7 Deaths of Maria Callas: nichts atemberaubend Neues

7 Deaths of Maria Callas, Ein Opernprojekt von Marina Abramović,  Deutsche Oper Berlin, 8. April 2022 Premiere
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honorarfrei/Royalty free, © Bettina Stöß


Deutsche Oper Berlin, 8. April 2022 Premiere

7 Deaths of Maria Callas
Ein Opernprojekt von Marina Abramović

Komponist Marko Nikodijević, Marina Abramović

Musikalische Leitung Yoel Gamzou
Regie und Bühne Marina Abramović

Filmdarstellerin und Performerin       Marina Abramović

Filmdarsteller                                     Willem Dafoe
Violetta Valéry                                    Mané Galoyan
Floria Tosca                                       Diana Gouglina
Desdemona                                       Valeriia Savinskaia
Cio-Cio San                                       Antonia Ahyoung Kim
Carmen                                              Irene Roberts
Lucia Ashton                                      Adela Zaharia
Norma                                                Flurina Stucki

Damenchor und Orchester der Deutschen Oper Berlin

 von Sandra Grohmann

Das blutbemalte Gesicht beherrscht den Zuschauerraum der Deutschen Oper – weit überlebensgroß ist es auf die bühnengroße Leinwand projiziert, während Lucia (Adela Zaharia) sich mit warmer Stimme bruchlos durch die Register singt bis in die wahnsinnigsten Töne – und dafür, als einzige an diesem Abend, spontan Szenenapplaus erntet. Es ist einer von sieben Bühnentoden, die an diesem Premierenabend auf der großen Bühne der Deutschen Oper Berlin in einem Projekt von Marina Abramović zelebriert werden. Plus ein achter, der in Form der Performancekünstlerin höchst selbst omnipräsent ist: Sie liegt über eine Stunde lang regungslos in einem Nachbau des Betts von Maria Callas vorne rechts auf der Bühne.

Marina Abramović zielt erklärtermaßen auf die Magengrube der Zuschauer, will mit ihren Bildern in den Bann ziehen und abstoßen und verbildlicht den, wenn man so will, ungeheurlichen Euphemismus, den die tragische Oper als Kunstform darstellt: Das Grausame mit traumschöner Musik zu – ja, was eigentlich? Zu sagen? Nein, denn die Musik sagt das Grausame eben nicht. Zu untermalen? Nein, denn die Musik spielt in der Oper die Hauptrolle. Normalerweise.

An diesem Abend ist das anders. Aus dem Zusammenhang gerissen reihen sich die Evergreens des Sopranfachs aneinander (plus Carmen – wunderbar, wie immer, und sehr sinnlich gesungen von Ensemblemitglied Irene Roberts). Es erklingen nicht durchgängig die letzten Töne, die den Damen vor ihrem jeweiligen Bühnentod in die Kehle gelegt wurden, sondern einfach die bekanntesten Arien der sieben gewählten Opernfiguren. Wie die Auswahl erfolgte, bleibt unklar. Jedenfalls fiel die Wahl nicht nur auf die für Maria Callas bedeutendsten Rollen ihrer Karriere: Keine Anna Bolena, keine Medea, keine Elisabetta. Keine Aida. Dafür Desdemona, von Callas nie verkörpert: Deren Bühnentod ist sie nie gestorben. Biographisch ist es deshalb nicht ganz zutreffend, wenn behauptet wird, Callas sei die Tode der an diesem Abend zu Gehör gebrachten Figuren hundertfach gestorben, bevor sie selbst ganz leise an gebrochenem Herzen einging.

Aber es ist ja auch keine Biographie angekündigt. Nehmen wir die Auswahl schlicht als subjektiv. Vielleicht waren die Bilder ausschlaggebend, die Abramović zu der einen oder anderen Todesart einfielen. Musikalisch konnte so oder so nicht viel mehr herauskommen als eine Hitparade, ganz unabhängig davon, welche Opern mitmachen durften. Immerhin spielt die hinzukomponierte Musik der Quasi-Ouverture und Quasi-Fermeture gekonnt mit Motiven vor allem aus – eingangs – Traviata und – ausgangs – Norma. Das war eine Freude, auf akustische Entdeckungsreise zu gehen und die alten Themen verfremdet und in zeitgenössische Klänge einbettet aufblitzen zu hören. Davon etwas mehr, das hätte mir gut gefallen.

