Foto: Wolkenturm Grafenegg © Alexander Haiden
Grafenegg-Festival, 27. – 30. August 2020
von Herbert Hiess
Positive Ereignisse findet man auch während der Corona-Krise – vor allem in Grafenegg. Das Team um Rudolf Buchbinder hat offenbar mit „Knochenarbeit“ ein den Umständen entsprechendes ambitioniertes Programm gestaltet. Und man erlebt als Konzertbesucher Veranstaltungen, die es unter „normalen“ Umständen niemals gegeben hätte.
Im jährlichen Festival von Mitte August bis Anfang September sind jedes Mal internationale Orchester und Ensembles zu Gast in dem wunderschönen Schlossgelände am Wagram (Anm.: Bezeichnung der Region am Kamp in Niederösterreich). Der Not gehorchend hat man auf nationale Orchester und teilweise auch auf Künstler zurückgegriffen, die man wahrscheinlich so niemals dort gehört und gesehen hätte.
Da war einmal die Kombination Niederösterreichische Tonkünstler und Fabio Luisi. Einigermaßen interessant, dass der ehemalige Chef der Wiener Symphoniker das Residenzorchester des Festivals dirigierte. Das Programm erschien vielleicht auf dem Papier „konventionell“; Luisi machte daraus ein Erlebnis und zeigte sogar noch unfreiwillig, was für ein Profi er ist.
Im Violinkonzert in A-Dur von Mozart (das mit dem berühmten türkischen Marsch im Finalrondo) unterbrach plötzlich die Münchner Geigerin Arabella Steinbacher offenbar wegen Stimmungsprobleme den ersten Satz, worauf Luisi nach neuerlicher Stimmung der Geige ganz locker wieder fortsetzte.
Frau Steinbacher ist eine interessante Geigerin mit einem blitzsauberen aber jedoch kühlen Spiel. Sie ist sehr virtuos, was sie auch mit der extrem schwierigen Zugabe bewies (4. Satz aus der 2. Violinsonate von Eugene Ysaÿe). Jedoch der Mozart hätte weit mehr Sentiment und Emotion vertragen.
In der Zweiten Brahms brillierte das Orchester aufs Allerfeinste und bewies neuerlich, wie sehr die Niederösterreicher doch vom Dirigenten abhängig sind. Mit Leuten wie beispielsweise Krysztof Urbanski und eben Fabio Luisi sind diese Musiker geradezu zu Höhenflügen fähig.
Mit dem nächsten Konzert begann der Symphonikerblock, wo als Dirigent Manfred Honeck werkte. Der ehemalige Bratschist der Wiener Philharmoniker (so wie unlängst auch der Ex-Philharmoniker Sascha Götzel bei den Tonkünstlern) interpretierte hier das Klavierkonzert in F von Gershwin und Antonin Dvoráks Achte Symphonie.
Grafeneggs Intendant Rudolf Buchbinder interpretierte das Klavierkonzert auf gewohnt exzellente Weise. Das Werk mit vielen Blues- und Jazzelementen wurde von Honeck äußerst knallig serviert; manchmal so knallig, dass man das Klavier an den Tuttistellen nicht mehr hörte.
Dvoráks Achte ist ein Werk, das Honeck öfters als Bratscher mit Herbert von Karajan spielen konnte – es ist auch ein Stück, dass ihn auf seiner ganzen Karriere begleitete. Schon als Assistent von Claudio Abbado dirigierte er die Symphonie mit dem Gustav-Mahler-Jugendorchester im Jahre 1990 im Wiener Konzerthaus.
Und man hat den Eindruck, dass Honeck noch immer nicht wirklich einen Zugang zu dem Werk hat. Im ersten Satz versuchte er, durch oft unlogische Rubati und Verzögerungen dem Werk einen speziellen Anstrich zu verabreichen. In Wirklichkeit führte das oft zu unsauberen Einsätzen (vor allem bei den Holzbläsern) und zur Verunsicherung der Musiker. Wobei ab dem zweiten Satz das Orchester dann viel gelöster war und daraus eine anständige Aufführung wurde. Vor allem die Zugabe (1. Ungarischer Tanz von Johannes Brahms) war dann eine richtige Erleuchtung.
Am Folgetag stellte sich dann richtig Wehmut ein – denn da war das Abschiedskonzert von Philippe Jordan als Chef der Symphoniker. Und er bewies einerseits, wie wichtig ein Dirigent fürs Orchester ist und andererseits, was Grundmusikalität heißt.
