekommen ist. Nach so einem müssten sich die Häuser doch eigentlich reißen!

Das Genfer Publikum, darunter auch viele herumreisende Wagner-Fans, wussten diese Qualitäten zu schätzen und feierten Orchester und Dirigenten wie die Könige.

Jacqueline Schwarz, 16. März 2019, für
klassik-begeistert.de

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