Gustavo Gimeno, Foto: (c) Astrid Ackermann
Herkulessaal, München, Live-Stream am 22.01.2021
Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks
Leitung: Gustavo Gimeno
Solisten: Daniil Trifonov, Klavier; Martin Angerer, Trompete
Dmitrij Schostakowitsch: Konzert für Klavier, Trompete und Streichorchester Nr. 1 c-Moll, op. 35
Sergej Prokofjew: Symphonie Nr. 1 D-Dur – „Symphonie classique“
Igor Strawinsky: „Apollon musagète“
von Frank Heublein
Aufgepasst! Los geht es! So musikalisch ausrufend beginnt Dmitrij Schostakowitschs Konzert für Klavier, Trompete und Streichorchester Nr. 1 c-Moll, op. 35 mit einem Lauf des Klaviers, den die Trompete kontert. So werde ich hineingeworfen ins Stück.
Eindeutig ist es das Klavier, das Takt und Rhythmus vorgibt. Fließend elegant, das Orchester nimmt es auf. Das Klavier setzt einen ruhigen Takt, im Basketball nennt man das einen shot fake, einen angetäuschten Wurf. Es ist nur ein Takt, sofort nimmt das Klavier Geschwindigkeit auf in einem komplett neuen Rhythmus, aufwühlender, forsch und treibend und zieht das Orchester mit. Die Trompete stimmt mit ein.
Schon steht der nächste Rhythmuswechsel durch das Klavier an. Jetzt dunkel, trauermarschartig. So schnell finde ich mich nicht zurecht, so schnell begeben sich Klavier und Trompete hinein in eine marschmäßige Konversation. Die sich in dem Thema eines verspielten Laufs des Klaviers auflöst. Das Orchester beruhigt, das Klavier antwortet, lässt sich auf das Orchester ein, die Trompete triumphiert. Für einen Moment. Denn schon eilt das Klavier verspielt süffisant davon. In der verlangsamten Form wirkt das verspielte Thema nachdenklich, dunkel innehaltend, die Trompete untermauert diese Stimmung im Ende des ersten Satzes.
Düster suchend klingt für sich das Orchester. Es zieht das Klavier stimmungsmäßig in eine nach dem ersten Satz für mich unerwartete Nachdenklichkeit und Schwermut. Mit einem Hauch Dramatik. Das Orchester wirkt beruhigend. Innehaltend. Die Trompete nimmt das Thema auf, tröstend und Mut machend. Das Klavier schöpft zögernd Hoffnung, streckt die musikalischen Fühler aus, die Trompete antwortet. Zart, zerbrechlich, verletzlich klingt das Klavier für mich jetzt. Diesmal unterstützen die Streicher. Meine gefühlte Länge dieses zweiten Satzes ist kürzer als die des ersten, die gespielte Wirklichkeit ist eine andere.
Den dritten Satz beginnt das Klavier mit einem dunkel zart beginnenden Lauf, der sich verschnellert. Es klingt wacher, mutiger, auffordernd. Doch die Streicher bremsen dunkel. Das Klavier fragt sein Thema wieder aufnehmend zurück. Ein sehr kurzer dritter Satz, welcher nahtlos in den vierten übergeht.
Das Klavier nimmt Fahrt auf. Orchester und Klavier stacheln sich gegenseitig an, die Trompete versucht sich Gehör zu verschaffen und wird vom Klavier weggespielt. Seine Läufe kulminieren in Presto-Trillern, die jetzt die Trompete aufnimmt. Sie versucht, einen Marschrhythmus dem Klavier entgegenzusetzen.
Doch das Klavier lässt sich nicht bremsen, die Streicher jetzt ebenfalls aufgewühlt, nervös fast hektisch folgen sie dem wilden Lauf des Klaviers. Dem nur die Trompete noch zu folgen vermag. Wieder ist es das Klavier, das den Rhythmus kurz verlangsamt, musikalisch innehält und der Trompete – ich fühle es: endlich! den ersehnten Raum gibt, als führendes Instrument zu defilieren.
Verspielt antwortet das Orchester und zieht das Feierlich Prächtige ins Lächerliche. Das Klavier übernimmt wieder mit übermütigen Höchstgeschwindigkeitsläufen. Die Trompete offensichtlich beleidigt, bläst zum Angriff. Das Ende dieses Stücks ist ein kurzes musikalisches Presto-Gefecht mit dem Klavier.
