Das Grand Théâtre Genf fasziniert mit einem seltenen musikalischen Juwel: „La Juive“

Foto: Genf 2022, La Juive Foto: Dr. Charles E. Ritterband

Das goldene Bildnis des 1799 in Paris geborenen Komponisten Jacques Fromental Halévy ziert zwar den Olymp der musikalischen Größen im Foyer der Genfer Oper (Grand Théâtre) – dennoch sollte es fast ein Jahrhundert dauern, bis hier, in der Rhonestadt, seit 1926 sein größtes und erfolgreichstes Werk wieder aufgeführt werden sollte: „La Juive“. Der neue, überaus engagierte Intendant dieses Opernhauses, Aviel Cahn, stellt die „Juive“ – unverkennbar als pièce de résistence – in den Rahmen des engagierten und höchst aktuellen Zyklus „Migration“. Es ist ein sinniger Zufall, dass das prachtvolle Genfer Opernhaus nur einen Katzensprung entfernt ist von der kleinen, aber wunderschönen Synagoge im maurischen Stil. Religion ist einer der historischen Brennpunkte in der Stadt des Reformatoren Calvin, und der Sieg über die Hussiten bildet den thematischen Hintergrund dieses zwar in der Geschichte angesiedelten, aber in Sachen Intoleranz, religiöse Aufwiegelung und Hass höchst aktuellen, ja geradezu prophetischen Werkes. Was die Genfer Oper hier auf die Bühne stellt ist ein fast vergessenes Juwel – und diese umjubelte Inszenierung (Coproduktion mit dem Teatro Real Madrid) bot das Beste, was die Oper Genf szenisch und musikalisch zu bieten hat.

Jacques Fromental Halévy, La Juive

Grand Théâtre Genf, 15. September 2022

von Dr. Charles E. Ritterband (Text und Fotos)

Halévys Meisterwerk war im 19. Jahrhundert noch eine der meistgespielten Opern, zumal in ihrem Ursprungsland Frankreich, wo selbst die große Pariser Oper, der berühmte „Palais Garnier“, mit „La Juive“ eröffnet wurde. Mehr noch: Kein anderer als der leidenschaftliche Antisemit Richard Wagner gehörte zu den größten Anhängern Halévys, von dem er die Technik des Leitmotivs abgeguckt haben soll – und dessen „Juive“ er höchstpersönlich dirigierte. Halévy war einer der wichtigsten Exponenten der französischen Romantik, er unterrichtete jenen Mann im Fach Komposition, der später sein (noch berühmterer) Schwiegersohn werden sollte: Georges Bizet. „La Juive“, obwohl musikalisch ein zutiefst romantisches und sehr französisches Werk, nahm es bereits den von Verdi, Leoncavallo und Mascagni radikal weiterentwickelten „Verismo“ vorweg. Seit der Jahrhundertwende wurde „La Juive“ wesentlich seltener aufgeführt; offenbar hatte sich der Zeitgeschmack in eine andere Richtung entwickelt. „Jacques Fromental Halévy, La Juive
Grand Théâtre Genf, 15. September 2022“
weiterlesen

Das Grand Théâtre de Genève blickt nach schwierigen Zeiten optimistisch in die Zukunft

Foto: Das Leitungsteam von l.n.r. Clara Pons, Aviel Cahn, Sidi Larbi Cherkaoui © Paolo Pellegrin

Insgesamt ein sehr anspruchsvolles und ambitioniertes Programm, das hoffentlich ohne pandemiebedingte Ausfälle oder Einschränkungen realisiert werden kann. Neugierig darf man auf das facettenreiche Programm in jedem Fall sein.

Schweizerische Botschaft, Berlin, 16. Mai 2022

 von Peter Sommeregger

Für alle Kulturschaffenden, die ein Haus zu bespielen haben, waren bedingt durch die weltweite Pandemie die letzten Spielzeiten wie ein Ritt über den Bodensee, man wusste oft bis zum letzten Augenblick nicht, ob eine fertige Produktion auch gezeigt werden könnte.

Auch dem Grand Théâtre de Genève erging es nicht besser, Intendant Aviel Cahn gibt sich aber optimistisch und präsentiert bei einem eleganten Presselunch in der Schweizerischen Botschaft in Berlin die Pläne für die kommende, seine vierte Spielzeit am Grand Théâtre. Mitgebracht hatte er den neuen Ballett-Direktor des Hauses Sidi Larbi Cherkaoui, einen Belgier mit marokkanischen Wurzeln, der in der kommenden Saison mit vier Stücken vertreten sein wird. Dem Ballett wird an dem Haus traditionell ein großer Stellenwert eingeräumt. „Die Spielzeit 2022/2023 am Grand Théâtre de Genève
Schweizerische Botschaft, Berlin, 16. Mai 2022“
weiterlesen

Wer kann in sich selbst das Gefühl der Liebe erzwingen? Niemand.

