"Lohengrin" in Bayreuth: Triumph der tiefen Stimmen

Richard Wagner, Lohengrin, 29. Juli 2018, Anja Harteros, Piotr Beczala, Tomasz Konieczny, Waltraud Meier, Georg Zeppenfeld,  Bayreuther Festspiele,

Foto: Copyright: Enrico Nawrath/Bayreuther Festspiele
Richard Wagner: Lohengrin
Bayreuther Festspiele
, 29. Juli 2018
Georg Zeppenfeld – König Heinrich
Piotr Beczala – Lohengrin
Anja Harteros – Elsa
Tomasz Konieczny – Telramund
Waltraud Meier – Ortrud
Egils Silins – Heerrufer
Chor und Orchester der Bayreuther Festspiele
Yuval Sharon – Inszenierung
Neo Rauch / Rosa Loy – Bühne und Kostüm
Reinhard Traub – Licht
Musikalische Leitung – Christian Thielemann

Der Programmzettel versprach einen Abend der Extraklasse: Georg Zeppenfeld als König Heinrich der Vogler, Piotr Beczala als Lohengrin, Anja Harteros als Elsa von Brabant, Tomasz Konieczny als Friedrich von Telramund und Waltraud Meier als Ortrud. Am Pult Mr. Bayreuth, Christian Thielemann, und im Graben das Orchester der Bayreuther Festspiele. Dazu der stimmgewaltige Chor.

Nach dreieinhalb Stunden „Lohengrin“, der romantischsten Oper von Richard Wagner im Bayreuther Festspielhaus, gaben die Zuschauer die Antwort: Fast alle Hauptdarsteller bekamen tosenden Applaus mit zahllosen Bravorufen.

Doch viele Zuschauer, auch viele Journalisten, waren nicht vollkommen überzeugt vom „Lohengrin II“ bei den Bayreuther Festspielen. Nicht alle Sänger konnten ihr Weltklasse-Potenzial voll abrufen.

Anja Harteros gehört für klassik-begeistert.de neben Anna Netrebko und Elina Garanca zu den drei besten Sängerinnen der Welt. An der Deutschen Oper Berlin gab sie im Dezember 2017 eine wunderbare Elsa: „Die Stimme des Himmels“, schrieb klassik-begeistert.de. „Wie sie die Seele berührt, wie sie die Unschuldigkeit und Reinheit verkörpert, wie ihr in allen Lagen facettenreicher, brillanter Klang bezaubert, und wie ihre Wärme die Temperatur im Saal erhöht, ist unfassbar. Das ist fast unmenschlich. Das ist göttlich. Anja Harteros verkörpert eine emotionale, leidenschaftliche Elsa, die ihrem Erlöser alles gibt. Wenn sie Elsas Traum singt, fragt der Zuhörer sich, ob er selbst träume.“

An diesem Abend in Bayreuth blieb Harteros deutlich unter ihren Möglichkeiten. Das war minutiös durchgestaltet und blitzsauber intoniert – aber der jugendliche Glanz wollte einfach nicht so betörend leuchten, wie man das sonst von ihr kennt. Ihre Stimme klang in den Höhen oft zu scharf, zu gepresst, nicht frei. Die Rolle der Elsa ist wahrlich nicht die Paraderolle der Deutsch-Griechin – als Sieglinde in der „Walküre“ (wie bei den Osterfestspielen in Salzburg 2017) ist sie eine Galaxie besser.

Anja Harteros‘ Gesang ist sonst so magisch, berührend, atemverschlagend. Davon an diesem Abend keine Spur. So wie sie die Elsa bei den ersten beiden Aufführungen in Bayreuth sang (der erste Abend war besser), dürfte sie ihrer Jahrhundertstimme keinen Gefallen tun. Verehrte Frau Harteros: Sie verfügen über ein so wunderbar breites Repertoire; streichen Sie bitte die Elsa…

Waltraut Meier, 62, stellte eine überzeugende Ortrud dar – aus dramatischer Sicht. Sie verkörpert eine böse Figur, die von ihren schwarzen Künsten angetrieben wird. Gesanglich hat sie eigentlich eine passende Stimme für diese schwere, dramatische Rolle, aber es fehlt ihr eindeutig die Höhe. Da klingt sie viel zu angestrengt, und sie fängt immer wieder an zwischen den Tönen zu schwanken. Das klingt gepresst, unrund und nicht frei. Diese Ausnahmekünstlerin hat (in Bayreuth) so viel erreicht – mit diesem letzten Auftritt auf dem Grünen Hügel hat sie sich und den Zuschauern keinen Gefallen getan.

