Herzlichen Glückwunsch, lieber Peter, zur vierteltausendsten Klassikwelt. Du bist ein Kreativmonster! Andreas
von Peter Sommeregger
Die Chancen, nach einer Geburt in ärmliche, aber gebildete Verhältnisse im oberösterreichischen Marktflecken Ansfelden eines Tages Weltgeltung zu erlangen, stehen eher gering. Dass dies Anton Bruckner gelang, ist ein wunderbares Beispiel für die Möglichkeit, aus sich selbst heraus zu wachsen und mit Beharrlichkeit sogar utopische Ziele zu erreichen.
Hier soll anlässlich seines 200. Geburtstages kein weiterer biographischer Artikel erscheinen, viel mehr lohnt es sich, einen Blick auf den medialen Umgang mit dem Jubilar zu werfen. An Biographien des Komponisten herrscht kein Mangel, die frühesten stammen sogar noch aus der Feder von Zeitgenossen. Aber zwei in diesem Jahr erschienene Biographien folgen einem neuen Ansatz, den man als gelungen bezeichnen kann.
Da ist zum einen der von Alfred Weidinger und Klaus Petermayr herausgegebene, reich bebilderte im Verlag Anton Pustet erschienene Band. Neben den beiden Herausgebern kommen noch einige weitere Fachleute zu Wort, welche die verschiedensten Aspekte dieses ungewöhnlichen Lebens sachkundig beleuchten. Das ermöglicht ein breites Spektrum von Sichtweisen auf den Komponisten.
Die vielleicht gelungenste aktuelle Publikation stellt aber der opulente Katalog zur Ausstellung „Der fromme Revolutionär“ in der Österreichischen Nationalbibliothek dar. Diese Institution, in deren Bestände wesentliche Teile von Bruckners schriftlichem Nachlass aus der ursprünglichen Hofbibliothek eingeflossen sind, wird ihrer historischen Verpflichtung gerecht, kann sie doch auf gewöhnlich nicht zugängliches Material zurückgreifen. Der in jeder Hinsicht schwergewichtige Band ist natürlich weit mehr als nur ein Ausstellungskatalog. Den Herausgebern Andrea Harrandt und Thomas Leibnitz gelang auf über 200 großformatigen und reich bebilderten Seiten ein facettenreiches Lebensbild, welches das Zeug zum zukünftigen Standardwerk hat.
Üppig fällt auch die Zahl der neu erschienenen oder wieder veröffentlichten Tonträger aus. Es hatten schon in der Vergangenheit viele große Dirigenten komplette Einspielungen von Bruckners symphonischen Werken vorgelegt, darunter Herbert von Karajan, Eugen Jochum, Günter Wand u.a., in Teilen auch Otto Klemperer und Claudio Abbado. Erfreulich ist auch die Wiederveröffentlichung der mit dem Leipziger Gewandhausorchester von 2005 bis 2012 erfolgten Einspielungen Herbert Blomstedts. Immer noch erhältlich ist die ganz besondere, bei NAXOS erschienene Box mit Aufnahmen des österreichischen Dirigenten Georg Tintner, der es als erster unternommen hatte, sowohl alternative Fassungen der Symphonien, als auch die „Nullte“ und die so genannte Jugendsymphonie einzuspielen. Inzwischen hat er Nachahmer gefunden.
Christian Thielemann, der sich aktuell in dem Ruhm sonnt, der beste Brucknerdirigent zu sein, überschwemmt den Markt gleich mit sowohl einer Audio-Einspielung aller elf Werke mit den Wiener Philharmonikern bei Sony, als auch einer parallelen Ausgabe auf DVD und Blu-ray bei Unitel. Letztere haben als interessanten Bonus lange Gespräche mit dem Bruckner-Experten Johannes Leopold Mayer.
Interessant das über Jahre realisierte Projekt von Andris Nelsons. Beinahe jede der in diesem Fall zehn Symphonie-Einspielungen kombiniert er mit einer Ouvertüre Richard Wagner, sowie dessen Siegfried-Idyll. Angespielt wird damit auf die fast schon devote Verehrung Bruckners für den Meister, es lohnt aber auch der direkte Vergleich der Klangwelten beider Komponisten.
Bruckner, dessen Ruhm anfangs seinem virtuosen Orgelspiel galt, kann man mit Transkriptionen aller Symphonien für die Orgel in einer Aufnahme mit Hansjörg Albrecht erleben. Sehr viel bescheidener ist die Ausbeute neuer Aufnahmen von Bruckners drei Messen und anderen Chören. Zeitgenossen erzählten von den unglaublich virtuosen Fantasien und Präludien die Bruckner ganz für sich allein spielte. Aufgeschrieben hat sie leider niemand. So bleibt auch die Diskrepanz zwischen einem äußerlich unscheinbaren und unbeholfenen Menschen und dem überlebensgroßen revolutionären Schöpfer gewaltiger Klanggebirge unaufgelöst. Die musikalische Welt darf weiter rätseln, aber gleichzeitig die Freude an seinen spirituellen Werken genießen.
Peter Sommeregger, 3. September 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at