Salzburger Festspiele 2024/ Wolfgang Amadeus Mozart, Don Giovanni © Monika Rittershaus
Man of the night. Bei Teodor Currentzis zählt jede Phrase, jede Note. Das spürt man die ganzen drei Stunden lang. Regisseur Romeo Castellucci hat ihm auch einen „Don Giovanni“ ausgebreitet, der einem ästhetischen Gesamtkunstwerk gleicht. Himmel oder Hölle, die Macht übers ganze Universum – nichts Geringeres verhandelt man in Salzburg. Buh gibt’s dafür auch, eine Seltenheit bei Currentzis.
Wolfgang Amadeus Mozart, Don Giovanni
Salzburger Festspiele, Großes Festspielhaus, 11. August 2024
von Jürgen Pathy
„Mit jeder Faser seines Körpers…“ – viel mehr ist von den Wortfetzen nicht mehr zu vernehmen. Dass man von Teodor Currentzis spricht, liegt aber auf der Hand. Rund 2200 Festspielgäste haben sich dasselbe gedacht: Heute „gemma“ Currentzis schauen! Ausverkauft – hätte man ruhig ein Schild vors Große Festspielhaus in Salzburg hängen können. Drinnen geht’s rund. Da fällt fast der Himmel von der Decke.
Castelluccis Glaubenskampf
Bei Romeo Castellucci wird nämlich mehr verhandelt, als nur Herrscher, Diener oder Großer Bruder, kleiner Bruder. In Salzburg steht das ganze Christentum auf dem Spiel. Da geht’s um Himmel oder Hölle, Gut oder Böse – wer behält die Oberhand am Ende. Nachdem der Beelzebub höchstpersönlich eine Spur der Verwüstung in einer Kathedrale hinterlässt. Erst lacht man noch über die anscheinend belanglosen Einfälle, die Castellucci auf die Bühne gestellt hat. Ein lebendiger Ziegenbock, der eine Feuerspur nach sich zieht. Kreuze, die in Sicherheit gebracht werden. All das zieht bereits während der ersten paar Minuten an einem vorbei. Da hat die Ouvertüre noch gar nicht begonnen.
Das Lachen bleibt einem aber bald im Hals stecken. Bei genauer Analyse ist das die Vorhut des Bösen, des Teufels, der in Don Giovanni seine Reinkarnation findet. Davide Luciano hat der sich ausgesucht. Eine charmante, lebendige Verführer-Stimme, die durch die „Champagnerarie“ rast, als gäb’s kein Morgen mehr.
Ganz in Weiß
Als Diener, Kumpel oder was auch immer – ganz offenbart sich das hier nicht – steht ihm Kyle Ketelsen zur Seite. In Wien kennt man ihn als Don Giovanni, in Salzburg hat man ihn nun „degradiert“. Könnte man meinen. Nix da, die Ansprüche an die Stimme sind beim Leporello um ein gehöriges Maß höher angesiedelt. Im weißen Maßanzug streift Ketelsen umher, lässt mit kräftiger Baritonstimme alle Hürden hinter sich, und lässt Donna Elvira während der „Registerarie“ ganz schön blöd aus der Wäsche schauen.
„In Italien 640, in Almagna 231…“ – jaja, eine Unzahl an Frauen hat dessen Herr schon verführt. Klein oder groß, dick oder dünn, keinen Rockzipfel lässt Don Giovanni aus. Das drückt Castellucci einem auch direkt aufs Auge. Rosarot gefärbt sind die Kostüme der Missbrauchten oder Verführten – teils Minderjährige, teils fortgeschrittenen Alters. Fast die einzigen Farbkleckse übrigens, die Castellucci bei dieser Salzburger „Fête Blanche“ erlaubt.
Dort stellt sich Donna Elvira umsonst an, obwohl man Federica Lombardi eine zweite Chance schon gönnen sollte. In Wien hatte sie sich bislang nicht mit Ruhm bekleckert. Currentzis aber, der schafft es, die junge Italienerin aus der Reserve zu locken. So viel Fluss, so viel Hingabe und auch den Funken Eros, hatte sie sonst bislang vermissen lassen. In Salzburg lässt sie endlich mal die Hüllen fallen. Genauso wie vor Don Giovanni, mit Ehering womöglich, zwei Kleinkinder gleich im Schlepptau. Nun ist sie die Gehörnte.
