GROSSES INTERVIEW MIT DER REGISSEURIN BEATE THALBERG ÜBER IHREN NEUEN FILM „DAS GROSSE WELTTHEATER – Salzburg und seine Festspiele“
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Beate Thalberg(* 25. August 1967 in der Altmark, Deutschland) studierte „Regie und Dramaturgie im Theater“ in Leipzig. Ihr Lebensmittelpunkt ist Wien, sie arbeitet aber über die Grenzen von Österreich hinaus. Die Filme der Regisseurin bewegen sich in oft verdrängten, gesellschaftspolitisch explosiven Zonen, denen sie durch das Ausleuchten individueller Schicksale und Entscheidungen einzelner Menschen auf die Spur kommt. Motive der Vergangenheit verknüpft sie meist mit aktuellen Lebensgeschichten. Familiengeheimnisse, Grenzsituationen und Übergangserlebnisse sind häufige Themen. Beate Thalbergs Filme wurden im Fernsehen sowie im Kino in vielen Ländern Europas sowie in den USA, Kanada, Australien und Israel gezeigt.
Interview: Andreas Schmidt und Jürgen Pathy
klassik-begeistert.de: Da Sie so tief in die Geschichte der Salzburger Festspiele eingedrungen sind. Wie sehen Sie die aktuelle Situation und die Zukunft der Festspiele?
Beate Thalberg: Ich komme gerade aus Salzburg, war zweimal dort während der letzten Tage. Die Festspiele, also die Menschen, die sie machen, zeigen sich als unglaublich mutig, entschlossen und resilient bei gleichzeitiger großer Achtsamkeit angesichts der Corona-Gefahr. Ich glaube, dass die Festspiele in Zukunft erst richtig verstanden werden. Seit 100 Jahren gibt es diese pro-europäische, kosmopolitische Ausrichtung, die nicht nur auf dem Papier steht. Seit 100 Jahren wird Bühnenkunst für Menschlichkeit, für eine bessere Welt gemacht. Jetzt, in diesen bedrohlichen Zeiten, brauchen wir sie mehr denn je. Jetzt, da das Bewusstsein geschärft ist, hören wir sie besser denn je. ICH GLAUBE AN DIE UNSTERBLICHKEIT DES THEATERS, beginnt Max Reinhardt seine „Rede an den Schauspieler“. Ich auch.
Müssten Sie Ihren Film mit drei Worten beschreiben, welche wären das?
Eine sinnliche, überraschende Zeitreise.
Wann und wie entstand die Idee, das Konzept zu diesem Film?
Die Anregung der ORF-Programmdirektorin Kathrin Zechner lautete: etwas Großartiges zu „100 Jahre Salzburger Festspiele“. Naja, „großartig“ kann man sich nicht vornehmen, aber als ich zu den Anfängen der Festspiele las, war ich begeistert. Das einzige Festival weltweit mit einem gesellschaftspolitischen Programm. Das war ja eine künstlerische Bewegung in unmittelbarer Gegenthese zum Wahnsinn des Ersten Weltkriegs! Avantgarde war das, vielmehr Bauhaus als Bild-Zeitung. DAS sind die Festspiele, nicht die Society-Artikel.
Für welches Zielpublikum haben Sie diesen Film gedreht?
Ganz explizit für alle. Zum Teil auch für Kinder, die so einen zauberhaften Diener, der quasi unsterblich ist, sicher mögen. Auch und besonders für Menschen, die sich nicht auf Anhieb für die Salzburger Festspiele oder Bühnenkunst interessieren. Das erreicht man nur, wenn man in den Filmen etwas Universelles gibt. Neben der äußeren Geschichte – Momentaufnahmen der Festspielgeschichte – eine innere. Bei diesem Film ist es die Frage nach der Eigenverantwortung, den Entscheidungen, die wir treffen, wenn es unmenschlich wird. Die Frage lautet nicht: Wie hättest Du entschieden, wenn Du damals gelebt hättest? Die Frage lautet: Wie entscheidest Du heute? Schaust Du hin oder schaust Du weg? Das betrifft die Kultur am Arbeitsplatz genauso wie das Leben mit Geflüchteten.
Welche Rolle spielten die drei Frauen, die zum Diner auf Schloss Landskron geladen sind, bei der Entstehung der Salzburger Festspiele? Die Rede ist von Helene Thimig, Margarete Wallmann und Anna von Mildenburg.
