Musikalischer Schweinebraten con chili con carne sorgt für Faszination

Jalisco Philharmonic unter der Leitung von Marco Parisotto
Tambuco-Quartett
Silvestre Revueltas: Redes-Suite; Arturo Márquez: Danzón Nr. 2; Javier Álvarez: Metal de Tréboles; Johannes Brahms: Sinfonie Nr. 1 in c-Moll
Philharmonie im Gasteig München, 26. April 2017

von Raphael Eckardt

Die knallrote Chilischote, die das Cover des Programmhefts der Jalisco Philharmonic an diesem Abend ziert, lässt den Hörer in München die Wettertristesse des Aprils für einen Augenblick vergessen und ist ein erster Hinweis auf das musikalische Feuerwerk der folgenden zwei Stunden: Scharf, feurig, temperamentvoll.

Die mexikanische Musik, in Europa eher aus Mariachi- und Salsabars bekannt, schafft es in Deutschland nur selten in die Programme renommierter Konzerthäuser. Dabei verfügt das mittelamerikanische Land über exzellente Komponisten zeitgenössischer, klassischer Musik – sie formen den überwiegend europäisch geprägten Kompositionsstil mit lateinamerikanischem Temperament zu einer neuen Kunst: Schweinebraten con chili con carne sozusagen; etwas, worunter man sich erst einmal wenig vorstellen kann, obwohl die Einzelkomponenten hinreichend bekannt sind. Etwas, das – wie man in Bayern zu sagen pflegt – der Bauer nicht kennt und dementsprechend auch nicht „frisst“. Etwas, das die im Konservatismus gefangene, irgendwo bei Richard Wagner und Richard Strauss feststeckende Musikwissenschaft bis heute nicht „frisst“. Weil sie es eben nicht kennt.

Die Jalisco Philharmonie (ORQUESTA FILARMÓNICA DE JALISCO), eines der renommierten Konzertensembles Lateinamerikas, bringen diese mexikanische Tonkunst des letzten Jahrhunderts nun nach Deutschland. Mit einem Programm, in dem die Musiker Werke von Komponisten mit so klangvollen Namen wie Revueltas, Márquez und Álvarez mit der 1. Sinfonie des deutschen Hochromantikers Johannes Brahms kombinieren, sollen Mauern des Konservatismus eingerissen und interkulturelle Brücken gebaut werden. Nun, wenn Mexikaner Mauern einreißen wollen, ist das momentan wohl in jeder Hinsicht ein Unterfangen, das Anlass zur Hoffnung auf Besserung gibt – vielleicht auch in der Musik.

Den Anfang macht die 1936 komponierte Redes-Suite von Silvestre Revueltas, einem der bekanntesten Vertreter der neuen mexikanischen Sinfonik. Ursprünglich als Filmmusik komponiert, erinnert das Werk deutlich an den „Feuervogel“ von Igor Strawinsky.

Der Maestro an diesem Abend ist Marco Parisotto, ein kanadischer Dirigent, der sich intensiv mit der Musik Mexikos auseinandergesetzt hat. Ein Vorteil, der ihn gleich zu Beginn des Konzertes brillieren lässt. Ein prächtiges, blechernes Trompetengewinde schwingt sich in Revueltas’ Musik zielgerichtet durch ein kunstvoll angelegtes Labyrinth aus knirschend-klickenden Perkussionselementen. Am Ziel angekommen, verweben sich die einzelnen Strukturen zu einem Gebilde aus dramatischer, mexikanischer Melodik. Was für ein Beginn – fabelhaft!

Inmitten dieser emotionalen, stetig wachsenden Klangsäule steht Marco Parisotto. Mit feinsten Bewegungen dirigierend, das Orchester fest im Griff, gibt er wie ein Architekt präzise Anweisungen, die sich zu einem majestätischen Klanggebäude entwickelten. Der rote Chili brennt feurig scharf im scheußlich kalten April!

Verglichen mit der phänomenalen Musik von Revueltas ist Arturo Márquez’ “Danzón Nr. 2“ von 1994 eigentlich ein nettes Tanzstückchen. Auch hier ist es vor allem Parisotto zu verdanken, dass das Werk ähnlich brillant ankommt wie die Redes-Suite. Geschickt bedient er sich des kompletten Farbenspektrums seines Orchesters. Dieser Dirigent macht die minimalistische Fassade dieser phantastischen Kunst wie unter einem Mikroskop sichtbar.

Mit „Metal de Tréboles“ von Javier Álvarez, geboren 1956, erreicht der Abend seinen Höhepunkt. Dieses Perkussionswerk für Schlagzeugquartett führt das weltbekannte Tambuco-Quartett auf. Eine technische Machtdemonstration ohne musikalische Abstriche. Phantastisch! Der tosende Beifall des Publikums erstaunt – viele Hörer beschreiben eine reine Perkussion oft als haltlos; der Applaus ist ein Indiz für die außergewöhnliche Brillanz dieses Quartetts. In der Zugabe verwenden die Musiker nur eine Klangschale und Steine und schlagen diese aufeinander. Famos!

Die c-Moll Sinfonie von Johannes Brahms rundet den offiziellen Teil überraschend normal ab. Technisch souverän, aber ohne herausragende musikalische Begeisterung erklingt die Musik des gebürtigen Hamburgers in einem Konzertsaal, der für romantische Orchestermusik eher ungeeignet ist. Wieso man mexikanische Musik des 20. Jahrhunderts ausgerechnet mit deutscher Romantik des 19. Jahrhunderts kombiniert, bleibt an diesem Abend ein Rätsel. Ein mexikanisch-deutsches Programm in aller Ehren: Es wäre sicher auch eine geeignetere Programmkonstellation möglich gewesen, die einen musikalischen Bruch vermieden hätte.

Ein abendfüllender Spannungsbogen gelang Parisotto dennoch: Mit Moncayos Huapango erhielt der südamerikanisch scharfe Esprit wieder Einzug in den Konzertsaal. Bleibt zu hoffen, dass dieses phantastische Orchester mit diesem dynamischen Dirigenten noch öfter für feurig-scharfe Momente in deutschen Konzerthäusern sorgt.

Raphael Eckardt, 26. April 2017 für
klassik-begeistert.de

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