Unsere Lieblingsoper (44): "Pelléas et Mélisande" von Claude Debussy

Unsere Lieblingsoper (44): „Pelléas et Mélisande“ von Claude Debussy

Foto: Olga Bezsmertna (Mélisande), Adrian Eröd (Pelléas), Wiener Staatsoper, Regie, Bühne und Licht: Marco Arturo Marelli. © Michael Pöhn

„Zornige sahst du flackern, sahst zwei Knaben
zu einem Etwas sich zusammenballen,
das Hass war und sich auf der Erde wälzte
wie ein von Bienen überfallnes Tier;
Schauspieler, aufgetürmte Übertreiber
rasende Pferde …

Nun aber weißt du, wie sich das vergisst:
denn vor dir steht die volle Rosenschale …“

aus Rilkes „Die Rosenschale“

von Lothar und Sylvia Schweitzer

Unlängst haben wir im Fernsehen einen Otello-Probeausschnitt mitbekommen. Sanguinisch-cholerisches Temperament war hier angesagt. Wir kennen die Arien mit Augenrollen – vor allem die von Männern gesungenen. Das Händeringen der Diven ist etwas aus der Mode gekommen. Aus voller Glut beginnenden Duetten können Weltbrände entstehen. Chorszenen können befreiend, aber auch bedrohlich wirken.

„Nun aber weißt du, wie sich das vergisst.“ Nicht dass es keine Leidenschaft bei Debussy gäbe, die sogar verhängnisvoll enden kann. Aber alles ist so ganz anders. Nach kurzem Aufbäumen der Musik die Stille, das nicht Ausgesprochene. Einzigartig. Noch nicht Erlebtes, um mit Rilkes Sprache dem Ausdruck zu verleihen.

Erst seit einigen Jahren beginnen wir über unsre Opernerlebnisse „Tagebuch“ zu führen. Unbewusst Ausgewähltes, Bruchstückhaftes hängt den früheren Erinnerungen an. Die immer schon gesammelten Besetzungszettel bieten wenig Hilfe.

Claude Debussy, Pelléas et Mélisande, Staatsoper Hamburg, 15. November 2019

Da ist einmal die „historische“ erstmalige Begegnung mit dem Werk zu nennen. Selbst das Datum hat sich nicht aus dem Gedächtnis gelöscht: Der 6. Januar 1962. Herbert von Karajan leitete die Premiere. Günther Schneider-Siemssen erschuf mit seiner Bühnenausstattung eine neue Ästhetik. Eberhard Waechter war als Golaud nicht wieder zu erkennen. Eine dunkel tönende Stimme, die bei seinem Don Giovanni abgegangen war. Hilde Güden galt als Idealbesetzung.

An Henry Gui, ein „Baryton-Martin“, wie man in Frankreich nach dem legendären Jean-Blaise Martin einen hohen Bariton nennt, kritisierte meine Mutter, als jahrelange Schülerin im Internat Notre Dame de Sion fast ein Native Speaker, eine undeutliche Artikulation. Nicola Zaccaria, Karajans langjähriger Hausbassist, zog als König Arkel das Resümee der traurigen Geschichte.

Nach fast zehneinhalb Jahren die Wiederbegegnung mit diesem Juwel der Opernliteratur in seiner 17. Aufführung dieser Inszenierung. Karajan hat nach der 8. Vorstellung für diese Oper den Taktstock aus der Hand gelegt und es darf nur mehr „nach einer Inszenierung von Herbert von Karajan“ heißen. Was hat sich in einem Menschenleben in dieser Zeit nicht alles verändert. Ich sehe vieles im Stück mit anderen Augen. Jeanette Pilou verzauberte jetzt als Mélisande.

Wieder vergehen fast zwölf Jahre. Dank der Intendanz von Helmut Wlasak feierte das Tiroler Landestheater am 31. März 1984 zweiundachtzig Jahre nach der Weltpremiere die Erstaufführung dieses Werks. Die Mélisande sang Doris Linser, Wienern wahrscheinlich kein Begriff.

Claude Debussy, Pelléas et Mélisande, Theater an der Wien in der Kammeroper, 26. Februar 2018

Dann kam im Jahr 1988 in Wien eine neue Inszenierung. Claudio Abbado dirigierte. Ich sehe noch die Szene vor mir, wie Mélisande und Pelléas hoch oben im Bühnenausschnitt am Brunnenrand sitzen, das Ganze vom tiefen Brunnenboden her gesehen. Der Szenograf war Yánnis Kókkos.