Alle drei Frauen haben die Salzburger Festspiele explizit beeinflusst und in Richtungen gelenkt mit ihrem starken künstlerischen Ausdruck, ihren intellektuellen Ansprüchen und ihrer Führungsfähigkeit. Anna von Mildenburg war die Netrebko des beginnenden 20. Jahrhunderts. Zumindest so berühmt. Eine Wagner-Heroine dazu, ein Bayreuth-Idol. Sie schaffte theatralische Bewegungen oder das starre Herumstehen von Opernsänger*innen auf der Bühne ab. Sie wollte Sängerinnen, die auch schauspielen können. Und das hat sie neben ihren Rollen in Theaterstücken als Schauspielerin in Salzburg auch in Sommerkursen für den Nachwuchs unterrichtet. Margarete Wallmann war eine der glamourösesten Frauen ihrer Zeit. Bei Mary Wigman in Berlin ausgebildet, brachte sie den modernen Tanz nach Salzburg, sie führte als eine der ersten Frauen Opernregie bei den Festspielen und später in der ganzen Welt. Ihre „Tosca“ aus den 1950er-Jahren ist an der Wiener Staatsoper die längstgespielte Operninszenierung und wird bis heute nach ihren Vorgaben aufgeführt. Sie stand in den frühen 30er-Jahren auch intelllektuell im Zentrum der Festspiele, gemeinsam mit Bruno Walter, Reinhardt, Toscanini oder Stefan Zweig. Und Helene Thimig ist überhaupt eine Säule der ganzen Unternehmung. Fast 40 Jahre konzipierte, organisierte und spielte sie bei den Festspielen! Sie war nicht „das Geschöpf Max Reinhardts“, mit dem sie zusammenlebte, sie war Schauspielerin, Regisseurin und Produzentin mit einem eigenen Kopf. Hätte sie „nein“ gesagt, vielleicht hätte Max Reinhardt sich nicht für Salzburg entschieden.
Zentraler Punkt Ihres Films ist Franz Swatosch, seines Zeichens Diener des Gründervaters Max Reinhardt. Wieso haben Sie die Geschichte rund um ihn aufgebaut?
Ein dramaturgischer Schachzug. Der Diener gibt die Möglichkeit zur Distanz zu den Figuren, die ja alle aus der Kunst kommen, alle gut situiert sind. „Was wissen Schlossherrn schon vom wahren Leben?“, sagt der Diener einmal, wenigstens ein Echo der sozial schlechter gestellten Menschen. Dann ist er wieder nah dran, hat den Schlüsselloch-Blick, den wir vielleicht gerne auf die Geschehnisse hätten – eine wunderbare Identifikationsfigur. Franz Swatosch kann sich für uns wundern, die Figuren auch mal nicht so ernst nehmen und Humor einstreuen. Ich habe ihn übrigens so inszeniert, wie man sonst immer Frauen inszeniert: Er reflektiert im Stillen, er sorgt sich um die anderen, er tanzt, er träumt, aber er hat kaum Handlungsspielraum.
In die Rolle der „vermeintlichen“ Nebenfigur, des Dieners Franz Swatosch, schlüpft Florian Teichtmeister. Wieso haben Sie sich für den gebürtigen Wiener entschieden, der am Burgtheater und im Theater in der Josefstadt spielt?
Florian Teichtmeister ist meines Erachtens der beste österreichische Schauspieler seiner Generation. Auch, weil er so vielseitig ist. Absolut überzeugend als eiskalt berechnender Politiker, vertrottelter Mörder oder intellektueller Mörderjäger. Und dann erleben Sie mal erst, wie er mit zwei Blicken einen ganzen Zuschauerraum im Theater hypnotisiert! Er hat diese österreichsiche Musikalität noch mehr, bis in die tiefsten Schichten seines Geistes und seines Körpers bei gleichzeitiger absoluter Präzision. Ein Idealfall von Besetzung.
Auf der Suche nach einem geeigneten Festival-Ort hat Max Reinhardt sich auch in Deutschland und in der Schweiz umgesehen. Wieso fiel seine Wahl letztendlich auf Salzburg? Welche Rolle spielten Hugo von Hofmannsthal und Richard Strauss bei dieser Entscheidung?
Zufall, so sagt es auch der Diener im Film. Zufällig stand Schloss Leopoldskron in Salzburg gerade zum Verkauf. Erbaut vom mächtigen Erzbischof, ein barockes Märchen mit Weiher. Mag sein, etwas Sentimentalität kam hinzu, denn Max Reinhardt verdiente seine ersten Groschen als junger Schauspieler bei einem Engagement in Salzburg. Reinhardt, Hofmannsthal und Strauss waren kosmopolitische Menschen, es hätte auch woanders im deutschen Sprachraum sein können.
