So zärtlich spielt Sir András Schiff in Wien...

Sir András Schiff, Cappella Andrea Barca, Mozart, Schubert  Wiener Konzerthaus, 4. November 2021

… nur als Dirigent reißt er im Konzerthaus keine Bäume aus.

Wiener Konzerthaus, 4. November 2021

Foto: Sir András Schiff, Capell-Virtuos 2020/2021 © Nicolas Brodard

Sir András Schiff, Klavier, Dirigent
Cappella Andrea Barca

Wolfgang Amadeus Mozart, Konzert für Klavier und Orchester Es-Dur K 27 „Jeunehomme“
Franz Schubert, Symphonie Nr. 5 B-Dur D 485
Wolfgang Amadeus Mozart, Konzert für Klavier und Orchester B-Dur K 595
Zugabe: Wolfgang Amadeus Mozart: 2. Satz: Andante (Sonate F-Dur K 533 mit dem Rondo K 494)

von Andreas Schmidt

Was für ein wunderschöner Flügel. Ein richtiger Bösendorfer, nicht schwarz, sondern mahagonibraun mit dunklen und hellen Maserungen. Die Gäste des Wiener Konzerthauses fotografieren ihn vor und nach dem Konzert und in der Pause. Spielen wird auf diesem Konzertflügel Modell 280 VC Vienna Concert einer der besten Pianisten dieses Planeten: Sir András Schiff, 1953 in Budapest geboren, im Juni 2014 von Queen Elizabeth II in den Adelsstand erhoben.

Das wunderschöne Instrument passt zu der wunderschönen Musik, die der Meister am Flügel an diesem Abend kredenzt. Die Töne, die der Sir seinem Bösendorfer entlockt, kommen wie von einem anderen Stern, es ist gleich ein Anfang voll beschwingter Leichtigkeit und Heiterkeit.

Der Anschlag von Sir Schiff ist präzise wie ein Schweizer Uhrwerk, auf die tausendstel Sekunde genau. Darunter leidet aber nicht eine Melodik, über die Wolferl im Himmel jubeln würde. Jedes ritardando, jede Phrase sitzt und perlt so flockig wie ein kaltes S. Pellegrino im Hochsommer.

Foto: Andreas Schmidt (c)

Beide Mozart’schen Klavierkonzerte, jenes in Es-Dur und jenes in B-Dur, erreichen das dankbare Publikum in einer Meisterschaft, die ihresgleichen sucht. Kein Wunder: In der Cappella Andrea Barca spielen an diesem Abend 36 europäische Weltklassemusiker mit allergrößter Hingabe und Spielfreude. Hervorzuheben sind die beiden Kontrabassisten Brita Bürgschwendtner und Christian Sutter, die mit ihrem Mozart-Rocking allein schon den Besuch in einem der schönsten Konzertsäle der Welt wert sind.

Auch die Schubert-Symphonie Nr. 5 spielen die Musiker sehr, sehr innig und schön, aber, pardon Euer Ehren: Hier zeigt sich, dass Sir András Schiff kein richtiger Dirigent ist. Als Schubert-Dirigent war bei ihm nichts von dessen Genialität zu spüren. So wie Plácido Domingo ein Jahrhundertsänger ist und András Schiff ein Jahrhundertpianist, so sind beide nur maximal mittelmäßige Dirigenten. Man hatte stets den Eindruck, der Klangkörper hätte es auch ohne den hochdekorierten Musiker hinbekommen. Die Bewegungen von András Schiff gerieten immer wieder etwas ungelenk, ja: plump, und es manifestierte sich bisweilen der Eindruck, nicht er gebe der Ausnahmeformation den Takt an, sondern diese ihm.

Aber sei’s drum. Der Schubert war sehr gut.

Phantastisch dann nach der Pause, wie András Schiff das Larghetto von Mozarts B-Dur-Klavierkonzert spielte. So zärtlich liebkoste dieser 68-Jährige Ebony and Ivory, dass vielen Menschen im Konzertsaal wohlige Schauer über den Rücken liefen. Jedes Pianissimo war wohltemperiert und dosiert. Schöner geht es nimmer.

Das Publikum dankte es allen Musikern mit langem Beifall und zahlreichen Bravi-Rufen.

So schreiben klassik-begeistert-Autoren über Sir András Schiff:

Pauline Lehmann:

Sir András Schiff gründete die Cappella Andrea Barca ursprünglich für die Aufführung aller Klavierkonzerte Mozarts im Rahmen der Salzburger Mozartwoche in den Jahren 1999 bis 2005. Seitdem blicken die Musiker auf eine rege gemeinsame Konzerttätigkeit zurück. Das Orchester vereint internationale Solisten und Kammermusiker, eigens von Schiff ausgewählt.

Unter der Leitung des britisch-österreichischen Klaviervirtuosen bringen die Vollblutmusiker ihr kammermusikalisches Gespür ein. Ihr Esprit sowie das freudige, respektvolle und unverkrampfte Zusammenspiel beeindrucken. Das bescheidene, ruhige Auftreten und das bedächtig gesetzte Dirigat machen Sir András Schiff sympathisch.

© Olaf Malzahn

Nach dialogischen Bläser- und Streicherphasen, die sich zum Thema zusammenfinden, tritt das Soloklavier im ersten Satz des 15. Klavierkonzerts indirekt in das musikalische Geschehen ein und variiert beinahe kadenzartig über das Thema. Sir András Schiff lässt mit seinem kernigen und zugleich federnd leichten non legato-Spiel die Läufe perlen.