Insgesamt hätte ich erwartet, dass der angekündigte Dekonstruktivismus stärker durchschlägt. Den durchgehend in slow motion gedrehten Todesszenen-Film mit dem Gesang zu kontrastieren, griff das Nervenkostüm sensibler Seelen (wie meiner) zwar durchaus an, ermüdete als Konzept auf die Dauer einer guten Stunde aber doch ein wenig. Die Darbietung bot optisch auch nichts Neues. Videoprojektionen in Opern einzusetzen, hat sich in den letzten Jahrzehnten zu einem bewährten und beliebten Stilmittel entwickelt. Und schockierendere Szenen als die hier gezeigten haben in der Vergangenheit dazu geführt, dass einzelne Aufführungen erst ab 18 Jahren freigegeben wurden. Freilich weist die Performancekünstlerin Abramović unermüdlich auf den Unterschied zwischen theatraler Darstellung und Realität hin – hier allerdings handelt es sich nun einmal um Theater.

Daran ändert es auch nichts, dass  Abramović im Programm als Performerin angekündigt wird. Ihre Behauptung, sie „mache etwas ganz Anderes“, stimmt für ihre Performancekunst ganz sicher (wer einen Eindruck möchte: https://youtube.com/watch?v=M4so_Z9a_u0&feature=share), überträgt sich an diesem Abend aber nicht auf die Opernbühne. Dass die Heldinnen in braven Kleidchen mit Matrosenkragen auf dem Laufsteg auf die Bühne kommen und dort an der Rampe ihre Kunst darbieten, dass Abramović über eine Stunde lang unbewegt auf der Bühne liegt und dass den Bühnentoden der Abgang der Callas, dargestellt von Abramović, aus ihrem eigenen Boudoir folgt – alles das fügt sich zu einem Ganzen, aber nicht zu einer Performance. Schon gar nicht zu dem atemberaubend Neuen, das meine Begleitung und ich in übersteigerter Neugier erhofft hatten. 

Ein interessanter Abend war es trotzdem. Acht sterbende Opernfrauen regen allemal zum Nachdenken an, auch wenn die Urheberin des Abends auf den Bauch zielt und nicht auf den Kopf. Wir sehen Opfer, die jedoch nicht passiv daherkommen. Die filmische Begleitung (mit dem immer, hier insbesondere als Norma im Goldfummel, sehenswerten William Dafoe) zeigt überwiegend Frauen, die das Geschehen bestimmen. Eine Ausnahme ist die durchaus an der Grenze zum Kitsch dahinscheidende Violetta Valéry, mit der der Abend eröffnet. Möge dieses belanglose erste Bild der erlöschenden Kerze selig ruhen.

Danach: Eine fallende Tosca, eine wütende Lucia und vor allem eine Carmen, die mit demselben Dolch getötet wird, den sie nutzen wollte, um ihre Fesseln zu durchtrennen, eine der stärksten Szenen des Films.

Mich erinnert das an die kluge Opernanalyse von Catherine Clément. „L’opéra ou la défaite des femmes“ – ein Titel, der sich gut ins Englische (Opera or the Undoing of Women), aber nur unter Verlust der Mehrdeutigkeit (Oper oder die Vernichtung/Auflösung der Frauen) ins Deutsche übertragen lässt – war das feministische Grundwerk zu dreißig Opernplots, die für die weiblichen Figuren meist ungünstig enden. Auch für Clément stand die Musik nicht im Vordergrund, sondern sie kümmerte sich ausdrücklich um die sonst als vernachlässigenswert abgetanen Libretti. Sie wies schon 1979 auf den Kontrast zwischen dem „banalen“ Tod von Maria Callas zwei Jahre zuvor und den dramatischen, von der Sängerin hundertfach durchlittenen Bühnentoden hin.

Durchlitten: Das darf für Maria Callas gesagt werden, das übertrug sich ins Publikum. Als zum Ende des Premierenabends der „7 Deaths of Maria Callas“ die Divina höchstselbst zu hören ist, aus einer auf zweierlei Art knisternden Aufnahme, tun mir die ausnahmslos guten Sängerinnen des Abends ein wenig leid. Es ist die Primadonna assoluta, auch heute noch, die mir die Schauer über den Rücken laufen lässt und die Tränen in die Augen treibt. Wie sagt Abramović: „An diesem Punkt realisiert man, dass es nicht auf den Körper der Callas ankommt, nicht darauf, ob sie lebt oder ob sie tot ist. Die Stimme vergeht nicht.“

Quod erat demonstrandum. Standing ovations.

Sandra Grohmann, 9. April 2022, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

 

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