Foto: © Claudia Höhne
Elbphilharmonie Hamburg
21. Juni 2019
SWR Symphonieorchester
Dirigent Teodor Currentzis
Dmitri Schostakowitsch
Sinfonie Nr. 7 C-Dur op. 60 »Leningrader«
von Leon Battran
Dieser Applaus spricht für sich. Ehrfürchtiges Schweigen? Nicht hier und heute. Schostakowitschs „Leningrader“ Sinfonie ist gerade mit einem überwältigend gedehnten Schlussklang verklungen, da bricht sich die Begeisterung schon Bahn und das Publikum in der Elbphilharmonie feiert ein weiteres Highlight-Konzert mit Teodor Currentzis und dem SWR Symphonieorchester. Standing Ovations selbstredend inklusive.
Er ist ein Erfolgsgarant. Teodor Currentzis begeistert nicht erst seit gestern sowohl Massen als auch Kenner mit seiner unkonventionellen Art und seinen stets höchst ambitionierten Interpretationen von Klassikern. Das Außerordentliche scheint der griechisch-russische Dirigent zu seinem Standard zu machen. Entsprechend hoch liegen die Erwartungen.
Auch mit weniger leichter Kost wie Dmitri Schostakowitschs siebter Sinfonie vermochte sich der 47 Jahre alte Taktstockverweigerer, der in der aktuellen Saison Residenzkünstler der Elbphilharmonie gewesen ist, heute Abend erneut die Anerkennung des Hamburger Publikums zu sichern.
Was das SWR Symphonieorchester heute leistet, ist enorm. Schostakowitschs „Leningrader“ erklingt mit einer beeindruckenden Intensivität und Nähe. Dazu mit einer spielerischen Hingabe, dass man fast geneigt ist, von einer halbszenischen Aufführung der Sinfonie zu sprechen. Immer wieder bestreiten die Spieler einzelne Passagen im Stehen und sorgen für ein volles, großes Tutti.
In dieser Form besteht das Ochester erst seit 2016, mit der Zusammenführung der SWR-Orchester Stuttgart, Baden-Baden und Freiburg. Mit Beginn der laufenden Spielzeit übernahm Teodor Currentzis die künstlerische Leitung des neuen SWR-Vorzeige-Klangkörpers.
Kern des ersten Satzes der „Leningrader“ Sinfonie bildet ein ausgedehntes Marschthema mitsamt Militärtrommel. Diese „Boléro-Episode“ beginnt recht verhalten und steigert sich zum Schluss hin immer mehr bis ins Martialische hinein. Ob man diese Marschmusik mit den Schrecken des Krieges und der Invasion der deutschen Wehrmacht assoziiert oder ob man ihr gänzlich unvoreingenommen und unpolitisch-naiv gegenübersteht; ihrer Klanggewalt vermag man sich kaum zu widersetzen.
Wenn die Musiker dann plötzlich alle aufspringen, um noch energischer in die Saiten, Tasten und Klappen zu hauen und auch noch eine massive Blechfraktion hinzutritt, kann man umso mehr an Widerstand und Aufbegehren denken, an eine musikalisch formulierte Kundgebung, ganz gleich, an wen sie sich richtet. Dann ist die „Leningrader“ umso mehr eine „Antikriegsmusik“, in der sich der Geist der Revolution manifestiert. Pauken und Trompeten mal anders.
Demgegenüber stehen sanft schwebende Instrumentationen mit Harfe und Streicherpizzicato. Geradezu wohltuend und lindernd erscheinen die Piano-Stellen: Oboe und Englischhorn schließen im Moderato an die ätherischen Soli von Flöte und Geige aus dem Kopfsatz an. Besonders schön gelingt auch das Duett der zwei Flöten, in deren Mitte sich zeitweise die Klarinette schmiegt.
Ebenso breit wie der musikalische Spielraum dieser Sinfonie erscheint auch Currentzis‘ gestisches Repertoire. Mal genügt ihm ein Blick, ein Zucken oder ein Kopfnicken, er lässt sich aber auch mal zum wilden Luftgeigen oder zu einem eckigen Retro-Robotertanz hinreißen.
Zu Beginn des Marsches klinkt er sich sogar komplett aus. Das Orchester ist hier etwas zu sehr auf sich allein gestellt. Die Regel ist das aber nicht. Viel mehr ist das gegenseitige Vertrauen ersichtlich, das zwischen den Spielern und dem Dirigenten vorherrscht. Man mag Curretzis‘ Auftreten für exzentrisch halten, ein Teamplayer ist er gleichwohl.
Einen Namen gemacht hat sich Teodor Currentzis als künstlerischer Leiter der Oper Perm. Diese Stellung wird er bald aufgeben, wie gerade bekannt geworden ist. Seinen Posten als Chefdirigent des SWR Symphonieorchesters wird er aber weiterhin bekleiden. Aufführungen wie die heutige kann man sich auch in Zukunft nur wünschen.
Leon Battran, 22. Juni 2019, für
klassik-begeistert.de