Fotos: (c) Gregory Batardon

Grand Théâtre de Genève, Genf, 27. Februar 2022 (Premiere)

Rezension Atys von Jean-Baptiste Lully

von Frank Heublein

Aviel Cahn, der Intendant tritt anfangs auf die Bühne. Das sind schlechte Nachrichten. Dieses Mal aber nicht im Zusammenhang mit der Oper Atys von Jean-Baptiste Lully, die heute, Sonntag den 27. Februar 2022 im Grand Théâtre de Genève, in Genf also, Premiere feiert.

Aviel Cahns Hände zittern vor Aufregung und Erregung beim Verlesen des Aufrufs gegen den Krieg, den Putins Russland gegen die Ukraine führt. Es erscheint mir, sie liegt begründet in der Last der unbedingten Notwendigkeit, sich mit diesem Krieg auseinanderzusetzen. Er geht uns alle an in der Welt. Einige wenige „Aufhören“ Rufe gibt es, als er die Schweizer aufruft, sich nicht hinter der Neutralität zu verbarrikadieren. Das Publikum erhebt sich. Das Orchester Cappella Mediterranea intoniert eine elegische Komposition eines ukrainischen Komponisten als Zeichen der Unterstützung der Ukraine.

Dieser Krieg wirkt in mir als Filter, emotional wie interpretatorisch. Er verändert meine Wahrnehmung des heutigen Abends. Ich finde Parallelen. Die Göttin Cybèle legt fest, dass Atys sie zu lieben hat. Ganz im Stil des absoluten Herrschers Ludwig XIV. („Der Staat bin ich“). Ganz im Stile Wladimir Putins, der festlegen und entscheiden will, was weltweit Wahrheit ist, was alles Russland zu gehört.

„Jean-Baptiste Lully, Atys,
Grand Théâtre de Genève, Genf, 27. Februar 2022 PREMIERE“
weiterlesen

Vorbericht zur Premiere des Opéra-ballett Atys von Jean-Baptiste Lully in Genf: Ein Füllhorn von Künstlern und Künstlerinnen mit reichhaltiger Entdeckerfreude.

Demnächst in Genf und Versailles: Lullys Atys

Grand Théâtre de Genève, Genf, 27. Februar 2022

von Frank Heublein

Das Stück

Atys von Jean-Baptiste Lully wurde 1676 am königlichen Hof in Schloss Saint-Germain-en-Laye uraufgeführt. Ludwig der XIV. zog erst 1782 von dort nach Versailles um. Die Produktion, die am 27. Februar 2022 Premiere in Genf feiert, wird danach nicht am Ort der Uraufführung, sondern in Versailles aufgeführt.

Der Dirigent William Christie führte die Oper 1987 in einer Inszenierung von Jean-Marie Villégier mit seinen Ensemble Les Arts Florissants anlässlich von Lullys 300. Todestag unter anderen in Paris und Florenz auf.  Der US-amerikanische Mäzen Ronald P. Stanton, der 1987 eine Aufführung in Versailles besucht hatte, finanzierte 2011 eine Wiederaufnahme. Weitere Inszenierungen in der näheren Vergangenheit konnte ich nicht finden.

Atys ist ein antik klassisches Liebesdrama. Atys verliebt sich in die Nymphe Sangaride, die Göttin Cybele liebt Atys. Aus Eifersucht lässt Cybele Atys verhexen. Er tötet seine Liebe Sangaride und daraufhin sich selbst.

Der Komponist

Jean-Baptiste Lully war Hofkomponist des Sonnenkönigs Ludwig XIV.. Er starb 1687 an Wundbrand durch eine Verletzung mit dem Taktstock, mit dem er während der Taktgebung sich selbst am Zeh verletzte.

