Sommereggers Klassikwelt 33: Interrupted Melody – das bewegte Leben der Sängerin Marjorie Lawrence

Sommereggers Klassikwelt 33: Interrupted Melody – das bewegte Leben der Sängerin Marjorie Lawrence

Hört man heute die gar nicht so wenigen überspielten Schellack-Platten, oder besser noch die existierenden Live-Mitschnitte, muss man neben der Schönheit und Sicherheit ihres Gesangs auch die Vielseitigkeit der Künstlerin bewundern. Sie sang sowohl Sopran- als auch Mezzopartien und verfügte über eine eindrucksvolle dramatische Durchschlagskraft jener Art, die man heutzutage bei den Wagnersängerinnen schmerzlich vermisst.

von Peter Sommeregger

Weder der glanzvolle Aufstieg zu einem internationalen Opernstar, noch die krankheitsbedingte Katastrophe am Höhepunkt ihrer Karriere war der Tochter eines Metzgers im australischen Städtchen Dean’s March nahe Melbourne an der Wiege gesungen worden, als sie dort am 17. Februar 1909, nach anderen Quellen 1907, geboren wurde.

Die Liebe zur Musik und speziell dem Gesang spielte aber schon früh im Leben der jungen Marjorie eine entscheidende Rolle. Als sie in einem Gesangswettbewerb den ersten Preis gewann, der mit einem Stipendium für ein Gesangsstudium in Paris verbunden war, nahm ihr Schicksal die entscheidende Wendung.

Unmittelbar nach dem Ende ihres Studiums trat sie bereits an den Opernhäusern von Monte Carlo und Lille auf, bevor ihr 1933 mit ihrem Engagement an die Pariser Oper der entscheidende Karriereschritt gelang. Die Ortrud im Lohengrin war in Paris ihre Antrittsrolle, die Opern Wagners sollten während ihrer gesamten Laufbahn eine zentrale Rolle spielen.

In diesen Jahren entstandene Schallplatten lassen uns einen großen, farbenreichen und höhensicheren Sopran hören. 1935 erfolgte ihr Engagement an die Metropolitan Opera in New York, wo sie fast ausschließlich im Wagner-Fach eingesetzt wurde, vereinzelt sang sie aber auch Salome, Tosca, Thais und Glucks Alceste. Aus dieser Zeit existieren Live-Mitschnitte der Walküre und Götterdämmerung, in denen sie als Brünnhilde, und ein Lohengrin, in dem sie als Ortrud zu hören ist. Ihre internationale Karriere war nun nicht mehr aufzuhalten, sie gastierte neben europäischen Opernhäusern auch häufig am Teatro Colon in Buenos Aires. Als sie 1941 den Arzt Dr. Thomas King heiratet, scheint ihr Leben endgültig perfekt zu sein.

Aber noch im selben Jahr bricht eine unerwartete Katastrophe über sie herein: Während eines Gastspiels in Mexico-City erkrankt sie plötzlich an Kinderlähmung und bricht während einer Probe zusammen. Sie kann ihre Beine nicht mehr bewegen und ihre Karriere scheint abrupt beendet zu sein. Glück im Unglück ist die Tatsache, dass Lawrences Ehemann Osteopath ist und unverzüglich mit einer intensiven Therapie beginnt. Diese und die offenkundige eheliche Harmonie bewahren Marjorie Lawrence vor einem Absturz in Depression und Verzweiflung. Langsam kämpft sie sich zurück ins Leben und denkt auch wieder über Auftritte nach.

Bereits 1943 ist sie zurück an der Metropolitan Opera und singt in einer speziell für sie eingerichteten Inszenierung die Venus im Tannhäuser, 1944 singt sie in einer ebenfalls ihre Behinderung kaschierenden Inszenierung zweimal die Isolde in New York. 1946 feiert sie erneut Triumphe in Paris, diesmal als Amneris in Verdis Aida. Die verwöhnte Pharaonentochter wird auf der Bühne von als Sklaven verkleideten Statisten in einer Sänfte getragen.

Neben ihren Opernauftritten entwickelt sie auch eine rege Konzerttätigkeit. Es wird eine besondere Vorrichtung für sie konstruiert, in der sie sogar aufrecht stehen kann und trotzdem sicher abgestützt ist. 1947 tritt sie so bei einer konzertanten Elektra in Chicago auf, davon existiert sogar ein kurzer Youtube-Clip. Parallel zu den Auftritten beginnt sie auch eine umfangreiche Lehrtätigkeit.

Im Jahr 1949 wird ihre Autobiographie unter dem Titel „Interrupted Melody“ veröffentlicht und erreicht hohe Verkaufszahlen. Mitte der 1950er-Jahre greift Hollywood den Stoff auf, die Biographie wird in leicht verkitschter Form mit Eleanor Parker und Glenn Ford verfilmt, die berühmte Sopranistin Eileen Farrell „doubelt“ Lawrence in den Gesangsszenen.

1952 zieht sich Lawrence von der Bühne auf ihre Ranch in Hot Springs in Arkansas zurück und stirbt am 13. Januar 1979 in Little Rock.

Hört man heute die gar nicht so wenigen überspielten Schellack-Platten, oder besser noch die existierenden Live-Mitschnitte, muss man neben der Schönheit und Sicherheit ihres Gesangs auch die Vielseitigkeit der Künstlerin bewundern. Sie sang sowohl Sopran- als auch Mezzopartien und verfügte über eine eindrucksvolle dramatische Durchschlagskraft jener Art, die man heutzutage bei den Wagnersängerinnen schmerzlich vermisst.

Peter Sommeregger, 27. April 2020, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

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Peter Sommeregger

Der gebürtige Wiener Peter Sommeregger (Jahrgang 1946) besuchte das Humanistische Gymnasium. Er wuchs im 9. Gemeindebezirk auf, ganz in der Nähe von Franz Schuberts Geburtshaus. Schon vor der Einschulung verzauberte ihn an der Wiener Staatsoper Mozarts „Zauberflöte“ und Webers „Freischütz“ – die Oper wurde die Liebe seines Lebens. Mit 19 Jahren zog der gelernte Buchhändler nach München, auch dort wieder Oper, Konzert und wieder Oper. Peter kennt alle wichtigen Spielstätten wie die in Paris, Barcelona, Madrid, Verona, Wien und die New Yorker Met. Er hat alles singen und dirigieren gehört, was Rang und Namen hatte und hat – von Maria Callas und Herbert von Karajan bis zu Ricardo Muti und Anna Netrebko. Seit 25 Jahren lebt Peter in Berlin-Weißensee – in der Hauptstadt gibt es ja gleich drei Opernhäuser, die er auch kritisch rezensiert: u.a. für das Magazin ORPHEUS – Oper und mehr. Buchveröffentlichungen: „‘Wir Künstler sind andere Naturen.‘ Das Leben der Sächsischen Hofopernsängerin Margarethe Siems“ und „Die drei Leben der Jetty Treffz – der ersten Frau des Walzerkönigs“. Peter ist seit 2018 Autor bei klassik-begeistert.de .

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