In einem reinen Richard-Strauss-Programm zelebrierte er die wunderbare Musik des ehemaligen Operndirektors. Dass Jordan „Don Juan“ und „Eulenspiegel“ großartig macht – daran besteht kein Zweifel. Aber die „Rosenkavalier“-Suite allein machte das ganze Konzert zu einem Ereignis. Man merkte, dass das Orchester ihm jeden Wunsch von den Augen und Händen abliest. Egal, ob die großen Orchesterstellen oder die kammermusikalischen Passagen. Die orchestrale Version des Schlussterzetts „Hab‘ mir gelobt“ in der Interpretation von Jordan führte die Musik zum meditativen Stillstand. Ein großes Versprechen von ihm, das zeigt, was man von ihm als Generalmusikdirektor in der Wiener Staatsoper erwarten kann.
Die organisatorischen Wirren um die Krise führten zu einem Konzerttermin, den man unter „normalen“ Umständen wahrscheinlich nie in Grafenegg erlebt hätte. Es gab nämlich eine Operngala mit Anna Netrebko und Yusif Eyvazov unter der Leitung der Dirigentin Speranza Scappucci. Offenbar durch Probenmangel und teilweise auch wegen ihrer öfters aufkommenden Hektik bemerkte man manchmal kräftige Unsauberkeiten (vor allem in der Einleitung der Elisabetta-Arie aus „Don Carlos“).
Anna Netrebko hat sich wieder als der Weltstar bewiesen, der sie momentan unangefochten ist. Mit ihrem strahlenden Sopran, den blitzsauberen Höhen, ihrer gewaltigen Präsenz macht sie aus jeder Arie ein Erlebnis. Ihr Mann Yusif war natürlich auch mit von der Partie, wobei es ungerecht ist, ihn als „Anhängsel“ der Sängerin zu betrachten. Er hat eine interessante Stimme und ist ständig auf eine intensive Interpretation bedacht. Sein „Manko“ ist ein etwas kehliger Tenor, der doch monochrom wirkt. Ob im Piano oder im Forte – seine Stimme klingt immer irgendwie gleich.
Netrebko und Eyvazov feiern Eheglück in concert Salzburger Festspiele 2020
Zweimal konnte man das Paar im Duett bewundern; erst in Curtis‘ „Non ti scordar“ und dann im Duett Butterfly/Linkerton (leider da nur die zweite Hälfte). Und dann noch in der Zugabe das allgegenwärtige Trinklied aus „La Traviata“. Frau Netrebko hörte man noch in einer wunderbaren Tosca-Arie, der bezaubernden „Mond-Arie“ aus „Rusalka“ (mit einer unverständlicherweise gestopften Trompete als Störgeräusch).
Als Orchesterstücke gab es eine mitreißende Ouvertüre von Verdis „Nabucco“, das Intermezzo aus Mascagnis „Cavalleria Rusticana“ (das ohne Orgel richtig „kastriert“ klang) und das Intermezzo aus Puccinis „Manon Lescaut“.
Ein großartiges Konzert und ein superber Abschluss des Symphoniker-Blocks, der mit etwas mehr Vorbereitung orchestral noch weit besser hätte klingen können.
Herbert Hiess, 31. August 2020, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Piotr Beczala, Tonkünstler-Orchester Niederösterreich, Sascha Goetzel, Grafenegg, 20. August 2020
Konzert am 27. August 2020
Arabella Steinbacher und das Tonkünstler-Orchester
Wolfgang Amadeus Mozart: Konzert für Violine und Orchester in A-Dur KV 219
Johannes Brahms: Symphonie Nr. 2 in D-Dur op. 73
Tonkünstler-Orchester Niederösterreich
Arabella Steinbacher, Violine
Fabio Luisi, Dirigent
Konzert am 28. August 2020
Manfred Honeck und die Wiener Symphoniker
George Gershwin: Konzert für Klavier und Orchester in F
Antonín Dvorák: Symphonie Nr. 8 in G-Dur op. 88
Wiener Symphoniker
Rudolf Buchbinder, Klavier
Manfred Honeck, Dirigent
Konzert am 29. August 2020
Philipp Jordan und die Wiener Symphoniker
Richard Strauss:
„Don Juan“ Tondichtung op. 20
„Till Eulenspiegels lustige Streiche“ Tondichtung op. 28
Suite aus der Oper „Der Rosenkavalier“
Wiener Symphoniker
Philippe Jordan, Dirigent
Konzert am 30. August 2020
Anna Netrebko und Yusif Eyvazov
Werke von Giuseppe Verdi, Antonín Dvorák, Pietro Mascagni, Ernesto de Curtis und Giacomo Puccini
Wiener Symphoniker
Anna Netrebko, Sopran
Yusif Eyvazov, Tenor
Speranza Scappucci, Dirigentin