Foto © Schirmer, Philharmonie Berlin, 6./7./8. November 2019
Berliner Philharmoniker
Musikalische Leitung: Zubin Mehta
von Kirsten Liese
Es soll einmal ein Konzert gegeben haben, in dem Zubin Mehta für den genialen Sergiu Celibidache im Wiener Musikverein einsprang und Bruckners Achte dirigierte. Das ist lange her. Zeitzeugen berichten, dass Mehta ganz und gar die klanglichen Vorstellungen des Rumänen umgesetzt haben – und es gewesen sein soll, als habe Celi selbst dirigiert.
Heute ist Mehta ein Grandseigneur, der im Alter von 83 Jahren wie einst Celibidache, als er nicht mehr stehen konnte, auf einem hohen Stuhl auf dem Podium in der Philharmonie Berlin Platz nimmt und die anderthalbstündige Achte selbstredend immer noch auswendig dirigiert. Und zuverlässig zur Stelle ist, wenn es bei den Berliner Philharmonikern „brennt“ wie zuletzt bei den Osterfestspielen in Baden-Baden, die er nach Absagen mehrerer Kollegen rettete. Mit einem grandiosen „Othello“, der seitens des Orchesters die Erwartungen – zumindest in der von uns besuchten konzertanten Aufführung- weit übertraf. Das Orchester scheint das in Dankbarkeit zu schätzen. Zur jüngsten Konzertserie mit Bruckners Achter versammelten sich jedenfalls mit so exquisiten Musikern wie Albrecht Mayer (Oboe), Stefan Dohr (Horn), dem Ersten Konzertmeister Daishin Kashimoto und dem Cellisten Ludwig Quandt die Crème der Solisten.
Zwar muss ich zugeben, reichte Mehtas Wiedergabe der Achten diesmal nicht ganz an Celibidache heran, auch nicht an meine letzten einmaligen Brucknererlebnisse mit Riccardo Muti und Christian Thielemann. Aber es gelang alles in allem eine sehr achtbare Wiedergabe mit markigen, satten Klängen in den Violinen und Violen, Momenten voller Sehnsucht, Schönheit und Beseeltheit im feierlichen Adagio, gut disponierten Gipfelgängen und moderaten Tempi in den Ecksätzen. Das ist nicht wenig, und das lösen nur noch wenige Dirigenten ein.
Deshalb kann ich es beim besten Willen nicht nachvollziehen, was einige Zuhörer dazu bewogen hat, Mehta in der Online-Ausgabe des Berliner „Tagesspiegel“ unter den Leserkommentaren für eine angeblich nur lärmende, kraftprotzende Interpretation hart anzugehen. Wer sich an zu lauten Wiedergaben stört, hätte doch viel eher Grund sich über Kirill Petrenko, den neuen Chefdirigenten des Orchesters, zu beschweren. Der dirigierte seine ersten Konzerte im neuen Amt mit Tschaikowskys Fünfter und Beethovens Neunter tatsächlich martialisch und ohrenbetäubend laut. Aber der wird in Berlin von allen Seiten beinahe einhellig gefeiert.
Das Orchester aus einem solchen Fahrwasser herauszuholen, ist für einen Gastdirigenten ein schwieriges Unterfangen. Eine generelle Orchestererziehung ist seine Aufgabe nicht.
Gemessen an Petrenkos lauten und viel zu schnellen Formel-Eins-Interpretationen erschien Mehtas Abend jedenfalls beglückend. Es gibt nicht mehr allzu viele Dirigenten, die das Majestätische, Erhabene, Apotheotische derart zu zelebrieren vermögen.
Im Pianobereich blieb der Abend ein bisschen unterbelichtet, keine Frage. Schon der erste Satz mit den tiefen Streichern hätte geheimnisvoller beginnen dürfen. Dass vor allem das Adagio im Erleben von Transzendenz schwächer ausfiel, mag daran liegen, dass Mehta mehr damit beschäftigt war, Abläufe zu organisieren. Eine spirituelle Reise wird bei ihm nicht erkennbar, aber immerhin strahlt er eine stoische Gelassenheit und eine unendliche Ruhe aus, das wirkt sich sehr positiv auf seinen Bruckner aus.
Immerhin schien das Publikum im Saal diese Qualitäten zu schätzen, es gab verdient zahlreiche Bravo-Rufe.
Kirsten Liese, 10. November 2019, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Ich hatte das Glück gehabt dieses Konzert am Freitag Abend genießen zu dürfen und kann die Kritik des Berliner Tagesspiegels ebenfalls nicht nachvollziehen. Es war für mich bereits das vierte Mal innerhalb eines Jahres dass ich die Berliner Philharmoniker in der Philharmonie in Berlin gehört habe (vorher zweimal Mahler und einmal Mozart/Haydn), und ich muss sagen dass mich die Achte von Bruckner mit Metha am meisten beeindruckt hat. Ob Thielemann, Muti oder Celibidache das noch besser dirigiert hätten, kann ich nicht beurteilen, aber dieser Klang in der Philharmonie am Freitag war schon beeindruckend; fast 1,5 Stunden am Stück zu musizieren und dabei die Spannung in der Musik gar nicht zu verlieren, das muss man auch erst mal hinbringen, sowohl als Dirigent als auch als Orchester (wie u.a. auch Thielemann letztes Jahr in Bayreuth im 3. Akt von Tristan). Die Anreise aus Hamburg hat sich auf jeden Fall wieder einmal gelohnt.
Johannes Karl Fischer