Der Film zeigt Raritäten. Unbekanntes Filmmaterial aus weltweit 30 Archiven. Originalaufnahmen von den Gründervätern Max Reinhardt und Hugo von Hofmannsthal, aber ebenso von Marlene Dietrich in Lederhosen. Welche der Archivaufnahmen hat Sie am meisten beeindruckt?
Vielleicht zwei Filme, die die unfassbar gute Archiv-Rechercheurin Silvia Heimader für diesen Film aufgestöbert hat. Einer aus 1926, einer aus 1927. Wir sehen unbekanntes Material mit einem Hugo von Hofmannsthal, der ausgelassen in einer Runde plaudert oder auf dem Weiher vorm Schloss rudert. Wir sehen Max Reinhardts Festspielfamilie herumalbern – 10 Minuten lang. Erstmals das It-Girl der Festspiele in den 20er- Jahren, Rosamond Pinchot. Eine 22jährige Schönheit, die Reinhardt kurzerhand zur Schauspielerin erklärte. Sie flirtet mit Reinhardt, mit Stefan Zweig. Und man sieht auf den Bildern, wie sehr ihr alle erlegen sind.
Die Salzburger Festspiele waren seit jeher von der Lokalpolitik abhängig. Welche Intrige ist es gewesen, über die der 28-jährige Erneuerer und Komponist Gottfried von Einem, der ebenfalls zum Diner hinzu stoßt, stolperte?
Der blutjunge Gottfried von Einem war die Lösung auf eine unlösbare Frage nach 1945: Wie soll es weitergehen? Er hatte den Krieg relativ unbehelligt überstanden, weil er aus einem reichen Diplomatenhaushalt kam, war 28 und lebenshungrig. Er wollte ganz moderne, avantgardistische Festspiele mit zeitgenössischer Musik und Brecht als Theaterchef. Das war es an sich, was das alte Establishment, die Salzbougoisie störte, seine Modernität. Dabei war dies genau im Sinne der Gründerinnen. Er besorgte dem aus dem Exil zurückgekehrten Brecht eine österreichische Staatsbürgerschaft, denn die deutsche hatte Hitler ihm ja weggenommen. Brecht war staatenlos, hatte keine Rechte. Viele Jahre später, als man von Einem als künstlerischen Leiter der Festspiele loswerden und Karajan in Position bringen wollte, wurde die alte Brecht-Einbürgerung wieder hervorgegraben und Zeitungen schrieben über „den langen Arm Moskaus bis in die Festspiele“. Brecht galt als Kommunist und es war Kalter Krieg. Politiker wurden zum Rücktritt aufgefordert und die fanden schnell einen Schuldigen: Gottfried von Einem. Er war das Opfer.
Schnitt, Kamera und Spezialeffekte wirken besonders aufwendig. Wie schwer ist es für das Team gewesen, Ihre Vorstellungen umzusetzen?
Klar, ich habe die Grund-Konzeption, sagen wir ruhig, eine Vision, aber ansonsten ist es nicht so, dass ich alles bis zum Letzten vorgebe und andere setzen das ohne eigene Kreativität um. Ich liebe Teamarbeit! Wir entwickeln die Dinge gemeinsam. So gehen bei uns Schwarzweiß-Figuren aus dem Archiv durchs Schloss, während in der Tischgesellschaft die Festspielgeschichte reflektiert und kommentiert wird. Das ist ein filmisches Verfahren, das ich gemeinsam mit dem VFX-Künstler Reinhold Fragner erfunden habe. Ohne ihn könnte es das gar nicht geben, denn er und sein Team setzen das um. Oder: Ich wünsche mir diesen und jenen Look im Bild. Aber wenn ich dann die Lichtsetzung der Kamerafrau Anna Hawliczek sehe und die Farben, dann könnte ich heulen vor Glück.
Andreas Schmidt und Jürgen Pathy, 30. Juli 2020, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Erste Stimmen zum Film
„Ein eleganter Blick in die Welt von Gestern.“ Festspielintendant Markus Hinterhäuser
„Ein Juwel! Historische Genauigkeit bei gleichzeitiger Emotionalität. Der Film gibt ein Gefühl dafür, in welcher Stimmung die Festspiele entstanden sind.“ Festspielpräsidentin Helga Rabl-Stadler
„Man könnte meinen, Max Reinhardt, Hugo von Hofmannsthal oder Helene Thimig sitzen wirklich an der schön gedeckten Tafel im Schloss.“ APA