Ein weiterer Weltstar, der Pole Piotr Beczala als Lohengrin, suchte an diesem Abend vom ersten bis zum dritten Akt seine Bestform. Mehrere hohe Töne traf der Tenor nur ungenau. Beczala sang immer wieder sehr gut und ergreifend, immer wieder aber auch etwas angestrengt und nicht rund. Ihm fehlte an diesem Abend vor allem im höheren Register die Weichheit in der Stimme.  Zur Premiere hatte sein Tenor heller, körperhafter, wärmer und natürlicher gestrahlt. Wer das Glück hatte, Klaus Florian Vogt als Lohengrin (in Bayreuth) zu hören, der kann nur zu einem Urteil kommen: der Norddeutsche singt diese Partie um Lichtjahre besser als der Pole. Vogt ist derzeit der mit Abstand beste Lohengrin der Welt und sollte diese Rolle auch wieder auf dem Grünen Hügel singen.

So blieb dieser Abend für anspruchsvolle Ohren ein Triumph der tiefen Stimmen: Ein Energiebündel war der polnische Bariton Tomasz Konieczny als Telramund. Seine Stimme hat Power, er singt männlich, mit phantastischem Timbre und beherrscht alle Register. Für klassik-begeistert.de ist er der beste Wotan der Welt (zu erleben im „Ring des Nibelungen“ an der Wiener Staatsoper im Januar 2019). Vollkommen unverständlich waren neben vielen Bravo-Rufen zahlreiche Buh-Rufe für den Polen – der war so angefressen, dass er nicht noch einmal vor den Vorhang kam. Nicht verzagen, lieber Tomasz, Sie waren super!  Alle Menschen mit feinen Ohren sind dankbar für Ihre Leistung. Dzienkuje bardzo!

Wunderbar auch der Bass Georg Zeppenfeld als König Heinrich. Er war, was Stimmenintensität und Genauigkeit anbelangte, der herausragende Sänger und bot eine makellose Aufführung. Note 1 plus, würde man in der Schule sagen. Sehr mächtig, wenn es sein musste, sehr dunkel, angenehm sanft an vielen Stellen und mit einer klaren deutschen Aussprache gesegnet. Kaum jemand im Weltklasseformat hat eine so klare Artikulation wie Zeppenfeld.

Zur wunderbaren, sinnlichen Inszenierung und zum berührenden Bühnenbild schrieb die FAZ trefflich: „Dabei muss man vor allem über Kunst reden: Rosa Loy und Neo Rauch, Maler und Grafiker von Weltmarktrang, haben zum ersten Mal für eine Oper Bühne und Kostüme entworfen und sich weit wegbewegt vom Comme-il-faut geschichtspolitischer Plakate, von Reichsadlern anstelle der Schwäne, von schwarz-weiß-roten Standarten und Chorheerscharen, die zu ihren ‚Heil!’-Rufen den rechten Arm recken. Ihr ‚Lohengrin’ ist ein Märchen geworden mit einem traumblauen Umspannwerk zwischen brabantischen Mannen, die Spitzenkrägen à la Frans Hals tragen. Das Umspannwerk mit seinen Porzellanisolatoren ziert ein kreisrundes Fenster, das gotische Kathedralrosette, mittelalterliche Turmuhr und elektrischer Spannungsgenerator in einem ist. Und so, wie der Sozialismus einmal die Künstler als ‚Ingenieure der Seele’ sah, platzt auch Lohengrin in die altflämische Welt des Aberglaubens hinein als Blitzbote des Fortschritts.

Loy und Rauch arbeiten mit Papppappeln auf der Bühne und beleben für die Hintergründe die alte Kunst der Prospektmalerei neu. Das Schönste aber sind die Wolkenstudien für den zweiten Aufzug und die Verwandlungsmusik vor dem letzten Bild, ganz romantisch in der Malweise, aber völlig verwirrend im Raumentwurf: Da schaut man übers Schilf in einen Abgrund. Und dieser Abgrund ist der Himmel selbst, dessen Wolken am oberen Rand wiederum aussehen wie eine Wasseroberfläche von unten. So stürzt der Blick inmitten dieser Schönheit rückwärts, seitwärts, vorwärts überallhin, weil es gar kein oben oder unten gibt. Dieses Ineinander von Schönheit und Haltlosigkeit, unbewohnbar für den Menschen, verstört mehr als jede politische Demonstration.“