Sir András Schiff und seine Cappella Andrea Barca bringen eine bedachte und reflektierte Interpretation und verleihen den Werken eine lebendige Frische. Anmutig tritt das Soloklavier im Pianissimo hervor und die Streicher tragen beseelt. Der Bösendorfer-Flügel entfaltet aber auch einen vollen Klang und es erklingen souveräne, impulsive Tutti.

Raphael Eckardt:

Kaum ein Pianist erfreut sich auf den verschiedensten Bühnen dieser Welt einer solchen Beliebtheit wie András Schiff.

Wer sich je mit der Person András Schiff beschäftigt hat, der weiß, wie viel Wert dieser Pianist auf äußerte Präzision, dynamische Differenzierung und jede Figur in hochkomplexen Klaviersätzen legt: Schiff gilt unter den Klaviergrößen unserer Zeit oft als der Meister der Kontraste, als akribischer Präzisionsarbeiter oder als König der pianistischen Sorgfalt. Oftmals sind bei Schiffkonzerten Programme zu bestaunen, die zwar von einem roten (und wohl durchdachtem) Faden durchzogen werden, aber vor allem von Kontrasten und Überraschungen leben.

Schiffs Klavierspiel scheint wahrhaftig von einem anderen Stern zu sein. Bereits im ersten Satz haut es den ein oder anderen da förmlich aus den Socken. Haargenau präzisierte, beinahe pingelig perfektionierte Sechzehntelketten im Allegrotempo verflechten sich zu eindrucksvollen komplexen Seilsträngen, die fortan farbenfroh durch den Konzertsaal schweben. Unendliche Fadenwellen scheinen sich da auszubreiten, um sich im nächsten Augenblick zu fein verknüpften Mustern zu verweben. Schiff gelingt das Kunststück, in einem hochkomplexen Werk jeder Note ihren ganz eigenen Charakter zu verleihen. Da werden wunderbar akzentuierte Staccatoakkorde von sanft dahingleitenden Legatopassagen abgelöst. Alles wirkt mikroskopisch genau ausgearbeitet, jedes Motiv hat seinen Höhepunkt, jede Note ihre Aufgabe im Gesamten.

© Lukas Beck, Wiener Konzerthaus

Dr. Charles E. Ritterband:

Bereits die einführenden Worte dieses Meisters waren ein Hochgenuss: Sir András Schiff sprach von seinem Flügel der altehrwürdigen Wiener Klavierfabrik Bösendorfer aus wundervoll gemasertem, in vielen edlen Brauntönen glänzenden Mahagony-Holz. Der große, 1953 in Budapest geborene Pianist – viele sagen: der weltweit beste – sprach zärtlich von diesem einzigartigen, eigens für ihn hergestellten Instrument. Es ist im Vergleich zu Steinway-Flügeln länger, nämlich drei Meter statt nur 2,80, und Schiff stellte die Frage, weshalb alle Konzertflügel schwarz lackiert seien – schließlich dürften die Streichinstrumente auch in ihren Holzfarben auftreten.

Schiff entlockte seinem Flügel wunderbarste Töne; da es sich um ein relativ neues Instrument handelte, fehlten die Bässe weitgehend, dafür sangen die Höhen.

Sebastian Koik:

Sir András Schiff spielt gerne ganz ohne Pedal. Einer seiner Lehrer war der Cembalist George Malcolm. Dieser brachte seinem Schüler bei, Legato allein mit den Händen zu spielen, ohne den Einsatz von Pedalen. Das Haltepedal stand Bach auf keinem seiner Instrumente zur Verfügung. András Schiff ist der Meinung, dass Musik durch zu großen Pedaleinsatz beschädigt werden kann. Teilweise spielte er radikal ohne Pedaleinsatz, inzwischen ist er da nicht mehr ganz so streng – solange es gut klingt.

Auch an diesem Abend im Großen Saal der Elbphilharmonie macht András Schiff mehr mit seinen Händen als die meisten anderen Pianisten. Er verweilt mit den Fingern länger auf den Tasten seines mitgebrachten Bösendorfer-Flügels, hält länger Kontakt zu jedem einzelnen Ton.

Der zweite Komponist des Abends ist Wolfgang Amadeus Mozart. András Schiff gründete im Jahr 1999 die Cappella Andrea Barca. Die ursprüngliche Idee war die Aufführung sämtlicher Mozart-Klavierkonzerte in Salzburg. Nach wie vor zählt Mozart zum Kernrepertoire des Ensembles.

Schiff ist nicht nur der Solist, sondern auch der Leiter des Orchesters. Er gibt dem Orchester nach Möglichkeit den Einsatz und spielt die ersten Takte manchmal noch im Stehen. Das geht nicht immer, doch Schiff sagt dazu: „Während des Klavierspiels betrachte ich das Ganze als Kammermusik, und da braucht man wirklich nicht zu dirigieren, sondern nur gut aufeinander zu hören.“

Zur Doppelrolle Pianist und Dirigent sagt der kluge Sir András Schiff:Das sind zwei Aufgaben, aber so unterschiedlich sind sie nicht. Musik ist Musik!“

Andreas Schmidt, 4. November 2021, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Sächsische Staatskapelle Dresden, András Schiff, Myung-Whun Chung, Kulturpalast Dresden, 22. September 2020

Cappella Andrea Barca, Sir András Schiff, Kulturpalast Dresden, 6. Februar 2019

Solistenkonzert András Schiff, Johann Sebastian Bach BWV 870–893, Salzburger Festspiele, 16. August 2018

Sir András Schiff, Wiener Konzerthaus

Sir András Schiff, Wiener Konzerthaus

Sir András Schiff, Cappella Andrea Barca, Elbphilharmonie, Hamburg

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