Intimes Farbenspiel – Maria João Pires füllt die Kirche Saanen mit Wohlklang

Maria João Pires, Rezital,  Gstaad Menuhin Festival & Academy, 27. August 2021

Die Pianistin Maria João Pires in der Kirche Saanen.
Fotos im Beitrag: © Raphaël Faux / Gstaadphotography.com

„Wenn Klangfarben zu Emotionen werden und Emotionen zu Gemütszuständen, dann ergibt das ein Konzert mit Wohlfühlfaktor, mit Geborgenheitsgarantie. Ein Konzert, wie man es wohl nur in Gstaad erlebt.“

Gstaad Menuhin Festival & Academy
Kirche Saanen, 27. August 2021

Rezital: Maria João Pires, Klavier

von Leon Battran

Langsam kehrt im Kulturbereich wieder „Normalität“ ein. So auch im schweizerischen Gstaad, wo zurzeit im Rahmen des Menuhin Festivals zahlreiche Konzerte mit internationalen Topsolisten und vielversprechenden Nachwuchskünstlern zu erleben sind – mitten in der Bergwelt des Berner Oberlandes. Normalität in Anführungsstrichen; nicht weil das Publikum ordnungsgemäß maskiert in den nur zur Hälfte besetzten Kirchen der Region Einzug hält, sondern vielmehr weil sich diese wiedererlangte Normalität des gemeinsamen Musikerlebens in Gstaad auf beste Weise mit dem Außergewöhnlichen mischt.

Das trifft insbesondere dann zu, wenn sich die Pianistin Maria João Pires für ein Rezital in der Kirche Saanen angekündigt hat. Wenn Sie mit Musik von Schubert, Debussy und Beethoven klassische, romantische und impressionistische Klangfarben sorgsam miteinander verwebt. Wenn Klangfarben zu Emotionen werden und Emotionen zu Gemütszuständen, dann ergibt das ein Konzert mit Wohlfühlfaktor, mit Geborgenheitsgarantie. Ein Konzert, wie man es wohl nur in Gstaad erlebt.

Schuberts Klaviersonate Nr. 13 A-Dur klingt nach Herzklopfen, nach Freiheit und Unbefangenheit. Ebenso wissend wie intuitiv nähert sich Maria João Pires dem liedhaft anmutenden ersten Satz, verleiht diesem Allegro moderato einen Anstrich von geliebter Erinnerung, naiv und abgeklärt zugleich. Aber auch eine gewisse Melancholie klingt hier bereits an, die in dem nachfolgenden Andante zum vorherrschenden Gefühlston werden wird.

300 Konzertgäste wohnen dem in der Kirche Saanen bei (in die für gewöhnlich bis zu 750 Personen hineinpassen) und lassen sich an die Hand nehmen und zum Träumen verleiten von der 1944 in Lissabon geborenen Pianistin und Philanthropin, die ihrem Publikum so großes Vertrauen und Zuwendung schenkt. Eine Zuwendung, die sich nicht ostentativ in großen Gesten äußert, sondern die in der Intimität ihrer Interpretation liegt, wie in dem hochromantischen und bittersüßen Andante, das, obgleich in D-Dur notiert, doch beinahe notorisch immer wieder die Mollbereiche aufsucht.

Erst im finalen Allegro weicht die Melancholie neuer unbekümmert sprudelnder Leichtigkeit. Das temporeiche Spiel lässt die 77-Jährige brillant und kurzweilig über die Tastatur perlen, entlässt ihr Publikum schließlich mit einem lachenden Auge aus diesem Schubert.

Wenn dann Debussys Suite bergamasque folgt, scheint das nur allzu passend, nimmt diese doch den Faden auf, steigert die stetig wechselnden Schubertschen Schattierungen und Emotionstöne zum opulenten Farbenspiel, das in der Kirche Saanen den passenden Raum findet, sich anheimelnd zu entfalten.

Da klingt das bekannte und oft gehörte Clair de lune plötzlich ganz anders als gewohnt, weniger nach Mondschein, mehr nach Kerzenlicht, warm und weich, aber niemals „soft“ oder kitschig. Dazu gesellt sich ein Geräuscheln von Stoff, der gegeneinander reibt, von Dielen und Holzbänken, die unter den Gästen knarren. Das stört weniger, als es den samtpfotigen Klavierklang, den Maria João Pires ihrem Instrument entlockt, untermalt wie das leise Rauschen den Ton auf einer alten Schallplatte.

Ja, und dann war da noch die letzte von Beethovens 32 Klaviersonaten; wenn man so will, das Fazit aus dem „Neuen Testament der Klavierliteratur“, von Beethoven in nur zwei Sätzen formuliert, indem er einem paranoid ruhelosen Allegro eine berückend sangliche Arietta gegenüberstellt.

Maria João Pires meditiert, versenkt, ja vergräbt sich noch einmal ganz tief in ihr Instrument, lässt Beethovens Musik fließen, strömen, fördert sie zutage wie einer der zahlreichen Brunnen im Saanenland das Bergquellwasser. Und mehr braucht es nicht an diesem Abend. Mehr kann es nicht geben.

Es regnet wohlverdienten enthusiastischen und sehr herzlichen Applaus. Viele Leute stehen auf oder bleiben sitzen, um mit den Füßen zu trappeln. Im Gesicht von Maria João Pires leuchtet Dankbarkeit, ein kleinwenig verlegen nimmt sie die überschwängliche Anerkennung an. Sie verabschiedet ihr Publikum mit Debussys Arabesque Nr. 1. Noch einmal legt sie den Clair de lune-Gang ein, noch einmal gehen alle Lauscher weit auf und noch einmal breitet sich pures Wohlgefühl aus.

Leon Battran, 30. August 2021, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

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Ein Gedanke zu „Maria João Pires, Rezital,
Gstaad Menuhin Festival & Academy, 27. August 2021“

  1. Kann mir gut ausmalen, wie sie den 2. Satz gespielt hat. Höre gerade eine Aufnahme. Allerdings von Geza Anda. Himmlisch, beruhigend und aufbauend zugleich.

    Denke, Pires hat ähnliche Anlagen. Kenne ihre Mozart-Aufnahmen. Die liebe ich.

    Jürgen Pathy

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