Und umwerfend waren – wie immer – der gesanglich und darstellerisch fulminante Chor und die Stabführung des bedeutendsten Wagner-Dirigenten der Welt: Christian Thielemann: „Er lockt und lenkt, treibt und dehnt, spinnt unendliche Linien, legt aufregende Details frei und entfesselt explosive Triebkräfte“, schrieb BR-Klassik wunderbar. „Was da so lustvoll, impulsiv und inspiriert aus dem Augenblick heraus gestaltet wird, ist zugleich technisch bewundernswert sicher umgesetzt: kalkulierte Rauschzustände, präzise Zauberei. Die Sänger werden nie zugedeckt, und das brillant musizierende Festspiel-Orchester folgt Thielemann mit hörbarer Spielfreude.“

Die FAZ analysierte trefflich zur Premiere: „Christian Thielemann dirigiert seinen ersten ‚Lohengrin’ in Bayreuth mit Lust und Kenntnis, mit dichtem Anschluss an die Szene, feinsten Akzenten, schönster Transparenz in großer Zartheit. Das Geheimnisvolle des Klangs, dessen Herkunft nicht enträtselbar sein soll, das indirekte Leuchten wird vielleicht erst in den Folgevorstellungen gänzlich glücken. Auch wenn dieser „Lohengrin“ szenisch eher zurückhaltend ist, beschreibt er doch in Musik und Bühne ein so hohes Niveau, wie es nach Bayreuth unbedingt gehört.“

Und siehe da: Bereits bei der zweiten Aufführung war es immer wieder da: Das „Geheimnisvolle des Klangs“, das „indirekte Leuchten“…

Andreas Schmidt, 30. Juli 2018, für
klassik-begeistert.de

5 Gedanken zu „Richard Wagner, Lohengrin, 29. Juli 2018, Anja Harteros, Piotr Beczala, Tomasz Konieczny, Waltraud Meier, Georg Zeppenfeld,
Bayreuther Festspiele,“

  1. Lohengrin II in Bayreuth.
    Ende mit Schrecken! Das Vorspiel hat Herr Thielemann göttlich dargeboten, man war voll und ganz verzaubert, und man fühlte, wie der Gral immer näher kommt, und dessen Energie sich immer stärker in den Raum entfaltete und schließlich aber auch wieder entschwebte. Ein Pluspunkt an den Regisseur: Während der Vorspiele blieb der Vorhang geschlossen.
    Zum Bühnenbild: Die Assoziation zu den Delfter Kacheln und dem damit verbundenen dominanten Blau, das auch Nietzsche schon als Farbe dieser Oper gesehen hat, hat mich sehr überzeugt. Im Zusammenhang mit den Kostümen sollten damit viel bewegte Bilder entstehen, wenn da nicht diese schreckliche Personenführungen gewesen wäre. Dies waren einfallslos, grotesk und fehlerhaft. Weshalb? Beim Einzug der Elsa als Braut mußte sie sich durch verschiedene Metallkonstruktionen hindurchducken. Bei der Trauung vorm Münster fehlte das Zurückschauen der Elsa Richtung Ortrud, womit sie symbolisiert, das das Gift der Ortrud in ihr wirkt. Die mehrfachen Fesselspiele, wie z.B. Im Brautgemach, waren völlig überflüssig. Auch der Scheiterhaufen am Anfang mit Elsa und am Ende mit Ortrud waren völlig überflüssig. Gottfried als grünes Ampelmännchen war sicherlich lustig.
    Frau Harteros als Elsa völlig fehlbesetzt. Sie konnte diese jugendliche reine Figur in keiner Weise stimmlich abbilden. Frau Meier als Ortud fehlte jegliche Kraft in der Stimme, um diese dramatische Rolle auszufüllen. Herr Beczala als Lohengrin brillierte teilweise. Herr Zeppenfeld war als Heinrich exorbitant, genau und präzise hat er diese Rolle dargeboten. Herr Konieczny war in seiner Rolle ausgezeichnet, er ist einer der besten Heldenbaritons, die es gibt. Daher ist es für mich eine Katastrophe, dass er für seine gute Leistung von einem Teil des Publikums ausgebuht wurde und andere mit schlechtester Leistung gefeiert wurden.

    Olaf Barthier

  2. Ich habe die Radioübertragung und die TV-Aufzeichnung in 3sat gesehen. Die Inszenierung, ok schwamm drüber – leider hat man von Neo Rauchs Bildern in der Totale auf 3sat nichts groß gesehen.

    Für Harteros und Beczala sind die Partien im Lohengrin wirklich Grenzpartien – mich würde interessieren, wie Beczala der Stolzing liegen würde?

