Christian Thielemann © Marco Borrelli
Ein großes Glück war es, dass es die Grafenegger Festival-Intendanz genau am 200. Geburtstag von Anton Bruckner schaffte, die Wiener Philharmoniker unter dem großartigen Christian Thielemann für ein Konzert zu gewinnen. Neben Robert Schumanns „Frühlingssymphonie“ hörte man des Geburtstagskinds erste Symphonie; ein Werk mit einer sehr bewegten Vergangenheit.
Konzert am 4. September 2024 im Wolkenturm, Grafenegg
Robert Schumann: Symphonie Nr. 1 in B-Dur op. 38 „Frühlingssymphonie“
Anton Bruckner: Symphonie Nr. 1 in c-moll (Wiener Fassung)
Wiener Philharmoniker
Dirigent: Christian Thielemann
von Herbert Hiess
So nebenbei muss man sich allerdings fragen, warum es keiner der Wiener Intendanten für notwendig hielt, an diesem speziellen Jubiläumstag des oberösterreichischen Komponisten zu gedenken. Also musste man nach dem ca. 60 km nordwestlich von Wien gelegenen Grafenegg pilgern, um die aktuelle Idealkombination Wiener Philharmoniker / Christian Thielemann erleben zu können.
Thielemann und das Meisterorchester ließen eine unvergessliche Wiedergabe dieser interessanten Symphonie hören. Der deutsche Maestro war bis jetzt immer für eher sehr weiche Interpretationen der deutschen Romantik bekannt. Hier in Grafenegg überraschte er mit harten und unnachgiebigen Akzenten und Rhythmen. Das Spitzenorchester folgte ihm auf jeden Schlag mit Begeisterung.
Wieder auf höchstem Niveau die diversen Solisten; allen voran die drei Flöten im zweiten Satz (Adagio), die gegen Schluss schon fast in „Lohengrin’sche“ Himmelssphären vordrangen.
Anton Bruckner führte diese Symphonie 1866 in Linz das erste Mal auf und ließ sie dann einige Zeit liegen. Nach der Fertigstellung der 7. Symphonie überarbeitete er seine erste und führte sie dann 1891 in der Wiener Fassung auf.
Diese, in Grafenegg gespielte Wiener Fassung zeigte trotzdem allzu stark, dass die vorangegangenen sieben Symphonien dann doch nicht so viel Einfluss hatten. Irgendwie klingt das Werk (vor allem der letzte Satz) sehr zerrissen; Thielemann konnte das letztendlich zu einem Ganzen fügen – aber andererseits war es gut, dass Bruckner der Wiener Fassung den Grundcharakter ließ.
Ganz anders die „Frühlingssymphonie“ von Schumann. Rechtzeitig zu Herbstbeginn hörte man die Wiener Philharmoniker hier bei einer der besten Aufführungen seit langem; Leonard Bernstein war der letzte, der dieses (zugegebenermaßen schwieriges Werk) auf diesem Niveau aufführte.
Auch hier hörte man Thielemann seit langem mit scharfen und mitreißenden Akzenten und Einschüben, die jedoch niemals aufgesetzt wirkten. Dann kamen wieder ganz zarte und fast unhörbare Passagen wie beispielsweise der Posaunenchoral am Ende des zweiten Satzes.
Insgesamt ein seltenes Spitzenkonzert, wo man der Intendanz fast dankbar sein muss, dass sie Konzerte auf diesem Niveau hier erklingen lässt und vor allem am Jubiläumstag den Komponisten mit den Wiener Philharmonikern unter Thielemann.
Und fragen muss man sich trotzdem nochmals, warum Wien den 4. September so ignorierte; Anton Bruckner hat viele Jahre seines Lebens in der Kaiserstadt verbracht.
Herbert Hiess, 4. September 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at