Im Jahr 1993 präsentierte das „Centre International de Créations Théâtrales“ die „Impressions de Pelléas“ nach „Pelléas et Mélisande“ von Claude Debussy und Maurice Maeterlinck im großen Saal des Odeon in der Leopoldstädter Taborstraße. Die SängerInnen nahmen um zwei Bösendorfer-Klaviere Aufstellung. Allmählich werden sie zu den Personen der Oper. Ein in Zukunft häufig nachgeahmter Regieeinfall.

Vier Jahre später war die Debussy-Oper im Programm der Salzburger Festspiele. Dirigent war Sylvain Cambreling. Für Regie, Bühne und Licht zeichnete Robert Wilson verantwortlich, der vor allem die Distanz betonte. Man wurde an Henry Moores Skulpturen erinnert, wo oft sogar eine Figur gespalten dargestellt wird. Die Aufführung verbinden wir mit Dawn Upshaw als Mélisande, die schon zu den Festspielen 1992 in Olivier Messiaens Oper „Saint François d´Assise“ mitgewirkt hatte.

Vom Großen Festspielhaus ins kleine Linzer Landestheater. Meine Frau Sylvia und ich reisten unsrer „Lulu“ und „Fiordiligi“ Christiane Boesiger und den von uns in einem Liederabend neu entdeckten Adrian Eröd, welche die Titelrollen sangen, in die Stadt der Linzer Klangwolke und des Brucknerfests nach.

Natalie Dessay (Mélisande) & Stéphane Degout (Pélleas)
© Armin Bardel

Im dritten Jahrtausend gab es zunächst im Theater an der Wien eine Neuproduktion. Magnet war dieses Mal für uns Natalie Dessay. Bertrand de Billy leitete als damaliger Chefdirigent sein Radio-Symphonieorchester Wien. Chantal Thomas baute ein konstruktivistisches Bühnenarrangement, Element Holz, auf.

Bei der bis heute nur von Juni bis Oktober 2017 neun Mal gespielten Neuinszenierung der Wiener Staatsoper ging uns das „Brunnenbild“ der letzten Inszenierung ab. Der bereits in Paris geborene Alain Altinoglu armenischer Abstammung war der berufene Interpret für Debussys feinsinnige Musik. Simon Keenlysides Stärken waren die inhaltlich dramatischen Seiten des Golaud. Adrian Eröd war die logische Besetzung für Pelléas. Olga Bezsmertna vervollständigte die tragische Konstellation. Die Inszenierung löste in uns keine Begeisterungsstürme aus. Ihr Wert liegt in der Demonstration, wie ein Werk des Fin de Siècle in das zweite Jahrzehnt des dritten Jahrtausends „synchronisiert“ werden kann.

Seither liegt Debussys wunderbare Oper im Haus am Ring wieder im Dornröschenschlaf.

Lothar und Sylvia Schweitzer, 9. August 2020, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

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Lothar Schweitzer ist Apotheker im Ruhestand. Gemeinsam mit seiner Frau Sylvia schreibt er seit 2019 für klassik-begeistert.de: „Wir wohnen im 18. Wiener Gemeindebezirk  im ehemaligen Vorort Weinhaus. Sylvia ist am 12. September 1946 und ich am 9. April 1943 geboren. Sylvia hörte schon als Kind mit Freude ihrem sehr musikalischen Vater beim Klavierspiel zu und besuchte mit ihren Eltern die nahe gelegene Volksoper. Im Zuge ihrer Schauspielausbildung statierte sie in der Wiener Staatsoper und erhielt auch Gesangsunterricht (Mezzosopran). Aus familiären Rücksichten konnte sie leider einen ihr angebotenen Fixvertrag am Volkstheater nicht annehmen und übernahm später das Musikinstrumentengeschäft ihres Vaters. Ich war von Beruf Apotheker und wurde durch Crossover zum Opernnarren. Als nur für Schlager Interessierter bekam ich zu Weihnachten 1957 endlich einen Plattenspieler und auch eine Single meines Lieblingsliedes „Granada“ mit einem mir nichts sagenden Interpreten. Die Stimme fesselte mich. Am ersten Werktag nach den Feiertagen besuchte ich schon am Vormittag ein Schallplattengeschäft, um von dem Sänger Mario Lanza mehr zu hören, und kehrte mit einer LP mit Opernarien nach Hause zurück.“

Lothar und Sylvia Schweitzer

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