    Allerdings ist Konieczny für mich kein „herausragender“ Telramund. Er hat die Kraft, die dafür erforderlich ist – allerdings ist sein Timbre mehr als gewöhnungsbedürftig, und von gepflegtem Gesang war seine Leistung in den Übertragungen weit entfernt. Er „bellte“ über weite Teile seine Partie herunter, und was seine Ausprache betrifft, hat er noch massig Arbeit vor sich. Das war oftmals kaum verständlich (selbst wenn man den Text genau kennt). Vielleicht sollte er seinen Landsmann Beczala mal fragen, wie man sich eine gute deutsche Aussprache zulegt – wenn man fast ausschließlich deutsches Fach singt, ist das für mich eine Voraussetzung!

    Thielemann ist eigentlich ein großer Pedant, wenn es um die Sprache geht, warum er Konieczny das so durchgehen lässt, ist mir ein Rätsel.
    Vergleichen Sie Konieczny mal mit anderen Telramunds in diversen Aufnahmen, da gibt es wirklich weit bessere. Aber das scheint eben Geschmackssache zu sein.

    Stefany Zöbisch

    1. Eine Opernaufführung ist ein Kunstwerk, welches aus einer Vielzahl von Pusseln besteht und demzufolge in einer kausalen Abhängigkeit. Daher kann man nicht das ein oder andere herausnehmen und einzeln bewerten. „Inszenierung: Schwamm drüber“ geht so nicht! Und eine genauste Betrachtung des Bühnenbildes ist notwendig, das Umfeld hat auf vieles Einfluss. Ich bin der Überzeugung, das man nur vor Ort die individuelle Aufführung richtig beurteilen kann.

      Olaf Barthier

      1. Was die Beurteilung der inszenierung angeht, stimmen ihre Aussagen – deswegen habe ich dazu auch nichts weiter geschrieben, da mir die „Ausschnitte“ im Fernsehen dafür nicht genügen.
        Die musikalische Seite lässt sich jedoch unabhängig davon beurteilen. Das Timbre einer Stimme, der Farbenreichtum, Ausdruck, eventuelle Intonationsschwächen oder auch eine schlechte Aussprache etc. lassen sich mit einer guten Anlage vielleicht sogar genauer wahrnehmen (da keine Ablenkung durch Bühnenbild, Kostüme etc.) und daher auch beurteilen.
        Stimmen sind Geschmackssache, aber ich darf von Sängern erwarten, dass sie die Sprache, in der sie singen, sehr gut beherrschen und eine entsprechende gute Diktion auch während des Singens haben.

        Bei Konieczny sind die Parlandostellen immer wesentlich besser als die Gesangspassagen – dort zeigen sich seine Schwierigkeiten mit der deutschen Sprache oft deutlich. Aber anscheinend interessiert das heute die wenigsten Operngängern, Hauptsache der Sänger ist laut und trifft die Töne. Eigentlich traurig. wenn man sich damit zufrieden gibt und jubelt!

        Stefany Zöbisch

  3. Tomasz Konieczny polarisiert – sogar in Wien, wo ihn das Publikum liebt. Ich habe mir viel Gedanken diesbezüglich gemacht und komme zum klaren Entschluss: Es liegt einzig und alleine an seinem „besonderen“ Timbre. Denn dieser energische Bass-Bariton hat ansonsten alles: Charakter, Bühnenpräsenz, sichere Stimmführung, Ausdauer und schauspielerische Intelligenz.

    Oberflächlich springt sofort das Timbre eines Sängers ins Ohr. Beurteilt man seine Leistung primär nach diesem Kriterium, läuft man Gefahr ihn mangelhaft zu beurteilen. Bezieht man jedoch alle seine Qualitäten mit ein in die Entscheidungsfindung, muss er nach Schulnotensystem zumindest die Note 2 erhalten.

    Ich war von seinem Bayreuther-Premieren-Telramund nicht vollends überzeugt. Den Dialog mit Ortrud im 2. Akt habe ich mir einige Male angehört – mir war es etwas zu geradlinig.

    Sein Timbre kann man trotzdem positiv betrachten: Sind wir froh, dass es Stimmen gibt, die hervorstechen aus der breiten Masse, die man sofort wiedererkennt. Christa Ludwig hat unlängst in einem Interview geklagt, dass es keine Charaktere mehr gäbe, sie keine einzige Stimme wiedererkennen würde, auch nicht die des Jonas Kaufmann.

    Langer Rede, kurzer Sinn: Konieczny ist gewöhnungsbedürftig, aber großartig.

    Jürgen Pathy

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