Paul Mignard_-_Jean Baptiste Lully

Lully gilt als Gründer der französischen Nationaloper, wobei er dazu erfolgreich gegen seine Musikkollegen Komponist Robert Cambert und Librettist Pierre Perrin beim König intrigierte. Der König übertrug Lully die Rechte des Patentes für Opernaufführungen unter der Bezeichnung „Académies d’Opéra“. Lully hatte damit und mit weiteren königlichen Vollmachten nicht nur das Monopol auf Opernaufführungen, sondern auf musikalischen Aufführungen jeglicher Art. Ohne seine Genehmigung durfte keine Musik aufgeführt werden. Es drohte die Konfiszierung sämtlicher Instrumente, Kostüme und Einnahmen. „Jean-Baptiste Lully, Opéra-ballett Atys,
Grand Théâtre de Genève, Genf, 27. Februar 2022 PREMIERE“
weiterlesen

Musikgenuss auf höchstem Level

Foto: © Magali Dougados

Grand Théâtre de Genève, 28. Februar 2020

Giacomo Meyerbeer, Les Huguenots

von Jürgen Pathy

Chancen sollte man nutzen, wenn sie sich einem bieten – vor allem, wenn sie so selten sind. Mit „Les Huguenots“ bringt das Grand Théâtre de Genève ein Meisterwerk auf die Bühne, das in Genf vor rund neunzig Jahren zum letzten Mal aufgeführt wurde. Kein Wunder. Meyerbeers Grand Opéra zu stemmen, stellt ein jedes Opernhaus vor große Herausforderungen – finanziell als auch organisatorisch. Rund zwanzig Solisten, eine Schar an Statisten, ein überdimensionaler Chor und ein voll besetzter Orchestergraben sind vonnöten, um dieses opulente Spektakel, das rund vier Stunden dauert, überhaupt auf die Beine zu stellen. Damit das Ding zieht, wirkt und begeistert, erfordert es noch dazu eine handvoll hervorragender Gesangssolisten, einen umsichtigen Dirigenten inklusive großartigem Orchester. In Genf stehen zum Glück alle zur Verfügung. „Giacomo Meyerbeer, Les Huguenots,
Grand Théâtre de Genève, 28. Februar 2020“
weiterlesen

Entstaubt, entrümpelt, entstellt: Mozarts "Entführung aus dem Serail" in Genf

Foto: © GTG / Carole Parodi

„Mir persönlich ist der gute, alte, anachronistisch-barocke, von mir aus xenophob-sexistische Mozart dann doch hundert Mal lieber als der Murks einer politisch korrekten, zeitgenössischen Interpretation, in der die Moral der Geschichte dennoch fehlt.“

Grand Théatre de Genève, 24. Januar 2020

Die Entführung aus dem Serail. Singspiel von Wolfgang Amadeus Mozart.

von Charles E. Ritterband

Der Zufall wollte es, dass ich zwei Tage zuvor im Wiener Burgtheater der geräuschvollen Massakrierung von Goethes Faust – mit effektvollen pyrotechnischen Effekten, dröhnender Disco-Musik und großflächigen Eingriffen eines zeitgenössischen Textdichters ins Original – beigewohnt hatte. Der „Déjà-Vu-Effekt“ war also unvermeidlich, als ich kurz darauf im prachtvollen Genfer Grand Théatre die kreative Entrümpelung von Mozarts „Entführung aus dem Serail“ anschauen durfte. Im Burgtheater gab es allerdings eine Pause, die manche Zuschauer, wie auch ich selbst, zur Flucht ins nahegelegene Café Landtmann nutzten. „Wolfgang Amadeus Mozart, Die Entführung aus dem Serail,
Grand Théatre de Genève, 24. Januar 2020“
weiterlesen

Ramón Vargas, der Ausnahmetenor, bleibt uns hoffentlich noch lange erhalten

Foto: http://www.ramonvargas.com (c)
Tobias Richter verabschiedet sich als Intendant von der Genfer Oper

Grand Théâtre de Genève, 4. Juni 2019
Giuseppe Verdi, Un ballo in maschera

von Kirsten Liese

Es gibt derzeit nicht allzu viele Tenöre, die mit  knapp 59 Jahren noch jugendliche Strahlkraft und Schmelz aufzubieten vermögen. Entsprechend beeindruckt es, wie sich der Mexikaner Rámon Vargas in Genf präsentiert: Groß, machtvoll, rund und in allen Registern schlank und schön tönt seine Stimme in Giuseppe Verdis „Maskenball“. Noch dazu durchlebt er seinen Schwedenkönig Gustavo in seiner verhängnisvollen Liebe für Amelia, die Frau seines besten Freundes, ungemein berührend. Anflüge von Verschleiß? Fehlanzeige. Vargas ist noch stärker in Hochform als zuletzt in Wien, wo er den Gustavo im Herbst vergangenen Jahres sang und nur mäßige Kritiken bekam. Wer allerdings die Spitzen mit herrlichem Belcanto so mühelos erreicht, ist mit seiner Stimme und Karriereplanung sorgsam umgegangen. „Giuseppe Verdi, Un ballo in maschera,
Giuseppe Verdi, Un ballo in maschera, 4. Juni 2019“
weiterlesen