Die Macht der Bad Boys
Bei Castellucci stellt sich auch die Frage nicht, ob Donna Anna dem Charme Giovannis verfallen ist. Natürlich, kurz bevor der ihren Vater ermordet, spreizt auch sie mal kurz die Beine. Als Holzpuppe symbolisiert das Castellucci, die im Hintergrund in Missionarsstellung den Akt vollführt. Nadezhda Pavlova ist halt zu verlockend. Eine Stimme, die in Belcanto-Manier nach Rache sehnt, aber auch nicht frei von Sünde ist. Sie üben halt einen enormen Reiz aus, die bösen Jungs, die Outlaws, die Gottlosen.
Bestätigt auch Teodor Currentzis, bevor er im Dunkel der Salzburger Nacht verschwindet: „You know, that’s the weird thing. People always have sympathy with the bad guys, the good guy is always the loser“. Einen tieferen Sinn sieht er in Don Ottavios Verwandlungsparcours nicht. Mal Priester, mal Kaiser, dann ein Clown, der mit schottischer Fahne zum Aufstand ruft. Den ignorieren aber alle. Die Tagesform von Julian Prégardien hält sich auch in Grenzen.
Der Currentzis-Effekt
Um die muss man sich bei Currentzis nicht sorgen. Dass der in Salzburg aber noch auf der Bühne steht, ist ein großer Glücksfall. Im Rest des Landes hat man ihm die Türen versperrt. Griechen ja, aber mit russischem Pass und Financiers dort: ein No-Go. Mussten auch die Olympioniken in Paris zur Kenntnis nehmen. Schade, denn Currentzis feiert in Salzburg ein Sängerfest. Eins auf historischen Instrumenten, auf denen das „Utopia“-Orchester Kammermusik vom Feinsten liefert.
Zum Meckern gibt’s sonst nicht viel. Außer, dass Currentzis phasenweise auf den Schönklang verzichten könnte. Um Kontraste zu setzen. Vor allem, weil sich die weiße Monotonie von Castelluccis Gesamtkunstwerk irgendwann auch totläuft. Kontraste im Graben, wären da eine Option.
Jürgen Pathy (klassikpunk.de), 12. August 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Don Giovanni, Wolfgang Amadeus Mozart Wiener Staatsoper, 17. Januar 2024
Wolfgang Amadeus Mozart „Don Giovanni“ Valencia/Palau de les Arts Reina Sofía, 7. März 2023
Ein interessanter Hinweis zu fehlenden „Kontrasten im Graben“. Danke!
Ich musste bzw. durfte in den letzten Wochen circa 12 Aufnahmen des wüsten Dons vergleichen, nachdem meine alten Harnoncourt-CDs sich mit technischen Defekten leider verabschiedet hatten.
Currentzis war zwar bei den besseren Interpretationen dabei, aber nach meinem Dafürhalten zu undifferenziert in den Tempi und damit auch bei dem dramatischen Impetus.
Die Champagnerarie etwa nimmt bei hohem Tempo keinen Schaden, Ouverture und Höllenfahrt dagegen sehr. Was bei Harnoncourt mitunter noch etwas zu brachial bei den Wechseln klang, wird bei Currentzis zu einer wie mit dem Metronom erarbeiteten, zu einheitlichen Rhythmik. Gut, aber nicht ideal.
Rodrigo
Lieber Herr Rodrigo,
das scheint generell seine Linie bei Opernproduktionen. Kontraste etwas vermissen lassen, meine ich. Ist schon beim konzertanten Da-Ponte-Zyklus im Wiener Konzerthaus aufgefallen.
Das dürfte durchaus Plan sein. In Salzburg, um die Inszenierung von Castellucci zu unterstreichen. Die wirkt in Summe wie ein Gottesdienst. Metaphysisch, gespenstisch, fast schon out of this world. Da wollte Currentzis womöglich nicht zu viel dazwischen grätschen. Damit ließe es sich zumindest begründen.
Seine wahre Größe spielt er sowieso beim symphonischen Repertoire aus. Deshalb war es ein Schlag ins Gesicht, als man ihn beim SWR Symphonieorchester als Chef abgesetzt hat. Seine Fähigkeiten und der Klang des Orchesters – das ist ein Glücksfall, eine perfekte Kombination für Mahler & Schostakowitsch.
Jürgen Pathy
Vielen Dank für Ihren Hinweis auf die Symphonik, Herr Pathy.
Rodrigo