Fotos im Beitrag: © Raphaël Faux / Gstaadphotography.com
„Einer ist heute fantastisch und das ist Erwin Schrott. Sein „Cinta di fiori“ im 2. Akt ging unter die Haut. Das war Belcanto vom Feinsten. Das Gstaader Puritani-Publikum wusste dies zu schätzen und spendete dem 48-Jährigen langen und begeisterten Szenenapplaus.“
Gstaad Menuhin Festival & Academy
Festival-Zelt Gstaad, 28. August 2021
Vincenzo Bellini, „I Puritani“
von Leon Battran
Manchmal braucht es nicht viel für ein gelungenes Konzerterlebnis. Ein kleiner Kirchenraum und ein leidenschaftlicher Künstler können vollends genügen und jede opulente Ausstattung überflüssig machen. Und manchmal darf es eben auch etwas üppiger zugehen, mit großem Orchester, Chor und hochkarätigem Solistenensemble. Beim Gstaad Menuhin Festival gab es sowohl das eine als auch das andere zu erleben und der Kontrast konnte kaum größer sein zwischen dem intimen Kirchenkonzert mit dem Pianisten Nicolas Namoradze am Vormittag und der großen konzertanten Opernaufführung von Bellinis „I Puritani“ am Abend.
Es ist die letzte Oper aus der Feder Vincenzo Bellinis und gilt als ein Hauptwerk der Belcanto-Ära. „I Puritani“ erzählt eine verwicklungsreiche Liebesgeschichte inmitten von englischen Bürgerkriegswirren. Aus heutiger Sicht würde sich das Geschehen genretechnisch irgendwo zwischen Historiendrama und Seifenoper verorten lassen. Elvira, Tochter des puritanischen Gouverneurs, glaubt sich von ihrem Geliebten Arturo vor der Hochzeit verlassen und verliert darüber den Verstand. Am Schluss wendet sich alles zum Guten, Elvira findet sowohl ihren Geliebten als auch ihren Verstand wieder.
Musikalisch ist Bellinis letztes Bühnenwerk aber alles andere als weichgespült. Seine ausgefeilten Orchesterklangfarben lassen aufhorchen, sein Einsatz des Chors setzt dramatische Akzente. Und auch der für Bellini so typische Melodienreichtum, der unmittelbar die Sinne anspricht und alles andere vergessen macht, ist hier großzügig vorhanden.
Dabei schien diese konzertante Aufführung zunächst unter keinem guten Stern zu stehen, hatten doch sowohl Lisette Oropesa als auch Javier Camarena, die für die Hauptpartien Elvira und Arturo vorgesehen waren, zuvor kurzfristig absagen müssen. Glücklicherweise konnten kurzerhand die tschechische Sopranistin Zuzana Marková und der italienische Tenor Francesco Demuro für die Produktion gewonnen werden.
Eine weitere Schwierigkeit lag in den akustischen Voraussetzungen vor Ort. Weil im Festivalzelt nur 900 anstatt der im Normalfall üblichen 2000 Personen zugelassen waren, war auch der Raumklang anders als gewohnt, etwas distanzierter, etwas indirekter, ein bisschen wie mit Mikrophon, obwohl von einer technischen Verstärkung glücklicherweise abgesehen worden war.
Trotzdem kamen die Opernfans in Gstaad auf ihre Kosten. Das Orchestre de la Suisse Romande brachte unter der präzisen Stabführung von Domingo Hindoyan einen sehr dynamischen nicht zu üppigen Orchesterklang zur Entfaltung und die Sängerinnen und Sänger boten ihre Rollen mit einer Hingabe und Spielfreude dar, die dieser konzertanten Aufführung Esprit und Glaubwürdigkeit verlieh.
Trotz der spontanen Zusammenkunft verkörperten Zuzana Marková und Francesco Demuro als Elvira und Arturo ein überzeugendes Liebespaar. Marková mit klarem, rund und voll klingendem Sopran, der keinen der geforderten Spitzentöne schuldig blieb, Demuro mit schönem Tenorton, gleichfalls mit viel Farbe, jedoch vor allem in den hohen Lagen etwas zu gepresst.
Dem Bariton George Petean gelingt es als Riccardo zwar nicht, das Herz seiner angebeteten Elvira zu gewinnen, dafür hat er das Publikum auf seiner Seite und vermag vor allem durch seine sicheren Höhen zu überzeugen. Außerdem sind Antonio di Matteo (Bass) und Patrizio Saudelli (Tenor) als Gouverneur und Offizier der Puritaner zu hören, während Annalisa Stroppa die gefangene Königin verkörpert und der überwiegend männlichen Cast ihren wohlklingenden Mezzosopran entgegensetzt.
Einer ist heute fantastisch und das ist Erwin Schrott. Kernig und stimmstark von unten bis oben und vom Anfang bis zum Ende, dabei stets textverständlich und sauber, präsentierte sich der Bassbariton aus Montevideo, Uruguay, als Traumbesetzung für Elviras Onkel Giorgio. Sein „Cinta di fiori“ im 2. Akt ging unter die Haut. Das war Belcanto vom Feinsten. Das Gstaader Puritani-Publikum wusste dies zu schätzen und spendete dem 48-Jährigen langen und begeisterten Szenenapplaus. Dieses Repertoire steht ihm ausgezeichnet zu Gesicht, daran ließ Erwin Schrott an diesem Abend keinen Zweifel.
Leon Battran, 3. September 2021, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
CD-Besprechung, Vincenzo Bellini, I Puritani klassik-begeistert.de
Maria João Pires, Rezital, Gstaad Menuhin Festival & Academy, 27. August 2021