Daniil Trifonovs grandiose virtuose Fähigkeiten werden offenbar, wie er diese abrupten Stimmungswechsel für mich greifbar macht. Martin Angerer an der Trompete mit dem deutlich kleineren Solopart glänzt im vierten Satz mit seinem prächtig feierlichen Klang.
Pause. Ich freue mich auf Prokofjews Symphonie Nr. 1. Doch merke zu Beginn doch gleich, das mich das aufwühlende Konzert Schostakowitschs Energie gekostet hat.
Haydnmäßige Überraschungsmomente, so gibt Prokofjew seine Orientierung an, wie es sich im Programmheft nachlesen lässt. Natürlich die Erkennungsmelodie der ZDF-Sendung Aspekte. Musikalische Energie verpufft ausladend im ersten Satz.
Der zweite Satz bringt mir persönlich Hoffnung, meine Konzentration aufrechtzuerhalten, sie war nicht die beste im ersten Satz. Streicher tragen ein helles zuversichtliches Thema vor. Es geht in ein hoppelndes Stakkato über, das alle Orchestergruppen durchläuft und von der Pauke aufgelöst wird. Von Neuem beginnen die Streicher mit dem Thema, die Flöte trillert sich in den Vordergrund. Das Thema setzt sich geradezu zur Ruhe.
Der dritte Satz ist ein kurzer tänzerischer, verspielter Walzer. Ein vergnügliches Intermezzo.
Den vierten Satz treiben die Streicher an, Blech interveniert, dann die Holzbläser. Leicht und agil. Die Pauken wummern die Musik voran. Schnelle Läufe der Flöten, ebenso schnelle der Streicher. Launig ist es und polkahaft ausgelassen. Besonders die aufgeregten Flöten höre ich immer wieder heraus.
Trotzdem muss ich zugeben, dass mir meine innere, aber auch die Spannung im Stück fehlt. Es ist ein Alarmmoment, wenn ich innerlich zu vergleichen anfange, denn dann bin ich nicht mehr im Stück. Dem für mich der letzte entscheidende Zug fehlt.
Die Ballettmusik von Igor Strawinsky „Apollon musagète“ für Streichorchester ist für mein Ohr dahinfließend, so ruhig, dass ich abschweife. Zumal es das längste der drei Stücke ist. Nach den beiden Stücken davor entwickle ich eine emotionale Langeweile. Ich wünsche mir, dieses Stück getanzt zu sehen.
Im Premier Tableau „Naissance d’Apollon“ wird ein bedächtiges Thema eingeführt, das im Second Tableau variiert wird. Fließend wie gesagt. Zuweilen wird das Sanfte durchbrochen. Folgen dunklere, getragene Passagen auf hellere, mutigere. Wenn Apollon auftritt, wird es einen Hauch majestätisch, würdig, zuletzt gar weihevoll. Richtig stark berührt mich das nicht.
Mein erster Versuch, einer Radioliveübertragung gerecht zu werden. Schwierig. Denn selbst mit Kopfhörer gelingt mir die Aufrechterhaltung der inneren Konzentration nicht.
Emotional wäre für mein Gefühl die umgedrehte Abfolge des Programms viel sinniger gewesen. Strawinsky, dann Prokofjew, dann Schostakowitsch. Immer mehr und differenziertere komplexere Emotion. So kann ich die für mich schwächer werdenden emotionalen Impulse nicht mehr wahrnehmen, die stärkeren der Stücke davor überlagern die nachfolgenden Stücke.
Meine innere Spannung hält sich nicht. Ursachen sehe ich in meiner Umgebung, dem „nur Ton“. Doch auch das Dirigat bei Prokofjew und Strawinsky überzeugt mich nicht gänzlich, es hat nicht den entscheidenden Spannungszug, der mich in der Musik hält. Energie konzentriert sich nicht, sie zerfließt. Es kommt mir vor, dass bei diesen beiden Stücken dem musikalischen Fluss alles andere untergeordnet wird, dadurch werde ich unaufmerksam, verliere meine Konzentration.
Auch das Zwischenprogramm während der Umbauphasen lenkt mich ab. Es ist für mich mühsam, ins nächste Stück zu finden. Kein Vorwurf, nichts oder Pausengemurmel wären kein adäquates Pausenprogramm im Radio. Doch schön wäre so etwas wie ein Pausengong für Menschen wie mich, die ihren eigenen Gefühls- und Gedankenwegen des Gehörten nachgehen wollen und mit dem Gong dann wissen, jetzt geht es weiter.
Frank Heublein, 24. Januar 2021, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at