Der "Ring" in Genf: werknah und fantasievoll ...
und eine Reise wert

Foto: Götterdämmerung © GTG / Carole Parodi
Oper Genf / GRAND THÉÂTRE DE GENÈVE, 15. und 17. März 2018
Richard Wagner, Siegfried und Götterdämmerung

von Jacqueline Schwarz

Der erste starke Eindruck festigt sich nach der Halbzeit: Richard Wagners „Ring“, mit dem das Genfer Opernhaus nach seiner Sanierung wiedereröffnete, kommt in der Inszenierung von Dieter Dorn so werknah  und fantasievoll daher wie wenige andere Produktionen aus jüngerer Zeit. Einen großen Teil daran hat ein imposantes Ensemble an schwarz kostümierten, gesichtslosen Bewegungskünstlern (Einstudierung körperlicher Ausdruck: Heinz Wanitschek) und Puppenspielern (Marionetten-Konzeption: Susanne Forster und Stefan Fichert). Einige von ihnen machen mit flatterndem Tuch den Rhein, andere galoppieren mit Pferdekopf-Attrappen und wilder Mähne als Waltrautes Ross quer über die Bühne oder mimen im Fellkostüm den Bären, den Siegfried in der Schmiede mit sich führt. Mit dem Waldvögelchen, das Puppenspieler zusammen mit weiteren Vögeln wie Schmetterlinge an langen schwarzen Stäben bewegen, wird es auf der kargen schwarzdunklen Bühne bunt und poetisch. „Richard Wagner, Siegfried und Götterdämmerung,
Oper Genf / GRAND THÉÂTRE DE GENÈVE, 15. und 17. März 2018“
weiterlesen

Oper Genf: Wagner-Fans feiern Orchester und Dirigenten wie die Könige

Foto: © GTG / Carole Parodi, Oper Genf
Opéra de Genève / Oper Genf,
12. und 13. März 2019
Richard Wagner, Das Rheingold und Die Walküre

von Jacqueline Schwarz

Furchtlos, sichtlich bemüht, die eigene Wut zu unterdrücken und erhobenen Hauptes stellt sich Brünnhilde ihrem zornigen Gottvater Wotan: „Hier bin ich Vater, gebiete die Strafe“. Petra Lang hat sich in dieser Partie schon mehrfach als eine der Besten unserer Zeit empfohlen, ob 2013 in Marek Janowskis unvergessenem Berliner Wagnerzyklus oder 2018 im Dresdner „Ring“ unter Christian Thielemann. Stets groß, schlank und schön strahlt ihr Sopran in allen Registern.

© GTG / Carole Parodi

Psychologisch wirkt ihre Wunschmaid seit ihrem Rollendebüt vor sechs Jahren noch ausgereifter. Souveräner, energischer und trotziger noch tritt sie dem aufgebrachten, strengen Vater jetzt entgegen, nuancenreich spiegeln sich ihre Emotionen  in ihren Blicken und Gesten. In dem Isländer Tómas Tómasson hat sie an der Oper Genf einen kongenialen Partner zur Seite, der sein aus vertraglichen und moralischen Zwängen resultierendes Unglück glaubwürdig durchlebt und mit seiner starken Präsenz an so große Wotan-Darsteller wie John Tomlinson oder Albert Dohmen erinnert. Mit Ausnahme von Anja Kampe und Vitalij Kowaljow bei den Osterfestspielen Salzburg 2017 kommen mir keine anderen Sänger in den Sinn, die in den vergangenen Jahren in dieser Szene vergleichsweise tief berührt hätten. Was Lang und Tómasson hier aufbieten, wenn sie um ihre Positionen ringen, bis er, mit seinen Widersprüchen konfrontiert, schließlich einwilligt, die Lieblingstochter mit einem Feuerwall zu umgeben, den nur ein tapferer Held durchschreiten kann und sie sich in den Armen liegen und gar nicht mehr loslassen wollen, ist großes, packendes Theater. „Richard Wagner, Das Rheingold und Die Walküre,
Opéra de Genève / Oper Genf, 12. und 13. März 2019“
weiterlesen